GOODBYE, INDIE-ROCK

Nein, eine „Girlband“ sind Warpaint nicht. Sondern schlicht die beste Band, die Los Angeles 2010 zu bieten hatte. Eine der Zukünfte des Rock’n’Roll, wie sie in jeder Saison neu ausgerufen werden. Eine verdammt attraktive obendrein.

Heute, dreieinhalb Jahre später, muss man gar nicht die Frage nach dem schwierigen zweiten Album stellen, um zu verstehen, wie der Druck auf Warpaint wuchs nach ihrem famosen Debüt. „The Fool“ war damals fraglos eine der aufregendsten Entdeckungen. Oder auch: „Indie-Konsens-Album des Jahres“. Und dazu noch: Vier tolle Frauen mit interessanter Geschichte, in der Prominenz und Intelligenz eine fast glamouröse Rolle spielen (aber dazu später). Dabei ließen die vier Musikerinnen jede popcharakteristische Selbstinszenierung einfach weg -und sponnen sich mit heiligem Ernst ein eigenes Sound-Universum zurecht. Eben dieses Unprätentiöse im Anspruchsvollen, diese Verteidigung des Heterogenen mit homogener Stimme, begründete den unwiderstehlichen Reiz von Warpaint. Die undurchdringliche Schönheit ihrer Musik blieb jedoch seltsam unergründet. Stattdessen bezogen Warpaint in Interviews geduldig Stellung zu Gender-Diskursen, die den Musikerinnen im Prinzip herzlich wurscht sind.

Besonders gestresst wirken die vier nicht, wenn man sie auf die wahnsinnig lange Wartezeit bis zum neuen Album, das schlicht mit „Warpaint“ betitelt ist, anspricht. Vielleicht liegt es ja auch an der Uhrzeit – 11 Uhr morgens -, zu der wir an einer Art Konferenztisch in einem gesichtslosen Berlin-Mitte-Hotel zusammentreffen. „We’re doing business here“, sagt Stella Mozgawa durchaus ernsthaft, bevor ihr Jenny Lee Lindberg über den Mund fährt:“Oh, shut up!“ Theresa Wayman schmiert sich derweil ein Butterbrot und tunkt einen Teebeutel in dampfendes Wasser. Die Vierte im Bunde, Emily Kokal, wird erst nach einigen Minuten zu uns stoßen, sich schüchtern für ihre Verspätung entschuldigen und die meiste Zeit damit verbringen, auf einem A4-Block kryptische Gebirgszüge oder die Schraffur eines Kardiogramms oder etwas Ähnliches zu kritzeln. Schon daran lässt sich ganz gut ablesen, dass Warpaint alles andere als eine typische Rockband sind: Während sich Kokal und Wayman, also die beiden, die in den sogartigen Konzerten mit ihren Stimmen, Gitarren- und Keyboard-Spiralen den Ton angeben, weitgehend im Hintergrund halten, übernimmt die Rhythmus-Gruppe Lindberg/Mozgawa das Gespräch.

Ein Grund, warum „Warpaint“ erst jetzt erscheint, sei die Ochsentour, die das Debütalbum nach sich zog. Klar, sensationelle junge Band aus Los Angeles, ein Sound, der nicht nur psychedelische Rockmusik mit Dream Pop verschmilzt, sondern auch noch Shoegaze-Hörer, Prog-Fans und Folk-Hipster versöhnt – ein solcher Hype musste erst einmal auf unzähligen Club- und Festival-Bühnen eingeschworen werden. „Man bekommt zwar eine hochoktanige Version des normalen Lebens“, erklärt Mozgawa, „aber die Songs, die man unterwegs schreibt, handeln meist nur vom Trinken und Reisen.“ Klischees also. Kein Weg, um eine neue Platte anzugehen. Zumindest nicht für vier Künstlerinnen, die instinktiv immer zu wissen scheinen, wie sie klingen wollen. Aber müssen deshalb über drei Jahre ohne neue Warpaint-Songs verstreichen?

„Wir haben auf Flood gewartet. Ohne ihn hätten wir das Album schon vor einem Jahr aufnehmen können“, sagt Wayman. Der Brite Mark „Flood“ Ellis, bekannt vor allem durch seine Arbeiten für U2 und Depeche Mode, hatte sprichwörtlich einfach zu viel um die Ohren. Doch da sich die Perfektionistinnen einmal ihren Traum-Produzenten auserkoren hatten, blieben sie eisern bei ihrer Entscheidung. Und dass diese Wahl in Hinblick auf ein paar wichtige Trends und gezielte Impulse goldrichtig war, beweisen die neuen Stücke eindrucksvoll unaufdringlich. Mit Dub-unterspültem Drone-Rock, mit finsterem New Wave aus schwarzen Löchern voller Achtziger-Monotonie und entstellt wabernden Disco-Schlaufen, die die geisterhaften Gesänge des Quartetts in ein Kopfkino schönster Albträume à la David Lynch verwandeln.

„Flood gefiel, dass unsere Songs keine gewöhnlichen Strukturen aufweisen“, erklärt Mozgawa. „Das meiste beginnt bei uns als Jam-Session“, hakt Kokal kurz ein. Bei „The Fool“ arbeitete die Band noch im herkömmlichen Songwriter-Modus: Jeder feilte allein am Grundgerüst eines Songs. Diesmal wurden die Stücke gemeinsam Schicht für Schicht zusammengefügt. Und Lindberg ergänzt stolz: „Wir haben uns selbst in diesen neuen Zustand versetzt. Wir brauchten niemanden, der das mit uns machte.“ Also ist die Hinwendung zu beatorientierten Songs oder, wenn man so will, die Clubifizierung des Warpaint-Sounds ein bewusster Schritt?“Nein“, antwortet Stella.“Wir planen ja nichts im Voraus.“ Ganz so zufällig will Lindberg das aber nicht verstanden wissen: „Wir wollten schon, dass das Album sexier als das erste klingt. Wir wollten es groovy machen.“

Angesichts dieser Entwicklung verwundert es nicht, dass sich Warpaint in Los Angeles nur noch bedingt heimisch fühlen – eher schon in der deutschen Hauptstadt. „So was wie die Panorama Bar, wo Leute egal an welchem Wochentag bis in die Morgenstunden durchtanzen, haben wir dort nicht. In L. A. würden die meisten Leute dann auch gar nicht mehr arbeiten gehen“, meint Mozgawa. Gelächter. Überhaupt scheinen die vier Frauen neugierig zu sein, wenn es um die Berliner Elektro- und Clubszene geht. Lindberg erkundigt sich zwischendurch nach den abendlichen Ausgehmöglichkeiten und fragt, ob es den KitKat-Club noch gebe, der für seine sexuelle Freizügigkeit berühmt-berüchtigt ist. Sie habe dort einmal eine Silvesternacht verbracht.

Von der angeblich florierenden Independent-Szene in L. A. sprechen Warpaint beinahe widerwillig. Vielleicht, weil es schwer ist, etwas einzuschätzen, wozu man selbst gehört. Oder vielleicht, um sich genau davon abzugrenzen, als nächste Stufe auf der Emanzipationsleiter vom Underground-Tipp zu gereiften Kunst-Charakteren. „Wir sind erwachsen geworden, und jetzt sind da ein Haufen Kids. Wenn ich in die Coffee Shops und Clubs gehe, die ich früher oft besucht habe, begegne ich nur noch selten einem Bekannten“, sagt Lindberg. Kokal hält sich vorerst bedeckt: „Als wir anfingen, gab es keine nennenswerte Szene. Heute kann ich es kaum beurteilen“, holt dann aber doch zu einem präziseren Erklärungsversuch aus: „In unseren frühen Zwanzigern wollten wir herausfinden, wer wir wirklich sind und wo wir zusammen hinwollen. Dann wurde alles sehr professionell und wir arbeiteten hart an unserem Ziel.“ Von Nachahmern, die sich ebenfalls an narkotischem Psych-Rock mit aufgeweichten Songstrukturen versuchen wie etwa das Londoner Trio Daughter oder die neuseeländische Depri-Chanteuse Tamaryn, kurz: von der Konkurrenz, die eine so starke musikalische Vision, wie Warpaint sie verfolgen, allein aus plattenfirmenstrategischen Gewinngründen auf den Markt schleudert, haben sie nichts mitbekommen. „Es gibt keinen Wettbewerb“, versichert Mozgawa, die als Einzige nicht aus den USA stammt, sondern in der australischen Metropole Sydney aufwuchs und sich noch gut an die vergiftete Atmosphäre in der dortigen Musikszene erinnern kann. „Da gab es Gruppen, die Erfolg hatten, Gruppen, die Glaubwürdigkeit hatten, und welche, die weder das eine noch das andere vorweisen konnten. Es war sehr gehässig. In L. A. schützt niemand seine Karten vor fremden Blicken. Keine Band nimmt eine andere als Bedrohung wahr.“ Lindberg fügt hinzu „L. A. ist wie ein riesiges Transplantat – Leute kommen von überall her. Dementsprechend herrscht mehr Respekt untereinander.“

Den Respekt hatten sich Warpaint ja schon früh verdient, schon als hämische Musikjournalisten etwas von der Red-Hot-Chili-Peppers-Connection posteten oder in Features so taten, als könne sich eine Band mit ausschließlich weiblichen Mitgliedern nur mit männlicher Hilfe den Weg nach oben bahnen. Und natürlich war es nicht zum Nachteil, dass John Frusciante, der mit Kokal einige Zeit liiert war, ihre erste EP, „Exquisite Corpse“, produzierte. Und es ist auch kein Geheimnis, dass ausgerechnet Frusciantes Nachfolger bei den Chili Peppers, Josh Klinghoffer, den sphärischen Gitarren-Sound von Warpaint mitprägte. Aber wer würde behaupten, dass es für eine moderne Indie-Band imagefördernd ist, mit Alternative-Rock-Opas wie den Red Hot Chili Peppers ins Bett zu steigen? Infamerweise könnte man sogar spekulieren, dass sich Warpaint so lange mit dem zweiten Album Zeit gelassen haben, um diese aus Promosicht sicher eher hinderlichen Verflechtungen vergessen zu machen.

Derzeit hat die Band wieder einigen Tourneestress zu bewältigen, was die leicht verschlafene Stimmung während unseres Gesprächs erklärt. Bis auf Mozgawa, die immer mal wieder ihren Rücken streckt, als wolle sie ihrem Selbstbewusstsein durch diese Morgengymnastik Ausdruck verleihen, kauern die anderen drei in ihren grauen, sesselartigen Sitzgelegenheiten. Lindberg stülpt sich die Kapuze ihres Pullovers über, checkt via Smartphone E-Mails und würde wahrscheinlich viel lieber auf dem Hotelzimmersofa rumlümmeln und die aktuelle Folge irgendeiner HBO-Serie streamen – klinkt sich aber dann doch in den überraschendsten Momenten wieder ein. „Es ist schon eine besondere Situation, wenn wir auf Tour sind“, resümiert Wayman. „Wir sind ständig zusammen, sitzen uns gegenüber und schauen in die immer gleichen Gesichter.“ Die vier tauschen unvermittelt Blicke miteinander. Zwei, vielleicht drei Sekunden. Ein Moment magischen Schweigens. Bis Lindberg es nicht mehr aushält: „Dann mach einfach die Augen zu!“

Der letzte Satz geht erst in leisem Kichern, dann in einer munteren Quasselei unter. Er hat aber durchaus auch eine metaphysische Ebene, wie die Band am nächsten Tag, genauer gesagt in der nächsten Nacht im Neuköllner Heimathafen demonstriert. Da schluckt der sonic noise die teils morbid-ätherischen Oberflächen, mit der Warpaint auf ihren Alben betören. Links und rechts der Bühne meditieren Wayman und Kokal über ihren Instrumenten, transzendieren das, was Lindberg und Mozgawa von hinten an hypnotischen Beats nach vorne pumpen. Nur die verhaspelten Ansagen stören den Fluss und wirken sowieso unnötig in dieser halluzinatorischen Musik, die keine Erklärungen braucht. Weil man bloß die Augen schließen muss, bis man zu sehen beginnt: Zuerst ein dunkles Glühen, unendlich entfernt, wie das schwache Glimmen einer Verstärkerröhre, dann ein immer stärker, ultraviolett durchpulstes Glasfasernetz, in dem sich diese Musikerinnen satellitengleich umkreisen und sich verschlüsselte Signale senden, die sich – wie bei großer Kunst häufig – nie vollständig enträtseln lassen.

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