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Mit dem Trend zu Heimat und Hausgemachtem will man der Globalisierung Einhalt gebieten. Doch ist der Rückzug auf die lokale Nische wirklich mehr als sentimentale Nostalgie? Professor Michael Großheim über die moralische Flexibilität der kapitalistischen Marktwirtschaft.

Schwarz-Grün geht sehr wohl – zumindest, wenn es um unser Konsumverhalten geht. Da bahnen sich eigentümliche Koalitionen an, die möglicherweise zukunftsweisend sind. Renate Künast (Grüne), die ehemalige Verbraucherministerin, erklärt uns, daß jeder etwas für mehr Beschäftigung in Deutschland tun könne: Wir sollten uns überlegen, wo die Produkte hergestellt werden, die wir kaufen. „Die Babypuppen kommen alle aus China, die Strampler aus der Türkei, die Turnschuhe aus Vietnam. Das gibt es alles auch von deutschen Herstellern.“ Unserem neuen Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) liegt daran, auf den „Zusammenhang Zwischen Arbeitsmarkt und Kaufverhalten“ aufmerksam zu machen: Man könne den Urlaub auch in Deutschland verbringen, es sei nicht nur in der Karibik schön, sondern auch an der Ostsee und im fränkischen Weinland. Also bei Tisch zukünftig Sachsenwald statt San Pellegrino? Im nächsten Urlaub Usedom statt DomRep?

Was uns hier nahegelegt wird, praktizieren Unternehmen im kleineren Rahmen schon einige Zeit mit Erfolg. Man muß nicht gleich an jenen selbstbewußten Bekleidungshersteller aus Baden-Württemberg und seine hemdsärmeligen Auftritte im Fernsehen denken (eine seiner Produktgruppen trägt den Titel „Sympathie für Deutschland“). Eine große Kieler Konsumgenossenschaft

bietet seit Anfang 2005 in ihren Supermärkten unter dem Titel „Unser Norden“ 150 Artikel an, die alle in Norddeutschland hergestellt oder verarbeitet ¿werden, und das Ergebnis reizt zur Nachahmung. Die Konkurrenz im Südwesten setzt auf „Unsere Heimat, echt & gut“. Marketingexperten bestätigen, daß die Herkunft der Lebensmittel immer wichtiger wird. „Die Identifikation mit der Region ist für viele Kunden definitiv ein Kaufargument“, erklärt der Geschäftsführer der Kette.

Daß es dem international tätigen Geschäftsmann egal ist, wo er sein Geld verdient, wußte schon der Ökonom und Philosoph Adam Smith im 18. Jahrhundert. Dem standortgebundenen Mittelstand von heute ist das keineswegs egal, deshalb richtet sich seine Hoffnung auf einen neuen „Lokalpatriotismus“. Hansjörg Maier-Aichen, Professor für Produktdesign an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, beobachtet, daß sich „in der amorphen Sphäre des globalen Dorfes“ eine „neue Art von Lokalpatriotismus“ herausbildet – ein Lokalpatriotismus ohne Heimatverein und Folklore, rein aus rationalen wirtschaftlichen Erwägungen geboren. Tatsächlich haben wir gerade erst staatenübergreifend den Euro eingeführt, da beginnen an der Basis die Alternativen zu blühen. 51 Regionalwährungen zählte ein Mitarbeiter der Bundesbank bereits im Januar 2005. In Bremen etwa kann man mit dem „Roland“ einkaufen, in Sachsen-Anhalt mit dem „Urstromtaler“, im Voralpenland mit dem „Chiemgauer“; in Schwäbisch-Hall ist der „Heller“ in Vorbereitung, in Bielefeld der „Teutotaler“, in Düsseldorf das „Rheingold“. Der Grundgedanke ist gelebter Lokalpatriotismus: Dieses Geld gilt nur für bestimmte Zeit, d.h. es bleibt ständig in Bewegung, denn Horten wäre sinnlos. Und dieses Geld gilt nur in einer bestimmten Region, es zirkuliert in einem überschaubaren Raum und verläßt ihn nicht. Die beteiligten Firmen sind die ortsansässigen, die durch ihren Gewinn etwas für die Wirtschaftskraft der betreffenden Gegend tun; der billigere Einkauf bei einer der großen Handelsketten leistet das nicht, denn da fließt der gesamte Gewinn aus der Region ab. Das Einkaufen beim Händler um die Ecke wird so zu einem Akt des Widerstands gegen die Globalisierung.

Die Nähe gewinnt wieder an Attraktivität, und das scheint auch in krisengeschüttelten Branchen das richtige Rezept zu sein. Dafür spricht jedenfalls der in Zeiten des Niedergangs traditioneller Versandhäuser ungewöhnliche Erfolg eines Unternehmens, das seinen Kunden nicht nur Produkte verkauft, sondern Geschichten. Denn wer von uns wußte schon, daß in Altreichenau im Bayrischen Wald schlichte Federschalen aus Buchenholz seit einem halben Jahrhundert nicht hergestellt oder produziert, sondern „gefertigt“ werden? Daß die angebotenen Ledergürtel aus einem Betrieb im schleswigholsteinischen Uetersen stammen, der dort schon seit 1796 ansässig ist, die Maniküre-Instrumente aus Steinbach, einem der alten Schneidwarenzentren im Nordwesten des Thüringer Waldes, die rindsledernen Näh-Etuis seit 1864 aus Offenbach…

Der Anbieter (der uns jedoch in erster Linie als Autor entgegentritt) bedient ein neues Bedürfnis nach Herkunft, in zeitlicher wie räumlicher Hinsicht. Ein neues Interesse an Solidität, Langlebigkeit und Gediegenheit von Waren ist erwacht, das sich völlig abseits der „Geiz ist geil“-Mentalität, dem Motor der Globalisierung, auslebt. Heute, da die Globalisierung nach und nach die klangvollen Unternehmens-Namen auslöscht, deren Aura unsere Kindheit mitbestimmte, entwickeln wir Bewunderung für die Beständigkeit der kleinen Überlebenskünstler. Indem wir ihre Produkte kaufen, verschaffen wir uns ein wenig Genugtuung für den Kontinuitätskahlschlag der Globalisierung.

Lokalisierung statt Globalisierung — das scheint der letzte Rest der einstmals florierenden Konsumkritik zu sein. Doch der neue korrekte Konsum in der Nähe ist nicht ohne Kritik geblieben. Es gibt den Einspruch der Wirtschaftsliberalen. Hans-Olaf Henkel etwa erklärt uns: „Patriotismus beim Shoppen macht keinen Sinn.“ Wer zu teuer produziert, darf am Markt keine gefühlsgesteuerte Schonung erfahren, sondern muß durch Absatzeinbruch die Folgen seines Fehlers zu spüren bekommen. In den Augen der Wirtschaftsliberalen ist der Kunde ein rein rational kalkulierendes Wesen, ein egoistischer Nutzenmaximierer, dessen einziges Interesse darin besteht, so billig wie möglich zu kaufen. In gewissem Sinne haben sie recht damit. Sentimentale Rücksichten haben schon die Tante-Emma-Läden nicht retten können.

Es gibt aber auch die Skepsis der altgewordenen Konsumrebellen selbst, die ein nüchternes Fazit ihrer Bemühungen ziehen. Die Geschichte des korrekten Konsumverhaltens ist lang, von „Buy british!“ über „Kauft keine Früchte aus Südafrika!“ bis zu Künasts Plädoyer für die einheimische Warenwelt. Mit den Grünen ist der kul‘ turelle Widerstand sogar für einige Jahre an die Regierung gelangt. Aber was ist geblieben von all den Alternativen?

Zwei Kanadier, der Philosophieprofessor Joseph Heath und der Journalist Andrew Potter, haben nun mit dem „Mythos der Gegenkultur“ abgerechnet. Potter faßt die These ihres gerade auch in Deutschland erschienenen Buches „Konsumrebellen“ zusammen: „Das größte Problem der Gegenkultur ist, daß sie wirkungslos geblieben ist.“ Wirkungslos deshalb, weil sie den Kapitalismus nicht verändert hat. Tatsächlich muß man zur Kenntnis nehmen, daß in 40 Jahren Gegenkultur die Marktwirtschaft nicht schwächer, sondern stärker geworden ist. Der kritische Nonkonformismus ist inzwischen zwar im Mainstream angekommen, gleichzeitig aber selbst eine Wirtschaftskraft geworden.

Üblicherweise erklärt man das als Vereinnahmung durch das „System“, als „Ausverkauf der Ideale durch die vermeintlichen „Verräter“. So sieht sich die

Konsumkritikerin Naomi Klein („No Logo“) als „Opfer einer räuberischen Marketingmaschine“, die alle Trends der Jugendkultur aufgreift und in Futter für die Marken verwandelt: Nichts hat sich als immun dagegen erwiesen, schreibt sie, weder Punk noch HipHop, noch Fetisch, noch Techno…

Im Hintergrund wirken dabei immer noch die Analysen der Kulturindustrie, die der nach Amerika ausgewanderte Adorno vor 60 Jahren unter dem Eindruck seines Kulturschocks angesichts des weiterentwickelten Kapitalismus vorgenommen hatte: „Was widersteht, darf überleben nur, indem es sich eingliedert. Einmal in seiner Differenz von der Kulturindustrie registriert, gehört es schon dazu wie der Bodenreformer zum Kapitalismus. Realitätsgerechte Empörung wird zur Warenmarke dessen, der dem Betrieb eine neue Idee zuzuführen hat.“ Adorno und seine Epigonen haben stets suggeriert, daß dem integrierten ^Viderständigen eine Verfremdung widerfährt. Das wollen die neuen Kritiker nicht mehr gelten lassen.

Ein biographisches Beispiel: Der Ur-Hippie Jerry Rubin (1938-1994), der in den 60er Jahren seinen Protest durch Verwandlung der Welt in ein Straßentheater zum Ausdruck brachte, hatte einst von der Galerie der New Yorker Börse Dollarnoten geworfen und sich an dem phantastischen Anblick erfreut: Die Börsenmakler stürzten sich wie wilde Tiere auf die Scheine. Später, in gesetzterem Alter, wurde er selbst ein Geldgreifer und betätigte sich als Börsenbroker. „U.S. political activist turned businessman“, schreibt die „Encyclopaedia Britannica“ kurz über ihn. Vielleicht steckt darin mehr als die gescheiterte Existenz eines genialen Protest-Regisseurs, vielleicht muß man die bisher mit Selbstverständlichkeit als unvereinbar betrachteten Oppositionen grundsätzlich überdenken. Was in den letzten Jahrzehnten geschehen ist, macht vielleicht am besten das Schicksal einer in den 60er Jahren entstandenen Fotografie des Guerilla-Kämpfers Ernesto Che Guevara deutlich: Aus einer Ikone des militanten Widerstands wurde ein Werbeträger für x-beliebige Produkte unserer Zeit.

Die Flexibilität des Kapitalismus wurde wohl immer unterschätzt. Sehr klar zeigt sich das am Fall der Moral – einst die uneinnehmbare Bastion der Marktkritiker. Der Markt kann aber Moral nicht nur ertragen, er kann sie sogar als Ware anbieten. Heute ist der moralbewußte Kunde zufrieden, weil er den Kauf von Zahncreme mit einem „Lächeln für Kinder in Brasilien“ verbinden kann und den Genuß von Bier mit dem Schutz des afrikanischen Regenwaldes, weil er mit seinen Cornflakes Schulstunden für Kinder in Not mitfinanziert und mit seinem Mineralwasser etwas tut gegen Trinkwassermangel in Äthiopien. Moral ist hier natürlich kein Selbstzweck, sondern verschafft einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den Konkurrenzprodukten, denen der moralische Mehrwert fehlt. Nötig wäre hier ein mündigerer Kunde, der die Funktionalisierung der Moral durchschauen und dann mit wirklich gutem Gewissen konsumieren würde.

Der Kunde muß in doppeltem Sinne selbstbewußter Kunde werden. Nicht nur sollte er Selbstbehauptungsfähigkeit besitzen gegenüber Verlokkungen des Marktes – er sollte sich grundsätzlich in stärkerem Umfang seiner Rolle als Kunde bewußt sein. Wir sind nämlich in vielen Situationen Konsumenten, ohne es zu wissen. Daß Weihnachten, eigentlich eine Sitte des gegenseitigen Beschenkens, vor allem ein großes Geschäft ist, daran haben wir uns längst gewöhnt. Ganz ähnliche Anlässe schätzen wir aber keineswegs so ein: Schon seit langem hält uns die Blumen-Industrie am Muttertag in Atem, mit anderen Worten: Der moderne Ablaßhandel blüht, das schlechte Gewissen kann mit einem Strauß Blumen abgezahlt werden. In den letzten Jahren hat man uns einen „Valentinstag“ beschert, von dem vor allem wieder die Blumen-Industrie, aber auch die Pralinen- und Parfümhersteller profitieren. Noch neueren Datums ist „Halloween“, eine Import-Institution aus USA, an der nun die Süßwaren-Industrie partizipiert. Perfiderweise ist hier ein vermeintlicher Anspruch verkleideter Kinder auf Austeilung von Süßigkeiten kombiniert worden mit der Drohung, sich bei unspendablen Hausbesitzern mit ein wenig Randale zu rächen. Die Folge: Bereits Tage vor Halloween sind die einschlägigen Vorräte bei den Discountern ausverkauft. Wer zu spät kommt, kann sich bei fordernden Kindern auch mit Bargeld freikaufen. Die inzwischen häufiger auftretenden aggressiven Spendenaufrufe an der Haustür („Sie wollen doch ‚wohl, daß der Rettungsdienst kommt, wenn Sie mal Hilfe brauchen?“) sind nur eine andere Variante des modernen Ablaßhandels zur Gewissensentlastung.

Dank bei Müttern, Ausdruck der Verliebtheit, Beschenken von Kindern – alles moralisch hochstehende Handlungen, die kaum einen Widerspruch dulden, und dennoch geht es in allen Fällen eigentlich um die Einrichtung von Konsumzwängen, die sich moralisches Ansehen nur zunutze macht. Man kann darin dieselbe Durchdringung unseres Lebens mit ökonomischen Kategorien sehen wie im gegenwärtig grassierenden Imperialismus der Werbung. Immer mehr Räume und Zeiten werden reklametechnisch erschlossen: die Hemdkragen prominenter Sportstars in Studio-Interviews, die nackten Rücken von Boxkämpfern im Ring, die letzten Sekunden vor Beginn der „Tagesschau“, das Pflaster von Bahnhofsgleisen und -treppen, der Name von Fußballstadien, die Requisiten von Fernsehserien usw. Man könnte sagen, daß der Entdeckungsund Eroberungsfeldzug der Werbung immer mehr weiße Flecken auf der Landkarte der Welt erschließt. Die immanente Optimierung dieses Prozesses wird auf jeden Fall die (im Moment noch zahlreichen) werbefreien Flächen zur Prüfung vorlegen: Warum sollten so intensiv beachtete Objekte wie die Hand der Supermarkt-Kassiererin, die uns das Kleingeld zurückgibt, so aufmerksamkeitsverwöhnte Signale wie Verkehrsschilder oder Polizeikellen, akustisch so ungenutzt verstreichende Zeiten wie Bahnfahrten nicht werbetechnisch einbezogen werden?

„Unerträgliche Wucherungen“ – so kommentierte der nicht gerade wirtschaftsfeindliche Nationalökonom Wilhelm Röpke schon vor über 50 Jahren die damals noch gar nicht absehbare Entwicklung: „Wir dürfen nicht leugnen, daß unsere moderne Kultur von der Reklame durchdrungen wird wie keine andere zuvor.“ Aber auch hier muß man mit dem Kunden und seiner Reaktion rechnen. Wer ihm gegenüber so etwas wie Zwang anwendet, hat sich verrechnet, wie jene Werbestrategen, die in den ohnehin komplizierten Bedienvorgang der DB-Fahrkarten-Automaten auf deutschen Bahnhöfen das nett daherkommende .Angebot“ einer Reiseversicherung einprogrammiert haben, die der Passagier nicht braucht und nicht will. Oder jene Internetanbieter, die ihre Begrüßungsseite neuerdings hinter ihrem penetrant präsentierten DSL-Angebot verstecken. Der Kunde lernt dabei nur eines: routinierter zu ignorieren und schneller weiterzuklicken. Der Versuch, seine Zwangslage auszunutzen – der zum Produkt strebende Kunde will ja weiter und kann seinen Weg nicht selbst bestimmen —, rentiert sich nicht. Auch wenn der Zwang hier nur vergleichsweise dezent ist: Wenn wir kaufen sollen, ist es aus mit dem kaufen wollen. Wir müssen schon können dürfen.

Spannend wird die Situation wieder werden, wenn uns das Ignorieren von unerwünschter Werbung durch technische Hilfsmittel, etwa beim Fernsehkonsum, leicht gemacht oder abgenommen wird. Wenn der klassische Fernseh-Werbeblock stirbt, wie Medienfachleute erwarten, wird die Werbung ausweichen: auf Split Screens (links läuft das Bild weiter, rechts steht die Werbung) und auch auf „Sponsored Programming“, das in der Handlung der Fernsehserie selbst die Produkte der Sponsor-Firmen einbaut. Damit wird dem Zuschauer die Identifizierung der Werbung erschwert, d.h. er muß wiederum neue Abwehr-Kompetenz erwerben, die eines Tages von neuen Reklame-Strategien unterlaufen werden wird.

Die Universalpräsenz des Umsatzes hat der Philosoph Friedrich Nietzsche schon im späten 19. Jahrhundert vorhergesehen: ,Angebot und Nachfrage, dies zum Charakter einer ganzen Kultur gemacht: das ist es, worauf ihr Menschen des nächsten Jahrhunderts stolz sein werdet.“ Sind wir wirklich alle darauf stolz? Gibt es ein Jenseits von Angebot und Nachfrage“ (Wilhelm Röpke)?

Jemand, der in unserer Zeit den universalen Zugriff des Ökonomischen analysiert und kritisiert wie kein anderer, ist der junge Erfolgsautor Camille de Toledo, dessen Buch „Goodbye tristesse“ (Untertitel: „Bekenntnisse eines unbequemen Zeitgenossen“) gerade auf deutsch erschienen ist. Der 29-Jährige leidet unter der Atemnot in der vollendeten kapitalistischen Weltordnung. Seine Versuche, ein Fenster hinaus zu finden, wurden in unseren Feuilletons schon ausgiebig diskutiert, als die deutsche Übersetzung gerade erst angekündigt war. Verantwortlich für diesen Aufmerksamkeitsvorschuß war die Pressemitteilung des deutschen Verlages: Der Autor entstamme einer französischen Großindustriellenfamilie, zu deren Besitz auch der Lebensmittelkonzern Danone zähle („Ich bin der Erbe eines riesigen Joghurt-Imperiums.“). Das Erbe habe er allerdings schnöde ausgeschlagen und mit seiner Familie gebrochen. Damit hatte Camille de Toledo (ein Künstlername) das Zeug zum Medienhelden.

Sein Buch wurde dann aber doch nicht als die große geistige Befreiung vom Kapitalismus empfunden. De Toledo hat eben keine alternative Gesellschaft vor Augen. Ihm schwebt eher eine Revolte des Herzens vor, die uns als Subversionsstrategie für das 21. Jahrhundert eine „Romantik der offenen Augen“ vorschlägt, mit deren Hilfe wir die verschüttete Welt jenseits des Materialismus wieder erkennen könn‘ ten. Für die „taz“ handelte es sich um eine „kitschige Widerstandsfantasie“, die nur das erneute Umkippen von Politik in Pop deutlich mache. Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ fragte sich, ob de Toledo überhaupt zur Leitfigur der Linken tauge und hält die Aussichten für etwa so rosig wie im Falle Bob Dylans, der sich seiner Vereinnahmung durch politische Milieus jedweder Art schon seit mehr als 40 Jahren erfolgreich widersetzt. Mit anderen Worten: Camille de Toledo tauge nicht zur Leitfigur – von wem auch immer.

Die hohen Erwartungen vorher, die große Enttäuschung nachher – das hat auch mit der Präsentationsstrategie des Verlages zu tun. Zwei Dinge aus der Biographie des Autors stellen sich nämlich mittlerweile ganz anders dar. Erstens: Sein Großvater war nicht der Besitzer, sondern (nur) der Generaldirektor von BSN, einem Nahrungsmittelkonzern, der hierzulande nicht gerade bekannt ist, Zu dem aber auch Danone gehört, das dann in der Werbung für das Ganze herhalten mußte. Zweitens: Camille de Toledo hat kein Erbe ausgeschlagen. Er hat nur – im Gegensatz zu den anderen Familienmitgliedern – bei der Aufteilung des Erbes nichts abbekommen, und zwar nicht, weil er seinerseits einen spektakulären Verzicht ausgesprochen hätte, sondern weil die Familie sich von ihm distanziert hatte.

Das Ganze war nichts als ein erfolgreicher Medientrick des Verlages, um das Interesse für das Buch und damit die verkaufte Auflage zu steigern. Das ist die Ironie der Geschichte: Camille de Toledo ist selber den Fängen des Kapitalismus nicht entkommen — und das, obwohl er diese Gefahr auf der inhaltlichen Ebene durchaus ausführlich reflektiert: So befürchtet er etwa, ein „Pizza-Service des subversiven Gedankenguts“ zu werden.

Mit dieser Entzauberung des jugendlichen Helden der Konsumkritik werden wir zurückgeworfen auf die Versuche, durch Neubesinnung auf das Nahe Auswege zu finden. Ist die Lokalisierung eine Alternative in der Alternativlosigkeit zur Globali‘ sierung? Liegt darin eine Möglichkeit für den ansonsten ohnmächtigen Einzelnen, die auf höheren Ebenen unaufhaltsam ablaufenden, als schicksalhaft erlebten Prozesse zu unterlaufen? Wenn die Welt sich rasch und nach nicht einsichtigen Regeln verändert, dann käme es darauf an, sich in der unmittelbaren Umgebung Vertrautheitszonen zu schaffen, Reservate der Selbstbestimmung.

De Toledo hat immerhin die im Zeitalter des ökonomischen Totalitarismus entscheidende Frage gestellt: Gibt es ein Jenseits der Ökonomie? Anders gefragt: Gibt es heute noch gesellschaftliche Triebkräfte, die nicht im Letzten auf ein finanzielles Interesse zurückgeführt werden können? Die Antwort ist ernüchternd: Der ökonomischen Funktionalisierung entgeht nichts. Vor allem „Trends“ sind – besonders im Zeitalter ihrer professionellen Erforschung zu ökonomischen Zwecken – entweder selbst ökonomische Funktionen oder in solche eingliederbar. So wurde beispielsweise das von der amerikanischen Trendforscherin Faith Popcorn in den 8oer Jahren entdeckte „cocooning“ – das Bedürfnis, sich auf sein näheres Lebensumfeld, die Wohnung, zurückzuziehen und es sich dort gemütlich zu machen – glatt und mühelos in die Marketingkonzepte von Bausparkassen und Möbelfirmen integriert.

Auch das gegenwärtig zu beobachtende neue Interesse am Eigenen, auf den ersten Blick als kulturelles Phänomen durchaus imponierend, gibt bei näherer Betrachtung seine tiefgreifende wirtschaftliche Einbettung zu erkennen. Ein Beispiel: Im Bundestag brachten Grüne und SPD im Dezember 2004 einen Antrag ein, der Rundfunksendern nahelegt, in ihrem Programm die deutsche Musik mit einem Anteil von etwa 35 Prozent zu berücksichtigen. Nicht als Deutschtümelei solle das verstanden werden, sondern als sinnvolle Förderung einheimischer Künstler, so die damalige Kulturstaatsministerin Christina Weiss. Die Politik ¿will also einer in die Krise geratenen inländischen Wirtschaftsbranche zu Hilfe kommen, die sich auf dem Markt nicht mehr richtig behaupten kann. Auch bei anderen gesellschaftlichen Phänomenen, etwa dem Trend zum Urlaub im Inland, sieht es nicht anders aus: Die neueren Entwicklungen führen nicht aus der umfassenden Herrschaft des Ökonomischen heraus, im Gegenteil, sie bestätigen sie nur.

Nun ist in der Tat die Möglichkeit des Einzelnen, sich von den Zumutungen des großen Ganzen zu befreien, in den gängigen Theorien auf dem Markt des Geistes nicht gerade positiv befördert worden. Der Existentialismus wandte sich noch an den Einzelnen, der Strukturalismus blickte schon über seinen Kopf hinweg, die Systemtheorie sortierte nur noch Gruppen, und die Diskursanalyse klammerte die Handelnden ganz aus ihren Gleichungen aus. Am Ende steht dann die Überzeugung: Wir können nichts tun.

Daß die „Herrschaft des Apparats“ den Selbstgestaltungsraum des Einzelnen aufzusaugen droht, hat der Philosoph Karl Jaspers schon im letzten Jahrhundert konstatiert. Denselben Einzelnen ließ Jaspers aber immerhin trotzig rufen: „Es kommt auf mich an!“ Heute bedeutet das also, daß es vor allem auf das Distanzierungsvermögen des Subjekts ankommt. Sich-Entziehen wäre die Geste der Gegenwart: Auch wenn die florierende Wirtschaft als das nationale Schicksal ausgerufen wird – warum soll ich das mir Nahegelegte oder das vermeintlich Unausweichliche tatsächlich auch zu meiner Sache machen?

Die geistige und habituelle Emanzipation Einzelner ist der einzige Ausweg, der unter keinen Umständen verschlossen werden kann. Was sich bescheiden anhört, kann historisch durchaus gewichtige Folgen haben; aus einer winzigen Keimzelle entschlossener Aussteiger konnte etwa das Christentum zu einer Weltreligion aufsteigen. Der britische Geschichtsphilosoph Arnold Toynbee hat geschichtlichen Wandel beschrieben als einen Rhythmus von „withdrawal“ und „return“ – Rückzug einer kleinen Gruppe aus der Gesellschaft mit dem Ziel einer distanzierten, gründlichen Neubesinnung und anschließender Rückkehr in die Gesellschaft mit dem Ziel einer Veränderung der existierenden Strukturen auf der Basis einer tat‘ sächlichen, weil geistig fundierten Alternative.

Auch wenn kritische Zeitgenossen wie Botho Strauß den Außenseiter – als den Antipoden westlicher Prägung – schon zu den aussterbenden Arten zählen: Kulturelle Sezession ist der einzige Ausweg. Allerdings ein sehr anspruchsvoller, der nur von denjenigen Zeitgenossen beschritten werden kann, die ihr Selbstverständnis mit einem Motto des berühmt-berüchtigten Juristen Carl Schmitt ausdrücken würden: Jede neue Elite kommt aus Askese.“ Die Aussteiger aller Zeiten waren askesegeübt; das schützt vor den Verlockungen und Zugriffen der Wirklichkeit und ist die Voraussetzung für die Entwicklung des auch von de Toledo geforderten gesellschaftlichen „Möglichkeitssinns“ (Robert Musil).

Das Askese-Modell ist etwas für geschichtliche Ausnahmemenschen mit langem Atem, die keine Familie versorgen müssen. Was kann aber der Normal-Konsument ohne historische Ambitionen konkret tun? Wer konstruktiv sein und an die Allgemeinheit denken möchte, kann Konsumumschichtung betreiben. Dazu muß man sich die eigene Rolle, die eigene Mitwirkungsmöglichkeit klar machen. „Globalisierung“ erscheint uns in der Regel als ein Prozeß, der von wenigen Akteuren „gesteuert“ wird, während wir zu den potentiellen Opfern zählen. Von „Globalisierung“ und ihren Folgen lesen wir in der Zeitung, im Alltäglichen scheint sie uns aber fern zu sein. Umso wichtiger ist dagegen die Einsicht: Wir selbst machen mit. Wir ziehen das billigere Produkt vor, das immer häufiger nicht aus inländischer Herstellung stammt. Und dieses Konsumverhalten hat natürlich unweigerlich wirtschaftliche Folgen.

Unsere eigene Mentalität spielt also eine entscheidende Rolle. Nicht zufällig hat sich der Slogan „Geiz ist geil“ – eigentlich eine selbstbewußte Suspendierung des traditionellen Tugendkatalogs – aus dem engeren Kontext der Werbung gelöst und einen Siegeszug als Devise unserer Zeit angetreten. Streng genommen ist Geiz aber keineswegs „geil“; man kann nur konstatieren, daß Sparsamkeit unter gewissen finanziellen Bedingungen notwendig ist, mehr nicht. Wer es sich dagegen leisten kann, sollte heute nicht eine „So-billig-wie-möglich-Mentalität“ kultivieren, sondern etwa beim Elektrohändler an der Ecke einkaufen statt bei einem der Giganten, die so laut und aufdringlich mit ihren Preisen werben. Verhalten wir uns im Geiste der mittelständischen Lokalisierungskampagnen und wählen das Spielzeugfachgeschäft vor der Haustür, damit dessen Besitzerin das Geld zur Marktfrau tragen kann, die es wieder dem Fahrradhändler weitergibt usw. – konsequentes Konsumieren gegen die Abwanderung des Geldes.

Wer nicht so sehr ans Ganze denkt und vor allem seinen eigenen Freiraum zu wahren sucht, kann natürlich Konsumverzicht üben. Das muß nicht unbedingt am internationalen „Buy nothing day“ sein, man kann das auch im kleineren Kreis verabreden und etwa als wechselseitigen Geschenkverzicht zu Weihnachten praktizieren. Man sollte daneben aufhorchen, wenn – wie Ende November 2005 – die Kirchen in Frankfurt das große Geläut ausfallen lassen, weil der erste Advent als verkaufsoffener Sonntag genutzt wird. Was die Kirchen als ,Auf‘ weichung der Sonntagsruhe“ kritisieren, ist der Versuch, den Betrieb von Angebot und Nachfrage auf die letzten konsumfreien Zeitnischen auszudehnen.

Auch an anderer Stelle sollte man sich zu entziehen versuchen. Wirtschaft und Werbung sammeln heute immer mehr Daten über Kunden und ihre Bedürfnisse, um ihr Angebot immer besser anpassen zu können. Bleiben wir ihnen ein Rätsel. Entziehen wir uns ins Unergründliche, beweisen wir unsere Unkalkulierbarkeit.

Aber der Beginn stellte bereits den Zustand Scarlett Johanssons weitestgehender Entkleidung dar. Von nun an rationierte die Regisseurin Sofia Coppola diese milchweiße Haut, selbst wenn Scarlett mit Bill Murray auf dem Hotelbett lag. Peter Webber, ihr nächster Regisseur, schloß sie im „Mädchen mit dem Perlenohrring“ fast vollständig in den groben Stoff des 17. Jahrhunderts ein, einzig ihr Gesicht stach hervor, und wenn der Maler Vermeer schlußendlich ihr Kopftuch löste, wohnte dem Moment mehr Erotik inne als zehn Bo-Derek-Filmen.

Obwohl die New Yorkerin sich zum globalen Objekt der Leinwandbegierde entwickelt hat, nehmen wir mehr als die Sanduhrfigur wahr. Wenn sie mit Murray an der Bar sitzt, wirkt sie schüchtern und wissend zugleich. Ihre Zurückhaltung wurzelt nicht in bewahrter Unschuld, nein, sie hat schon Erfahrungen hinter sich und gibt sie doch nicht preis. Aus ihr spricht Intelligenz, aber sie beweist sich durch Schweigen. Eine eigenartige Attitüde in unserem Zeitalter des Geplappers.

Und es ist mehr als Pose. Sieben Jahre ist es her, da spielte Johansson im „Pferdeflüsterer“ ein Mädchen, das nach einem Reitunfall allmählich wieder Lebensmut faßt. „Sie ist 13 und kommt mir wie 30 vor“, fiel Robert Redford schon damals auf. Ein seltsames Kind, nur vergleichbar mit Judy Garland (die sie bewundert) und Elizabeth Taylor, die beide mit 13 ihr erstes Leben schon hinter sich zu haben schienen. Mit drei spielte Scarlett für ihren Zwillingsbruder Filmszenen, mit sieben sprach sie für Werbespots vor, mit acht stand sie neben Ethan Hawke auf der Bühne, mit neun belegte sie Kurse an der Lee-Strasberg-Theaterschule, mit elf feierte sie ihr Kinodebüt.

Die Besetzungschefs stießen sich immer an ihrer Stimme. „Ist sie erkältet?‘ wurde ihre Mutter gefragt, die sie damals managte (und heute auch noch). „Nein, sie redet ständig so.“ Dieses Organ, das so klingt, als hätten ihr Garbo und Bacall die Stimmbänder vererbt. Als hätte sie in der Bar schon viele Whiskys gekippt, bevor Bill Murray sich Zu ihr gesellte. Tief, kehlig, intim, jedes Wort ein Tropfen Honig, der fällt. Scarlett singe leidenschaftlich Karaoke, hört man, am liebsten „House Of The Rising Sun“. Gebt uns eine CD.

Zum Vergleich denken wir schaudernd, einen Moment nur, an Lindsay Lohan und Hilary Duff und Konsorten. Es grenzt an em Wunder, daß Scarlett Johansson all die Fallen für Kino-Teenager umschiffte, die Rollen als kreischende Schlitzeropfer und minderbemittelte Cheerleader; einen einzigen schwarzen Punkt findet man in ihrer Filmographie, „Angriff der achtbeinigen Monster“, wo sie Riesenspinnen zu Brei ballern mußte.

Man kann dem heutigen Kino unterstellen, daß es seinen weiblichen Stars als Kompensation für zunehmende Falten immer kindischere Rollen abverlangt – mit Renee Zellweger (,3ridget Jones“) und Nicole Kidman („Verliebt in eine Hexe“) als jüngste Betroffene. Scarlett Johansson ist weit entfernt von der Phase, wo Schönheit durch Infantilität ersetzt werden muß, vermittelt aber auch keinerlei Eindruck, dazu fähig oder willens zu sein. Sie wird sich keinen Klon als Ersatzteillager für erschlaffende Körperteile in Reserve halten, wie ihre Doppelgängerin in Michael Bays „Die Insel“.

Ständig teilt sich Johansson die Leinwand mit älteren Männern, viel älteren. Mit Colin Firth (24 Jahre voraus, im „Perlenohrring“), Billy Bob Thornton (plus 29, in „The Man Who Wasn’t There“), John Travolta (plus 30, „Love Songs für Bobby Long“), Dennis Quaid (plus 30, „Reine Chefsache“), Murray (plus 34), Redford (plus 47) und nun mit Woody Allen (plus 49, „Match Point“, obwohl der im Film nicht selbst auftaucht).

Psychologen mögen das auf die frühe Scheidung ihrer Eltern und die fehlende Vaterfigur zurückführen. Doch Scarlett hat noch nie ein Betthaschen oder eine Lolita gemimt, erschien der geballten männlichen Erfahrung immer ebenbürtig—die Verkörperung der feinen Differenz zwischen „frühreif und „früh reif.

Der springende Punkt ist hier wieder der Unterschied zwischen Sex und Erotik. Nackte Haut bekommen wir im Kino heute nachgeworfen, aufdringlich, substanzlos. In den 5Oern war sie noch nicht so inflationär, und die personifizierte Verführung hieß — endlich fällt der Name der Frau, mit der Scarlett nun ständig verglichen ‚wird — Marilyn Monroe. Die beiden trennt einiges, vor allem Johanssons eiserner Wille, die Kontrolle über Karriere und Privatleben in der Hand zu behalten: Selbst ‚wenn beim Pink Floyd-Konzert ihr Kopf auf der Schulter von Kollege Josh Hartnett entdeckt wird, streitet sie jegliche Romanze ab.

Aber sie und Marilyn verbindet auch viel. Die Figur, offensichtlich; schon Kate Winslet brachte die Besenstiel-Diktatur der Models ins Wanken, aber Scarlett Johansson könnte sie zu Fall bringen. Eine erwachsenere Sexualität, des weiteren, die mehr lockendes Versprechen ist als Instamatik-Befriedigung. Und, schließlich, ein zeitloser Glamour-Look. Vor jedem großen Auftritt erwählt sich Johansson eine Muse – die Monroe, die Bacall, die Harlow — und bringt diese Inspiration mit Prada oder Calvin Klein auf den heutigen Stand. Scarlett Johansson hat in den letzten drei Jahren ohne Pause zehn Filme gedreht. Auf allen roten Teppichen allen die Schau gestohlen. Die alte Gleichung „blond = beschränkt“ gesprengt. Die Welt liegt im Scarlett-Fieber. Und dann erzählt sie „Cosmopolitan“ auf die Frage nach ihrem Zuhause: „Ich erwarb ein Haus in Los Angeles, fühlte mich einsam, verkaufte es und zog ins Chateau-Marmont-Hotel. Dann habe ich einen Fisch angeschafft, weil ich auch dort einsam war. Es war ein japanischer Kampffisch namens Cassius. Ich habe alle drei Tage sein Wasser erneuert, aber als ich ihn einmal eine Woche allein ließ, bekam er eine Hautkrankheit und starb. Mir war, als wäre ich gestorben. Da buddelte ich ein Riesenloch im Garten des Marmont und begrub ihn.“

Sie arbeiten jetzt seit drei Jahren praktisch ohne Unterbrechung. Kan man das ohne psychische Blessuren überhaupt überstehen?

Ich bin ein Workaholic. Ich liebe das—von einem Filmset zum nächsten. Natürlich gab es immer mal Momente, wo ich nur nach Hause und ein paar Wochen schlafen wollte. Aber wenn ich nicht arbeite, gefällt mir das höchstens zwei Wochen lang—und dann weiß ich nicht Mister Allen, ihre zwei aktuellen Filme „Match Point“ und „Scoop“ spielen beide in London – ist Ihre Liebesaffäre mit Manhattan endgültig vorbei?

Natürlich werde ich wieder in Manhattan arbeiten. Aber London war ein so wunderbares Erlebnis, daß ich kaum erwarten konnte, das noch mal zu machen. Also mach ich’s noch mal. Es war perfekt für mich. Ich bin ja gewohnt, im Sommer in Manhattan zu arbeiten, wenn es sehr, sehr heiß und drückend ist. In London dagegen ist es kühl und der Himmel grau — für mich perfekt. Also wollte ich unbedingt wieder hin. Ich höre auch keinen Unterschied zwischen einer britischen oder irischen oder australischen oder kanadischen Stimme. Ich habe kein Ohr dafür. Sie klingen einfach alle großartig, nachdem ich so lange mit amerikanischen Schauspielern gearbeitet hatte. Wobei da kein grundlegender Unterschied besteht — wenn ein Schauspielter Talent hat, ist es egal, ob er aus England oder Amerika kommt. Allerdings, und das habe ich früher schon gesagt, haben die Engländer einen winzigen Vorteil. Ich ‚weiß nicht, ob das genetisch ist oder eine Art der Ausbildung, aber irgendwie sprechen sie auf eine Art, die einfach immer großartig klingt. Die einzige Amerikanerin in „Match Point“ war Scarlett, und die habe ich immer schon bewundert.

Haben Sie den Film aus politischen oder finanziellen Erwägungen in England gedreht? Und hatten sie für die Rolle der Nola andere Schauspielerinnen im Sinn, bevor das mit Scarlett klappte?

In England habe ich gedreht, ‚weil ich seit zig Jahren in den USA Filme mache und es dort zunehmend schwierig wird. Ich kriege das Geld schon zusammen, aber die Studios und die Leute, die einen Film finanzieren, mischen sich immer mehr ein. Sie wollen nicht bloß als Bank herhalten, sie möchten auch beim Casting mitreden. Sie wollen das Drehbuch lesen. Manche wollen sogar zu den Dailies kommen, also wenn man die Aufnahmen des Tages sichtet – so hab ich noch nie gearbeitet, und so kann ich auch nicht arbeiten. Ich lasse niemanden das Buch lesen, und ich will auch keine Vorschläge fürs Casting. Ich will das Geld im braunen Umschlag, und dann zeig ich ihnen ein paar Monate später meinen Film – fertig. In London lief die Finanzierung exakt so. Ich mußte mich nicht mit irgendwelchen Amerikanern rumschlagen, die ihren Senf dazugeben wollen.

In England ist es aber so, daß man der Steuergesetze wegen fast ausschließlich mit Engländern arbeiten darf. Wir dachten zuerst, es müßte ein rein englisches Ensemble werden und hielten uns auch daran, deswegen hatte ich für Scarletts Rolle zunächst ein englisches Mädchen vorgesehen. Dann erfuhren wir, daß nur ein bestimmter Prozentsatz aus England kommen mußte, und den hatten wir mehr als erfüllt — wir konnten also jemanden aus Amerika einsetzen. Scarlett hatte ich in zwei Filmen gesehen und von Anfang an gedacht, daß sie für diese Sache phantastisch wäre. Sie hatte gerade Zeit und war außerdem bereit, für eine sehr, sehr kleine Gage zu arbeiten. Wir können ja nicht viel zahlen, -weil die Budgets winzig sind. Ich bin da sehr demokratisch: Jeder kriegt nichts. Und die Schauspieler werden in alphabetischer Reihenfolge genannt. Egal, wie groß der Star ist – sein Rang richtet sich nach dem Alphabet. Sehr bescheiden, das alles, und sie ließ sich darauf ein, weil sie der kreative Aspekt einer Sache mehr reizt als die üblichen oberflächlichen Belohnungen des Filmbusiness.

Daß sie zwischen zwei Projekten gerade Zeit hatte, war einfach Glück. Ich hatte überhaupt ständig Glück bei diesem Film: daß es in London klappte, daß das Wetter gut war. Und jedesmal, wenn ich irgendwas brauchte, hatte ich auch Glück. Ich finde, der Film ist ziemlich gut geworden, und ich bin für gewöhnlich ein sehr strenger

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