Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Ich habe das Mittelalter – Welche Sackpfeife sind Sie?

Ich werde mich zwecks Erfolgsoptimierung in den nächsten Monaten an die ganzen Mittelalter-Heinis ranschmeißen. Vielleicht nenne ich mich ab sofort "Der Seher" oder so. Zur Not würde es reichen, beim Schreiben eine Ritterrüstung zu tragen oder gelegentlich einen Schluck Met aus dem Trinkhorn zu nehmen.


Folge 35

Eins ist mir inzwischen klar geworden: Wenn das mit meiner Karriere noch etwas werden soll – ob nun musizierend oder schreibend – muss ich in mein Schaffen dringend mehr Mittelalter-Elemente integrieren. Mittelalter und Popmusik, das geht in Deutschland zusammen wie, äh, Markus Lanz und Petition.

Ein Blick auf die Charts macht das rasch klar: Sofern man nicht Helene Fischer oder Andrea Berg heißt, womöglich sogar männlich ist, muss man schon ganz entschieden auf die Mittelalter-Tube drücken, um ein paar Platten zu verkaufen. Und man darf sich für keinen Firlefanz zu schade sein! Das wurde mir schon vor Jahren klar, als ich zu Berichterstattungszwecken auf einem Konzert der Gruppe In Extremo weilte. Deren Sänger hört auf den stolzen Namen „Das Einhorn“. Alleine dafür gebührt ihm Respekt. Das Einhorn bestreitet weite Teile des Auftritts oberkörperfrei und singt unter anderem auf Hebräisch, Latein, Mittelhochdeutsch, Isländisch und Nysvenska. Wikipedia vermeldet hierzu: „Viele Texte (…) stammen – wie die Instrumente – aus dem Europa des Mittelalters (…) und der frühen Neuzeit (…). Dadurch sind sie in vielen verschiedenen Sprachen abgefasst, die von den Bandmitgliedern verständlicherweise nicht alle beherrscht werden.“ Absolut verständlicherweise! Zu den von In Extremo verwendeten Instrumenten zählen auch zwei Sackpfeifen, deren Auftauchen während des besagten Konzerts klar zu den Höhepunkten der Show zählte. Vom rechten und linken Aufgang kamen die beiden Sackpfeifer an besonders dramatischen Stellen des Konzerts stampfend auf die Bühne und sorgten dabei stets für großes Hallo! Die Sackpfeifen wurden, soweit ich das beurteilen kann, einigermaßen kompetent exekutiert (ich kenne mich mit Sackpfeifen nicht so aus), daher steht der folgende Satz leider nicht bei Wikipedia: „Viele Instrumente stammen aus dem Europa des Mittelalters und der frühen Neuzeit und werden von den Bandmitgliedern verständlicherweise nicht alle beherrscht“.

Beim Konzert waren auch Teile des Publikums mittelalterlich gewandet. So sah ich mehrere Herren, die aus umgehängten Lederbeuteln Alkohol (vermutlich Met) tranken; eine Dame hatte sich gar in Wahrsagerinnen-Kluft gewickelt. Ich finde das sehr sympathisch und unterstützenswert, zumal es – und damit komme ich zu meiner Eingangserkenntnis zurück – Erfolg mit sich zu bringen scheint. Man könnte fast meinen, die ganzen Mittelalter-Heinis liefen langsam Gefahr, sich gegenseitig das Publikum abspenstig zu machen. Tatsächlich ist es aber wohl so, dass immer mehr Plattenkäufer die Waffen strecken und der Droge Mittelalterrock verfallen.

Es muss aber auch gar nicht unbedingt wie bei Schandmaul oder In Extremo das Mittelalter sein: Deutsche Musikkäufer finden es generell gut, wenn sich eine Band ulkig aufzottelt. Seemänner gehen genau so wie Mittelalter-Heinis, was  ausgiebig durch die enervierend erfolgreiche Band Santiano bestätigt wird, deren Mitglieder allesamt aussehen, als hätte man ihnen soeben beim Casting für eine Massenszene in „Fluch der Karibik Teil 37“ einen abschlägigen Bescheid erteilt.

Mir persönlich liegt das Mittelalter mehr als Piraten. Ich werde mich also zwecks Erfolgsoptimierung in den nächsten Wochen und Monaten verstärkt an erstere Szene ranschmeißen. Wie genau sich das niederschlagen soll, weiß ich noch gar nicht. Vielleicht nenne ich mich ab sofort „Der Seher“ oder so. Zur Not würde es sogar reichen, beim Schreiben dann und wann eine Ritterrüstung zu tragen oder gelegentlich einen Schluck Met aus dem Trinkhorn zu nehmen. Ich werde Sie auf dem Laufenden halten.

In Extremo gehen dieses Jahr übrigens auf große „Kunstraub Burgentour“. Zwar werden Das Einhorn und die Seinen nicht an Orten wie Schloss Albrechtsburg oder der Festung Hohentwiehl spielen, aber eben auch.

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Stephen Malkmus und Köln.

Im Sommer 2012 stand der ehemalige Pavement-Sänger nur mit einer Gitarre auf der Dachterrasse des Museum Ludwig und versuchte sich an die Akkorde alter Pavement-Songs zu erinnern. Beim Konzert im Kölner Gebäude 9 zwei Monate später sah der Wahl-Berliner in seinen Kaki-Shorts ein bisschen aus wie ein degenerierter Jung-Adeliger auf Safari und verlieh der Freude Ausdruck, endlich mal wieder in Frankreich zu sein: Es war eines der Konzerte des Jahres. Im Dezember war er dann schon wieder da um auf Bitten des Konzertveranstalters Jan Lankisch gemeinsam mit der Kölner Band Von Spar das Can-Album „Ege Bamyasi“ in Gänze aufzuführen.

Am letzten Freitag dann stellten Malkmus und seine Jicks in der gerne als „Domstadt“ bezeichneten  Stimmungshochburg das neue Album „Wig Out At Jackbags“ vor, von dem Malkmus im Info behauptet, es sei unter anderem „inspired by Cologne, Germany, Mark von Schlegel, Rosemarie Trockel, Von Spar and Jan Lankisch, Can and Gas“. Ehre, wem Ehre gebührt, auch wenn man von besagten Einflüssen nicht so viel hört.

Das Konzert gerät gewohnt großartig: Gniedeln bis zur Transzendenz. Danach legen Malkmus und The Jicks noch im schönen King Georg auf. Der erste Song, der läuft, ist Robert Palmers „Looking For Clues“, es folgt „Dreadlock Holiday“. Am nächsten Tag wird berichtet, Malkmus sei der letzte Gast im Club gewesen. Sein Schlagzeuger wird ihn am Abend beim Brüsseler Konzert als den „Sultan of Slack“ ansagen.

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Endlich mal wieder Zeit, sich um wichtige Dinge zu kümmern.

Ich fülle im Internet den Test „I got Courtney Love from Hole! Which ’90’s Alt-Rock Grrrl Are You?“ aus, der in den letzten Tagen virale Verbreitung fand. Zu beantworten gilt es Fragen wie „You just got dumped. What are you gonna do?“ (Antwortmöglichkeiten etwa: „Scream“, „Weap“, „Plan revenge“, „Drink heavily“) oder „Which of these words is the most appealing?“ (Optionen: „Gut“, Come“, „Shine“ …). Auch muss man sein liebstes Flanell-Muster bestimmen.

Zu meiner Überraschung kommt am Ende bei mir nicht P.J. Harvey, sondern Kim Deal heraus, was mich sehr freut. Andererseits: Liegt wahrscheinlich nur daran, dass ich auf zwei Fragen als Option „Alkohol“ geantwortet habe. Oder am Flanell.

Ich habe natürlich auch den Gegentest „I got Rivers Cuomo from Weezer! Which ’90s Alt-Rock Dude Are You?“ gemacht. Ergebnis: Beck. Leider nicht Stephen Malkmus. Immerhin aber nicht Thom Yorke oder Das Einhorn.

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