Grandezza des Erwachsenseins

Warum wird man popmusiker? Um sich als Sklave der musikindustriellen Maschinerie krumm zu ackern und alle zwei Jahre brav neues Material abzuliefern, dessen Entstehungsgeschichte es dann in anonymen Hotelzimmern mit unzähligen Journalisten zu erörtern gilt? Wohl kaum. Und doch gibt es nur wenige Musiker, die sich vorsätzlich den Zwängen des Betriebs verweigert haben. Kevin Ayers war so einer. Und auch der ehemalige Aztec-Camera-Songschreiber Roddy Frame findet es ganz und gar nicht selbstverständlich, alle 24 Monate ein neues Album bewerben zu müssen. Es verwundere ihn doch sehr, dass alle fragen, warum er acht lange Jahre hat ins Land gehen lassen, bevor nun endlich ein neues Werk erscheint. „Schon komisch“, nuschelt er in schönstem Schottisch, „ich wollte eigentlich immer Musiker werden, um ein entspanntes Leben zu haben und nicht dauernd schuften zu müssen. War wohl eine Fehleinschätzung.“

Die Sache mit dem „Funktionieren“ war Frame schon in jungen Jahren suspekt. Grinsend erzählt er, dass sich das „Knife“-Album letztlich auch seiner Unverlässlichkeit verdankt: „Ich hätte eigentlich auf USA-Tour sein müssen, aber ich hatte ein Mädchen kennengelernt, dem ich nach New Orleans hinterhergereist war. Da hockte ich dann rum, hörte ununterbrochen Bob Dylans ‚Infidels‘, eine meiner Lieblingsplatten, und rauchte Gras. So kam es dann letztlich auch dazu, dass Mark Knopfler, der ‚Infidels‘ produziert hatte, auch der Produzent von ‚Knife‘ wurde.“

„Seven Dials“, das jüngste Werk Frames, ist nicht nur seine erste Platte in acht Jahren -es ist zugleich seine beste Songsammlung seit den frühen Glanztaten von Aztec Camera. Aufgenommen wurde das Album im Studio seines alten Kumpans Edwyn Collins. Vollkommen analog versteht sich, was man den zehn Songs in jedem Moment anhört. Vor allem der Gesang klingt grandios: „Meine Stimme hat heute mehr Charakter und ich sorge mich nicht mehr um schiefe Töne, wenn die Haltung stimmt. Aber wenn Edwyn nicht all diese tollen alten Mikros und Kompressoren hätte, wäre es nur halb so gut geworden.“ So sympathisch Frames Bescheidenheit auch ist: Die Vorstellung, es könnte 2014 ein besseres Singer/Songwriter-Album erscheinen, fällt arg schwer. „You gotta stop and look around“ heißt es im Eröffnungssong -und genau das ist es, was Frame hier tut: Er hält inne, entspannt sich und beobachtet das Fließen des Flusses – zu den schönsten Melodien, die man sich denken kann. Vom elegischen Crooner-Pop „White Pony“ über den Westcoast-Gruß „Postcard“ bis hin zum Folk-Picking v o n „From A Train“ ist „Seven Dials“ von Gelassenheit und Klarheit geprägt. Was hätte der junge Roddy Frame der „High Land, Hard Rain“-Ära wohl zu dem Album gesagt? Frame lacht: „Oh, ich glaube, er hätte die Platte gemocht. Wahrscheinlich wären ihm die Texte nicht rätselhaft genug gewesen. Wenn man jung ist, mag man es gerne kryptisch. Das war auch bei mir so: Ich habe vorsätzlich nebulöse Texte geschrieben. Aber der warme analoge Sound, der hätte den jungen Roddy wohl begeistert.“

Dem „jungen Roddy“ wiederum durfte Frame im vergangenen Winter noch einmal begegnen: Im Dezember spielte der Mann aus East Kilbride anlässlich des 30. Jubiläums des Aztec-Camera-Debüts mehrere Konzerte, bei denen „High Land, Hard Rain“ in Gänze dargeboten wurde. „Ganz ehrlich: Ich habe mir die Songs für die Konzerte nach langer Zeit mal wieder angehört -und ich war ziemlich beeindruckt“, gibt Frame zu. „Es ist schon irre: Einige der Songs habe ich mit 15 geschrieben, aber sie fühlen sich immer noch richtig für mich an. Mir ist nur bewusst geworden, wie viel beweglicher meine Hände damals gewesen sein müssen, als ich diese Gitarrenparts aufnahm.“ Im Januar feierte Roddy Frame seinen 50. Geburtstag. Probleme mit dem Älterwerden hat das einstige Wunderkind des Postcard-Labels indes nicht: „Ich war ein verdammt ernster junger Mann. Und heut e empfinde ich jede Form von Ernsthaftigkeit als extrem abtörnend. Ich habe neulich diesen italienischen Film ‚La Grande Bellezza‘ gesehen. Da gibt es diese Szene, wo der Hauptdarsteller seinen 65. Geburtstag feiert. Er liegt mit einer jüngeren Frau im Bett. Plötzlich holt sie ihren Laptop raus -und er haut ab. So fühle ich mich: Ich habe keine Lust mehr, Dinge zu tun, die ich nicht tun will, auch wenn zahllose jüngere Menschen diese Dinge für richtig halten.“ Sehr wahrscheinlich stehen keine großen Tourneen zum neuen Album an. Umso mehr sollte man sich an Roddy Frames neuer Platte erfreuen. Zumal nicht auszuschließen ist, dass die nächste erst in acht Jahren erscheint.

RODDYS SOLOWERK

THE NORTH STAR (1998) Mit einem Rest der gloriosen Melancholie der letzten Aztec-Camera-Alben bestreitet Frame sein Solodebüt.

SURF (2002) Unterschätztes, intimes Akustikalbum, das mit „Over You“ und „Surf“ zwei seiner schönsten Liebeslieder enthält.

WESTERN SKIES (2006) Der Titelsong versprüht die typische Frame-Magie, andere Stücke suchen dagegen etwas bemüht nach Veränderung.

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