„Gefühlt Mitte Zwanzig“: Die Woody-Allen-Komödie des Sommers

Amerikas bester Komödienregisseur, Noah Baumbach, hat seinen komischsten Film gedreht.

Für Cineasten könnte 2015 ein Noah-Baumbach-Jahr werden. Gleich zwei Filme des vielleicht eloquentesten Komödienregisseurs seiner Generation – Kritiker vergleichen ihn schon mit Woody Allen – kommen in diesem Jahr in deutsche Kinos. „Gefühlt Mitte Zwanzig“ mit Ben Stiller und Naomi Watts startet im Juli, Ende des Jahres folgt dann „Mistress America“, für den er wie schon bei der von der Nouvelle Vague inspirierten Indie-Komödie „Frances Ha“ das Drehbuch mit seiner Partnerin, Greta Gerwig, geschrieben hat, die auch wieder die Hauptrolle übernahm.

Früher nannte man Regisseure wie Baumbach ‚Auteur‘

Auch in Sachen Produktivität scheint der 45-jährige New Yorker also allmählich Woody-Allen
Niveau zu erreichen. Man hatte sich bei ihm in den vergangenen Jahren an einen lockeren Zwei-bis-drei-Jahre-Turnus gewöhnt, was etwa dem Arbeitstempo eines Regisseurs entspricht, der seine Drehbücher noch selbst schreibt und nicht Woody Allen heißt.

Früher nannte man einen Filmemacher wie Baumbach, der zugleich geistiger Urheber und zentraler Gestalter seiner Werke ist, Auteur. Mit der Idee der Autorschaft geht es seither nicht nur im US-Independent-Kino den Bach runter (ein Grund, weshalb auch ein James Franco gern belächelt wird), doch diese Arbeitsweise entspricht dem Naturell von Baumbach, der die Kontrolle ungern aus der Hand gibt und möglichst über jedes Detail entscheiden will. Darum überrascht ihn sein Tempo gerade selbst ein wenig.

„Ich sammle ständig Ideen, sei es für eine Figur, eine Geschichte oder einen Ort, der mich inspiriert“, sagt er. „Die Liste wird im Lauf der Zeit immer länger, die Ideen reifen in meinem Kopf heran. Wenn sich daraus nicht gleich eine Geschichte entwickelt, schiebe ich sie beiseite und beschäftige mich mit etwas anderem. Als Grundsatz gilt dabei: Das Material muss mich immer persönlich berühren.“

Midlife-Crisis

Es ist nicht weit hergeholt, die Midlife-Crisis-Neurosen in „Gefühlt Mitte Zwanzig“ als Selbstbeobachtung Baumbachs zu verstehen. Er und seine Hauptfigur Josh (Ben Stiller) sind etwa im selben Alter, beide leben in der Hipster-Hochburg Brooklyn, deren Demografie sich in den vergangenen 15 Jahren rapide gewandelt hat. Stiller spielt einen Dokumentarfilmer mit einer massiven kreativen Blockade. Seit acht Jahren sitzt Josh an einem Filmprojekt: Hunderte Stunden Material haben sich angehäuft, neue Fördergelder lassen auf sich warten, und die Hoffnung auf eine rettende Eingebung hat er fast aufgegeben.

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Die Schockstarre steht sinnbildlich für Joshs Leben. Josh und seine Frau, Cornelia (Naomi Watts), haben sich mit ihrer von Routine geprägten Ehe arrangiert. Keine Kinder zu haben war eher eine Fügung des Schicksals als eine bewusste Entscheidung. Nun müssen sie einsehen, dass die persönlichen Freiheiten, die sie sich dadurch erhofft haben, doch nur dieselben Beschränkungen im Alltag nach sich ziehen wie bei ihren besten Freunden, Marina und Fletcher (Maria Dizzia, Adam Horovitz), die sie nach der Geburt ihres Kindes an die „Baby-Sekte“ verloren haben. Baumbach porträtiert die Eheleute mit skrupulösem Dialogwitz und einem feinen Seismografen für Rechtfertigungsstrategien, die immer wieder auf die Einsicht hinauslaufen, dass wir alle nicht jünger werden.

Der Regisseur umkreist diese Erkenntnis in „Gefühlt Mitte Zwanzig“ mit gespieltem Fatalismus, seine ausgefeilten Dialoge vollbringen dabei das Kunststück, die narzisstischen Selbstbetrachtungen seiner Figuren als schöne Illusion vorzuführen. „Ich wollte schon länger einen Film über ein Paar machen“, erzählt Baumbach. „Aber es fand sich einfach keine gute Geschichte. Die Idee zu ,Gefühlt Mitte Zwanzig‘ kam erst viel später, als ich mir über das Selbstverständnis unterschiedlicher Generationen Gedanken zu machen begann. Aus dieser Idee entwickelte sich mein Thema: Wie spiegeln sich Paare gegenseitig bzw. wie existieren sie als Projektionen voneinander?“

Komödie mit leichtem Tonfall

Adam Driver und Amanda Seyfried spielen in „Gefühlt Mitte Zwanzig“ das jüngere Pärchen, das Josh und Cornelia tatsächlich ziemlich alt aussehen lässt. Auch Jamie ist Dokumentarfilmer, schießt seine Filme aber unbekümmert aus der Hüfte. Darby stellt ihr eigenes Bio-Eis her. Sie führen ein Boheme-Leben, an das Josh und Cornelia sich kaum noch erinnern können. Ihr Tattoo am Handgelenk ist ein unscheinbares Indiz.
Darbys und Jamies Hipsterwelt ist komplett analog eingerichtet (was Baumbach in einer pointierten Parallelmontage durchspielt) – das Frühstücksei kommt von einer Lege­henne im Wohnzimmer. „Seine Plattensammlung sieht aus wie meine, nur dass meine aus CDs besteht“, erzählt Josh begeistert, ein typischer Baumbach-Satz.

Die Freundschaft zwischen den beiden Paaren liefert ihm diverse Steilvorlagen für Comedysituationen, die für seine Verhältnisse ungewöhnlich konventionell sind und eher auf körperbezogener Komik als auf dem kultivierteren Prinzip seiner früheren comedies of manners basieren. Cornelia besucht mit Darby einen HipHop-Tanzkurs, in dem sie albern zu einem 2Pac-Stück
herumspringen, später nehmen die vier an einer Ayahuasca-Session teil, bei der Josh und Cornelia sich die Galle aus dem Leib kotzen.

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„Gefühlt Mitte Zwanzig“ hat einen entschieden leichteren Tonfall als Baumbachs existenzialistische Krisenfilme der Vergangenheit, deren stoischer Humor immer latentes Unbehagen bereitete. Man erkennt seine Handschrift vor allem an den feinen Nuancen in den Beschreibungen des Ehealltags und der entlarvenden Sprechweise seiner Figuren wieder. „Ich verstehe alle meine Filme als Komödien“, antwortet er auf die Frage, was ihn an mis­anthropischen Typen wie dem von Ben Stiller gespielten Greenberg aus dem gleichnamigen Film von 2010 oder dem passiv-aggressiven Familienvater Bernard Berkman (Jeff Daniels) aus „Der Tintenfisch und der Wal“ so fasziniere.

Jeder Mensch hat seine Grümde

„Auf viele Menschen wirken diese Figuren unangenehm, ich empfinde sie aber als echt. Sie sind komplexer und dadurch natürlich schwieriger zu durchdringen als die Durchschnittstypen, denen man sonst im amerikanischen Kino begegnet. Ich käme trotzdem nie auf die Idee, sie als unsympathisch zu bezeichnen. Ich halte es eher mit Jean Renoir, der einmal über seine Figuren in ,Die Spielregel‘ sagte: ,Jeder Mensch hat seine Gründe.‘ Und genau darum verdienen sie unsere Aufmerksamkeit.“

Was Baumbachs Figuren trotz ihrer auffällig unsozialen Anwandlungen erträglich macht, ist auch ein Gefühl von Vertrautheit, das sich in seinen Filmen unwillkürlich einstellt. Sie durchzieht eine unterschwellige Nostalgie: durch Musik (Gerwigs wilder Tanz zu David Bowies „Modern Love“ in „Frances Ha“), Licht (die sublime 80er-Jahre-Mattheit in „Der Tintenfisch und der Wal“) oder die Orte, die Baumbach unauffällig, aber durchaus bewusst wie Erinnerungsträger inszeniert. Es ist eine Nostalgie ohne Anflug von Sentimentalität – dafür mangelt es Baumbach einfach am nötigen Pathos. Auch im Gespräch klingt er reserviert, fast wie eine seiner Figuren, die bei jedem Satz um die richtigen Worte ringen. „Es hilft mir, eine enge Verbindung zu dem Material und den Arbeitsprozessen zu spüren. Da­rum drehe ich bevorzugt in Brooklyn. An Orten, die ich kenne.“

In Park Slope, wo die Familie Berk­man aus „Der Tintenfisch und der Wal“ lebt, ist Baumbach aufgewachsen, und man merkt dem Film, der aus der Sicht der Kinder erzählt, seine Verbundenheit zu dem Viertel an. „Ich habe als Kind in diesen Straßen gespielt“, so Baumbach. Seine Eltern ließen sich scheiden, als er noch klein war, auch diese Erfahrung hat er in dem Film verarbeitet. Dennoch will er nicht als autobiografischer Filmemacher verstanden werden, ein persönlicher Bezug ist für ihn als Erzähler vielmehr die Grundvoraussetzung dafür, dass seine Geschichten glaubwürdig klingen. „Viele meiner Ideen gehen zurück auf Erfahrungen aus meiner Kindheit, das beschäftigt mich bei meiner Arbeit ständig“, sagt er. „Ich kann diesen Zustand gar nicht genau beschreiben, aber an vertrauten Orten zu drehen hilft diese Erinnerungen wachzurufen.“

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Entdeckung: Adam Horovitz

Baumbachs Bedürfnis nach einem vertrauten Umfeld spiegelt sich auch in der Wahl seiner Schauspieler wider. „Gefühlt Mitte Zwanzig“ ist nach „Greenberg“ sein zweiter Film mit Stiller, mit seiner Ex-Frau, Jennifer Jason Leigh, hat er ebenfalls zweimal gearbeitet („Margot und die Hochzeit“, „Greenberg“), und „Mistress America“ ist bereits Gerwigs dritte Hauptrolle. „Wenn ich mit Schauspielern gute Erfahrungen gemacht habe“, erklärt er, „interessiert es mich einfach, verschiedene Aspekte unserer Beziehung gründlicher zu erforschen. Außerdem arbeite ich gern mit bestimmten Persönlichkeitstypen.“

Eine tolle Entdeckung in „Gefühlt Mitte Zwanzig“ ist Adam Horovitz, besser bekannt als Ad-Rock von den Beastie Boys , in der Rolle des glücklichen Familienvaters Fletcher. Eine Figur, die das Image des berufs­jugendlichen HipHoppers sehr schön konterkariert. Horovitz fügt sich zudem gut in Baumbachs Ensemble mittelalter Männer und Frauen ein, so wenn er sich in einer Szene über Joshs neuen Jugendkult lustig macht: „Du bleibst trotzdem ein alter Mann mit Hut!“ Der Satz aus dem Mund eines Beastie Boy umschreibt sehr treffend die beiläufige Verschränkung von Biografie und kulturellen Phänomenen, die Baumbachs subtilen Humor ausmacht. „Adam ist schon lange ein guter Freund“, sagt der Regisseur. „Natürlich weckt sein Name gewisse Assoziationen, aber mir war es wichtiger, dass er zu der Figur passt, die ich mir unter Fletcher vorgestellt habe.“

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Popkulturelle Bezüge spielen in Baumbachs Filmen ohnehin eine zentrale Rolle. „Ich habe ständig Songs im Kopf, wenn ich an einem Skript sitze“, sagt er. „Manchmal sogar bevor ich überhaupt an einer konkreten Szene arbeite – wenn ich weiß, dass ein Stück zum Ton des Films passt. Das ist ein Aspekt meiner Persönlichkeit. Musik ist für mich genauso wichtig wie die Farben, die Kamera oder der filmische Stil.“ Songs tauchen in seinen Filmen sowohl als Träger von Erinnerungen auf als auch als performative, vitalisierende Kraft – etwa wenn Josh in „Gefühlt Mitte Zwanzig“ mit Cornelia zu 2Pac (übrigens auch so ein homegrown Brooklynite) in ihrer Küche einen seltsamen HipHop-Tanz aufführt. „Pumping“ nennt Jamie dieses euphorisierende Hochgefühl. Euphorisierend wirkt auch der Einsatz eines Stücks, für das Baumbach ganz tief in die Klamottenkiste einer vorironischen Ära greift: „Eye Of The Tiger“ von Survivor. „Ich erinnere mich noch an die Zeit, als das ein schlechtes Stück war“, sagt Josh bewundernd, und dieser Satz ist einerseits ziemlich lustig, aber auch ein bisschen deprimierend, weil die „Rocky“-Hymne ihn als Angehörigen einer kulturellen Vorzeit entlarvt. Und dass Josh sich anschließend mit wippendem Gang von Jamie entfernt, macht es nicht besser. Ein alter Mann mit Hut.

 

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