Frank Schulz im Interview / Lesung auf dem Reeperbahn Festival

Frank Schulz, Autor der legendären "Hagener Trilogie", spricht mit Maik Brüggemeyer über seinen Roman "Onno Viets und der Irre vom Kiez", aus dem Schulz auf dem Reeperbahn Festival lesen wird.

Frank Schulz
Das neue Buch von Frank Schulz: „Onno Viets und der Irre vom Kiez“

Ab heute widmen wir uns täglich dem von uns präsentierten Reeperbahn Festival, das in diesem Jahr vom 20. bis zum 22. September in, logisch, Hamburg stattfindet (alle Infos gibt es hier). Das Showcase-Festival hat sich über die letzten Jahre zu einer Instanz gemausert und bietet wie kaum eine andere Veranstaltung in Deutschland die Chance, wirklich Neues zu entdecken. In Verbindung mit dem Charme des Kiezes und den zahlreichen tollen Live-Locations der Stadt, die sich um die Reeperbahn gruppieren, ist das Reeperbahn Festival eine runde Sache – die ROLLING STONE nur zu gerne als offizieller Präsentator begleitet.

Wir wollen Ihnen bis zum Festivalstart einzelne Aspekte der Veranstaltung vorstellen – und beginnen mit einem Abstecher in das Kunst- und Kulturprogramm des Reeperbahn Festivals. Der von uns sehr geschätzte Hamburger Autor Frank Schulz wird dort nämlich lesen – und zwar am Samstagabend um 18 Uhr im Hamburger Imperial Theater. Zur Einstimmung gibt es hier nun noch einmal unser Interview mit Schulz, in dem er mit Maik Brüggemeyer über seinen Roman „Onno Viets und der Irre vom Kiez“ spricht, aus dem er an diesem Abend lesen wird. Viel Spaß dabei!

Nachdem der Hamburger Autor Frank Schulz die „Hagener Trilogie“, diesen prachtvollen Erinnerungszyklus um den Protagonisten Bodo Morten  und seine Freunde Alfred Kolk, Satschesatsche, Rudi, den Arsch u.a., abgeschlossen hatte, hielt er die Gemeinde mit einem Lyrikbändchen und dem Erzählungsband „Mehr Liebe“ bei Laune, doch eigentlich warteten alle darauf, wie es weiter gehen würde in der langen Form. Man sehnte sich nachweiteren onomapoetischen Erkundungen im Hamburger Kneipenmilieu, nach Schwadroneuren und Suffköppen, Weibergeschichten und Männerphantasien.

Alle Wünsche gehen nun mit „Onno Viets und der Irre vom Kiez“ (Galiani, 19,99 Euro) in Erfüllung und doch ist alles ganz anders. Frank Schulz hat einen Thriller geschrieben! Oder jedenfalls etwas in der Art.  Der titelgebende Protagonist ist einer dieser Schulz’schen Alltagshelden, die man sein Leben lang nicht mehr vergisst. Ein Mitt-Fünfziger Hartz-IV-Empfänger, passionierter Ping-Pong-Spieler und Noppensockenträger, der sich entschließt – eine Forderung des Finanzamts im Nacken und den Geburtstag seiner fürsorglichen Gattin Edda vor Augen–, eine Detektei zu eröffnen. Seinen ersten Auftrag erhält er vom Hamburger Pop-Titan Nick Dolan. Der vermutet, dass seine Freundin, das katzenbergereske Fernsehstarlet Fiona Popo, einen Anderen hat. Stimmt auch, wie unser Ermittler sehr bald unter massivem Körpereinsatz herausfindet. Der Liebhaber ist allerdings in vielerlei Hinsicht einfach eine Nummer zu groß für Onno. Wie überhaupt die unauffällige Observation nicht zu seinen Stärken zählt. Wir sprachen mit dem Autor über sein neues Opus.

Sie haben während der Arbeit an „Onno Viets und der Irre vom Kiez“ erklärt, sie schrieben an einem Krimi. Sehen Sie das immer noch so? Zumindest ist es ja ebenso eine Milieu- und Sozialstudie, eine moralischen Geschichte, eine Mediensatire … vielleicht sogar ein modernes Märchen?
Ach, „Krimi“ hab’ ich nur so dahingeplappert. Nach dem Motto: Krimi ist alles, worin ein Detektiv und/oder Blut vorkommt. Per definitionem fällt das Buch wohl eher in die Kategorie „Suspense-Thriller mit grotesken Elementen“ oder so ähnlich. Und dass Sie es als „vielleicht sogar ein modernes Märchen“ bezeichnen, gefällt mir irgendwie. Schauermärchen, Schauerroman … Als ich anfing, die Stimmung des Buches zu imaginieren, schwebte mir eine sphärische Mischung aus „Twin Peaks“ und „Fargo“ vor. Letztlich ist mir eine scharf umrissene Gattungsbezeichnung nicht wichtig. Hauptsache, der Begriff mobilisiert die kaufkräftige Zielgruppe, har, har!

Ich schätze mal, die Handlung des Romans ist weiter von Ihrer eigenen Lebenswelt entfernt als es etwa die „Hagener Trilogie“ war – war das für Sie ein anderes Arbeiten?
Ja, schon. Es fühlte sich freier an, aber auch bisweilen auf unangenehme Weise professioneller. Zwar gab’s (und gibt’s immer noch) genügend intrinsische Antriebskräfte, aber das Gefühl, den Hauptbrocken im Leben erledigt zu haben, ließ sich nicht leugnen. Inzwischen, und ganz allmählich, erscheint die verlockende Aussicht am Horizont, ein bisschen lockerer werden zu dürfen. Was wiederum eher angenehm ist.

Wie sind Sie auf die Figur des Onno Viets gekommen?
Hm. Zum einen wollte ich mich abgrenzen von all den magenkranken Schweden, Tourettelern und Genies, die sich in der Ermittlerszene so tummeln. Zum anderen wollte ich einen Alltagshelden, der nach gängigen gesellschaftlichen Kriterien nicht viel gilt. Qua Geburt weder mit Talent noch Mitgift verwöhnt, schlägt er sich wacker und unermüdlich gegen alle äußeren und inneren Dämonen durchs Leben, und zwar ohne Opferstatus zu beanspruchen. Ein Sozialtypus, der gar nicht so selten ist, davon bin ich überzeugt. Ein Mensch, der sich mit Händen und Füßen dagegen wehren muß, zum ökonomischen (Stör-)Faktor herabgewürdigt zu werden – wie ja seit etlichen Jahren allenthalben zu beobachten.

Wenn man sich die Literaturliste hinten im Buch anguckt, scheinen Sie sich viel mit dem Thema Gewalt beschäftigt zu haben – was hat Sie daran so fasziniert?
Mafia-Filme, Boxkämpfe und ähnliches trieben schon immer meinen Blutdruck in die Höhe. Gewalt an sich fasziniert mich und stößt mich gleichzeitig ab. Nicht phobisch oder obsessiv, aber immerhin. Hat sicher etwas mit kindlichen Erfahrungen zu tun. Nein, ich bin nicht dauernd verhauen worden – aber ein Rest der Auseinandersetzung mit jener Erniedrigung durch körperliche Unterlegenheit, die wohl viele Jungs entwicklungspsychologisch durchmachen, hat sich offenbar tief genug in meinen Muskelfasern bewahrt, dass es als Schreibimpuls ausreichte.

Viele Schriftsteller/Intellektuelle scheinen ja das Fernsehen, v.a. das Privatfernsehen, eher zu meiden. Sie lassen sich da hingegen prächtig inspirieren, wenn ich etwa an die irrwitzige Erotik-Castingshow denke, die in „Onno Viets …“ eine wichtige Rolle spielt. Schauen Sie sowas gerne oder können Sie – wie bei einem Unfall – einfach nur nicht weggucken?
Och, es gibt auch bekennende TV-Junkies unter uns. Rühmkorf zum Beispielwar meines Wissens einer. Ich bin Schriftsteller, und deshalb interessiert mich alles, was der Fall ist. Es ist also nicht nur der Schockreflex, der mich all die Unfälle wahrnehmen läßt, die das Fernsehen so initiiert. Auch Erholung, verquere Erbauung, Quellenstudium u.ä. Nicht alles recherchemäßig Nützliche ist allerdings das reine Zuckerschlecken (die sog. Kultmillionäre Geissen: echt harter Stoff), und man muss sich ja nicht überarbeiten. Das ein oder andere aber schaue ich – Gott sei’s geklagt! – phasenweise sogar mit diebischem, ja philantropischem Vergnügen. Dschungelcamp, ähem: in seinen besten Momenten herrlich unzimperliche comédie humaine, die viel weniger stark mit (Selbst-)Entwürdigung zu tun hat, als oft vorschnell in der öffentlichen Kritik suggeriert wird. Lies zudem begleitend Georg Francks „Ökonomie der Aufmerksamkeit“, und du lernst mehr über den Status Quo unserer Gesellschaft, als der FDP lieb sein dürfte.

Ihre Vorstellung eines – wie es in Ihrem Roman heißt – GFA (gelungenen Fernsehabends)?
… kommt der von Onno und Edda recht nahe. Allerdings schaue ich am allerliebsten Serien aufDVD. So einen monatelangen Vollrausch wie mit den „Sopranos“ hab’ ich leider noch nicht wieder erlebt, wenngleich „Breaking Bad“, „The Wire“ etc. echte Highlights sind.

Wird Onno Viets sich noch mal als Detektiv versuchen oder ist er nun geheilt?
Einen zweiten Onno wird es mindestens geben – schon allein, weil ich einen entsprechenden Vertrag unterschrieben habe.

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