Heia Norge – Das Hoch aus dem Norden

Madrugada, Bigbang, Mctorpsycho, Midnight Chair die Liste -wird immer länger, NORWEGEN schickt sich an, Erfolgreicher Exporteur exotischEr Popmusik zu WErden,. Dass nicht nur die Musikszene nach höchst eigenwilligen Gesetzen funktioniert – davnn konnte sich der RDLLING-SToNE bei einem LokaltErmin in Oslo sin Bild machen.

Es sind oft weite Wege zu den Wundern dieser Welt. Wer nun, mal ein wenig theoretisch gesprochen, am 59. nördlichen Breitengrade lustwandelt und ziemlich genau zwischen dem elften und zwölften Längengrad östlich von Greenwich Halt macht, wird seinen Ohren kaum trauen. Die Augen, so sagt man, kann er getrost schließen, denn das Städtchen Halden ist ein ungastlicher, wenig schöner Ort. Aber es gibt dort einen mit Holz getäfelten Raum, der heißt Athletic Sound Studio, und von dem träumt eigentlich jeder Musiker der Welt.

Karim Sayed muss das wissen. Denn er hat dort Schlagzeug spielen dürfen, „und so einen Drum-Sound gibt es kein zweites Mal. Als wir in Amerika unser Album gemischt haben, hat Jay Mancino, der ja immerhin schon für Miles Davis und Kiss den Toningenieur gemacht hat, fast die Fassung verloren und wollte das Studio sofort kaufen.“ Da hat er aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Jener sagenhafte Ort nämlich liegt eine gute Autostunde südlich von Oslo, zwar an der schwedischen Grenze, aber halt noch in Norwegen. Und einem Norweger etwas abzukaufen, das der mag, ist wahrlich nicht so leicht. Wenn der Norweger dann auch noch Musiker oder Musikliebhaber ist, kann man die Sache eigentlich getrost vergessen.

„Wir sind ein Volk von Individualisten, unter unseren Künstlern gibt es reichlich viele Könner“, sagt Karims Bandkollege 0ystein Greni, „aber man sucht vergeblich nach guten Geschäftsleuten.“ Worüber er, der vor sieben Jahren Bigbang gründete und als deren Sänger, Gitarrist und als einzige personelle Konstante bis dato auch leitet, sich offenbar ein kleines bisschen ärgert. Aber das merkt man den Menschen aus diesem riesigen Land mit derart wenigen Bewohnern nie so richtig an. Was allerdings mittlerweile keinem mehr entgehen kann, ist die Qualität des (noch) exotischen norwegischen Exportgutes Rockmusik. Ganz klammheimlich und weitgehend unbemerkt außerhalb der gut gesicherten Landesgrenzen hat sich im Reiche König Olafs eine gute Hundertschaft exquisiter Musiker auf den Weg gemacht, zuerst die Heimat und danach den Rest der Welt zu erobern.

Nicht mit der Stoppuhr allerdings. Wenn Zeit Geld ist, sind die Norweger noch reicher, als sie das Nordseeöl ohnehin schon gemacht hat. Da kam vor anderthalb Jahren eine Band ans Tageslicht, die acht Jahre im Proberaum verbracht hatte, bevor sie an ein

erstes Demo-Tape auch nur dachte. Und im Vertrag mit ihrer major Company ließen sich die Herren dann ein Jahr Arbeitszeit fürs Debütalbum schriftlich garantieren. In Deutschland, England und Amerika hätten sie danach garantiert das Arbeitsamt von innen kennen gelernt. In Norwegen jedoch avancierten Madrugada noch vor a-ha zum weitaus erfolgreichsten Newcomer aller Zeiten. Jeder 55. Landsmann besitzt mittlerweile ihr Album „Indmtrial Silence“, und auf dessen Nachfolger „The Nightly Disease“ wartete das ganze Volk so sehnlich wie die kleinen Kinder auf den Weihnachtsmann. Aber die vier Freunde trinken noch immer am liebsten Bier.

Ein Freitag abend, kurz nach zehn. Es ist kalt in Oslo, die Girls frieren in ihren superkurzen Röckchen und tragen trotzdem keine Hosen, weil Wochenende ist. An einem dieser zwei freien Abende muss die Saga von den stets und ständig betrunkenen Nordmännern (und mittlerweile auch den Nordfrauen) entstanden sein. Die ganze Woche, so versichert man oft und gern, sei das Volk ein braves und arbeitsames und voller Disziplin. Ab Freitagnachmittag hat mindestens die Jugend genug davon und will ihr Geld verprassen. Was in Oslo, wie auch im Rest des Landes, nicht sehr schwer fällt.

Robert Buräs trägt zwei Glas Bier durch die Kneipe: macht mal eben 25 Mark. Und ist fast schon ein Schnäppchen, denn hier im „So What“, dem hangput Nummer 1 für Rockmusiker der Stadt, geht man mo derat mit der Stammklientel um. Die Zigaretten, die Robert Kette raucht kosten aber auch hier 20 Mark, pro Schachtel, versteht sich.

Vollbeschäftigung und Phantasiepreise, staatlich beschütztes Leben von der Wiege bis zur Bahre und endlose Landschaften statt Slums: Auf den ersten Blick erscheint einem Norwegen als das Rock-feindlichste Land, das man sich denken kann. Und trotzdem bringt das Vier-Millionen-Völklein seit langem nun – und in den letzten Jahren in beinahe schon beängstigender Serie – Bands und Interpreten der Sonderklasse hervor. Im Segment Rock scheint dem abgelegenen Land mittlerweile nur Amerika noch Paroli biete n zu können – und selbst da sollten wir uns lieber nicht so sicher sein. Ein kurzer Blick in die großzügig unter den Sammelbegriff „Skandinavien“ gestellten, norwegischen Produkte in Oslos zahlreichen Plattenläden lässt uns gut 20 Namen entdecken, von denen wir nicht wissen, ob sich Perlen vom Schlage Madrugadas oder Bigbangs darunter befinden.

Einen Tag später wissen wir zumindest, dass nichts dagegen spricht. Nachdem Bigbang als bekannteste von drei Bands den Konzert-Abend an Oslos Universität auf eigenen Wunsch eröffneten (der Platz des Letzten ist hier, anders als in England und Germanien, an Wochenenden der mit Abstand unbeliebteste, weil man nicht gern vor restlos betrunkenem Publikum spielt), betraten Ricochet die Bühne. Eine Offenbarung wie schon Bigbang, mit Psychedelia im Stile der frühen Stooges, nur eben zum halben Tempo der Vorbilder verdonnert. Das mögen sie hier sowieso. Speedkings haben in Norwegen einen schweren Stand, die Jugend liebt musikalische Kriechspuren, und das trifft nicht bloß auf die gesetzteren Jahrgänge zu. Ob Madrugada oder Motorpsycho, Midnight Choir oder Bigbang, Ricochet oder Ai Phoenix, St Thomas, Salvatore, Sketch oder Monopot, der kreative Nukleus hat sich offenbar auf Langsamkeit als Konsens geeinigt. Womit das erste Merkmal norwegischer Rockmusik, nach deren Charakteristika zu suchen doch schwerer als vermutet ist, immerhin mal umschrieben wäre.

Im „So What“ zeitigt die nordische Lethargie inzwischen Wirkung. Könnte schon sein, so sagt man uns, dass der Samstag doch ein weit besserer Tag ist. Der Abend davor jedenfalls leidet unter Rhythmus-Störungen. Die Musik aus den Boxen tut ein Übriges, über 80 bpm kommt keines der Stücke hinaus.

Robert, Sivert,Jon und Frode sind im roten Ledersofa versunken und halten sich mühsam wach. „Das da eben“, kommentiert Jon den vor sechs Minuten vorbei geschlürften Jüngling, „war der Schlagzeuger von Pilote, unserer bevorzugten Support-Band.“ Der hat, anders als seine Freunde, die erste Platin-Platte noch vor sich und kellnert für die Karriere. In Norwegen wenigstens ein einträglicher Job. Was hier indes für fast jede bezahlte Beschäftigung gilt.

Dabei geht der Wohlstand vielen gegen ihre Ideale. Bigbangs Karim Sayed jedenfalls findet die große soziale Hängematte seiner Heimat „manchmal auch hinderlich. Wenn du hier jahrelang so vor dich hin probieren kannst, ohne etwas zu riskieren, dann geht dir ganz leicht irgendwann der Biss verloren.“ Warum das allerdings keinem der Kollegen je passiert, weiß Karim nicht zu sagen. „Schon möglich“, mutmaßt sein Bandleader 0ystein, „dass unsere Musik-Szene auch etwas mit der grundsätzlichen Mentalität dieses Volkes zu tun hat.“ Womit der entscheidende Punkt zwar genannt, aber noch nicht definiert wäre. Was also ist es nun, das norwegischen Rock über den guten Durchschnitt erhebt?

Wenn etwa Sivert Hoyem diese Frage hört, dann schwant ihm Böses. Dumme Klischees über sein Land gibt es schließlich im gleichen Überfluss wie das öl aus der Nordsee. „Es sind nicht die langen Winter, es ist nicht die endlose Landschaft, nicht die vielen Gläser Bier und Schnaps und auch nicht die Einsamkeit, die unseren Sound bestimmen.“ Was dann? „Vielleicht das unbedingte Streben der Leute hier nach Individualität.“ Was hinter hermetisch dichten Grenzen, welche selbst ein Standard-Brief nur mit Zollsiegel nach doppelter Prüfung passieren darf, bislang ganz vortrefflich zu gelingen scheint Fast jede der mittlerweile gut zwei Dutzend hoffnungsvollen Bands, über die Oslos Jugend spricht, hat sehr, sehr lange im eigenen Saft geschmort, bis die Einflüsse der großen Brüder aus Amerika und England nur noch Dekoration waren. Und eines eint Norwegens Musikanten nach dieser durchstandener Klausur: Sie sind beinahe alle langsam geworden und haben sich in Töne in Moll verguckt Sie sind alles, nur nicht skandinavisch. Dem Nachbarn Schweden, dessen Pop-Industrie zur drittstärksten ökonomischen Kraft im Lande avancierte, zollen sie Respekt für seine guten Zahlen. Roxette 8C Co. möchte man trotzdem nicht geschenkt haben. Schon weil die aus dem Osten seit Jahrhunderten so mitleidig herunterschauen auf die stolzen Norweger. Und die Finnen? Die sind sowieso alle verrückt Sympathisch, klar, aber eben keiner Tradition verpflichtet, nicht einmal, vom heimischen Tango abgesehen, einer fremden. Da kaufen sie in Norwegen lieber Leonard Cohen und Tom Waits zu Platin-Ehren und freuen sich, wenn das in irgendwelchen abgelegenen Fjorddörfern nördlich des Polarkreises Nachahmer auf den Plan ruft, die am Ende viel zu stolz sind, um bloß Nachahmer zu bleiben.

Vbr irgendeinem Pub in Oslo kotzt irgendein Zecher in den Rinnstein, wischt sich übers Gesicht, lächelt uns freundlich an und bestellt drinnen das nächste Bier. Niemand kuckt hin, keiner wundert sich. Es ist Samstag, zwölf Uhr mittags. Wochenende eben. Exzesse in zwei Tagen. Abends wird im Keller des „So What“ der Teufel los sein. Man und frau haben solide vorgetrunken, das „billige“ Zeug aus dem Supermarkt daheim, dann geht’s auf die Piste. Gerne in alten Ami-Schlitten, die sonntags dann zu Dutzenden auf ihre Abholer warten. Was allerdings die Amis sich aus den Boxen um die Ohren wehen lassen, hat hier keine Konjunktur. In Oslos Straßen dominieren tiefgekühltes Pathos und Trauermärsche – und ein Tango und eine Polka hier und dort. Lieder, zu denen niemand weinen kann, sind Mangelware. Geigen, singende Sägen, Seufzerorgeln, Akkordeon und Slide Guitar hingegen haben viele Fans.

Die Band-Biografen haben hier nicht viel zu schreiben. Ein paar Zeilen reichen schon, denn eigentlich haben sie alle als eingeschworene Clique aus engsten Freunden angefangen, haben ihre ersten Träume diskutiert und Songs geschrieben, auf stundenlangen Fahrten mit dem Schulbus in die nächste so genannte Stadt, und haben auch beschlossen, als gute Freunde eines Tages zu enden. In grauer Zukunft oder eben frühen wenn es das Schicksal will. So etwas kann man eigentlich gar nicht beschließen. Wenn man kein Norweger ist.

Das Quartett von Madrugada hat sogar mutig Blutsbruderschaft getrunken, vor kaum zehn Jahren, und wenn sie voneinander sprechen, die Musiker aus Norge, dann wähnt man sich recht leicht im Kreise ehrenhafter Rittersleut. Die Vokabel „Konkurrenz“ scheint unbekannt, das Wort Respekt indes ist in aller Munde. Gern schreibt Drummer Jon von Madrugada auf, wen es im Zirkus der Gladiatoren seines Landes noch anzuhören lohnt, fast fällt die Werbung für die Kollegen von Ai Phoenix geschäftsschädigend für die eigene Band aus. Dann bringt Sivert sogar noch die CD vorbei, weil hier im „So What“ hinter der Bar ja gleich das Label Racing Junior residiert. Ein Kabuff nur, aber eins mit Potenzial.

Oslo hat viele solcher kreativen Nester – für fast jedes Genre eines. Die rege Jazz-Szene um den Betreiber desJazzland-Labels Bugge Wesseltoft trifft sich im „Cafe Blä“, die Punks traditionell erst mal auf der Straße und der Rock’n’Roll eben im „So What“. Wer sich auskennt, kann hier an jedem Samstag mindestens ein Dutzend Plakatsestalten aus den Schaufenstern der Plattenläden entdecken. Gekreische und Gejuchze sind aber selbst von fündig gewordenen Teens nicht zu hören. Der Norweger glaubt an den Humor und sogar daran, welchen zu besitzen. Zu Albernheit aber neigt er nicht Zur Starrköpfigkeit hingegen sehr. Besonders unter Musikern grassiert diese Tugend und ist dabei inzwischen zum großen Stolz ihrer Besitzer geworden. Da wird Musik manchmal zur Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Nein, die EU kann ihnen gestohlen bleiben, dass ein VW Golf hier zu S-Klasse-Preisen gehandelt wird, ist auch egal, regnen tut es gar nicht so oft, und der Walfang gehört halt nun mal zu Norwegen, weil der Walfang immer schon zu Norwegen gehört hat So einfach ist das, und deshalb klingt auch der Rock aus Oslo, Trondheim, Tromsö, Hammerfest immer sehr nach früher und trotzdem geheimnisvoll anders. „Arctic Panorama Rock“ hat mal ein Kritiker zu Madrugada geschrieben, und das Quartett ist sich einig, diesen Terminus schlicht blöd zu finden. Sie mögen das hier nicht, wenn anderen zutreffende Beschreibungen zur norwegischen Tonkunst einfallen. Sie mögen es ja sogar gern, sich selbst ein Rätsel zu sein und zu bleiben.

Und dennoch lässt es sich Streit und Zwietracht säen unter Wikinger-Musikanten. Man braucht z. B. nur die Hauptstadtfrage zu stellen. Dann werden sie mindestens ironisch, die dicken Freunde. „Wahrscheinlich bin ich der letzte, echte, gebürtige Osloer hier in der Musikergemeinde dieser Stadt“, grinst 0ystein Greni, „alle anderen sind inzwischen kriminell geworden, die besuchen wir immer, wenn wir im Knast Konzerte geben.“ Karim steht uns mit Erklärungen bei: „Es gibt, ehrlich gesagt, sehr wenige Bands aus Oslo. Die meisten sind bloß hierher gezogen, weil die Plattenfirmen ihre Zelte halt nicht unbedingt am Nordkap aufgeschlagen haben.“

Hört sich doch ganz prima, fast nach meltingpotan. „Für Oslo ist das aber gar nicht lustig“, meint 0ystein und grinst nun auch nicht mehr. „Die Leute kommen

aus den kleinsten Käffern an den Fjorden und wollen sich nun wie die Städter benehmen.“ Also schlecht. „Und dann rennen die hipster und magazine people hier nun und reden Übles über die Stadt und wollen ihre Kinder überall, aber auf keinen Fall hier groß ziehen.“ Nein, er hätte die boomende Metropole lieber etwas familiärer, „so wie früher“. 0ystein ist übrigens 26, das nur nebenbei.

Die Zugereisten haben vom Problem noch nichts gehört. Sagen sie. Sagt auch Jon von Madrugada, der mit den Freunden „nahe Bodo bei den Lofoten in einem Dorf mit 23 Häusern“ aufwuchs und sich nun „in Oslo schon recht wohl“ fühlt. Nur ein bisschen langsam sei sie halt, die Stadt. Man hat es also selber schon bemerkt. Bald wird die Band deshalb umziehen, nach Berlin. Angst vor dem Verlust des ureigenen Sounds hat niemand von ihnen. Schließlich ist man ja felsenfest davon überzeugt, keine norwegischen Weitblicke und Horizonte zu vertonen. Das glauben ja immer nur alle anderen.

Die haben auch bislang geglaubt, Oslo besitze eine beneidenswerte Szene. Ja doch“, beschwichtigt 0ystein, „das ist auch so. Ich wollte die Situation gar nicht schlecht reden. Wir haben hier crleirh mehrere sehr nette Musiker-Gemeinden. Da sind die Punks, die Jazzer, die Elektroniker und die Rocker, mit denen wir auch rumhängen.“

Und wenn sie da so rumhängen und Gespräche führen, länger als die Wiener im Kaffeehaus, und kleine Vermögen an der Bar lassen, dann kommt uns doch der Verdacht, diesen Norwegern gehe es ungeheuer gut, und ihre Melancholie müssten sie woanders klauen als aus dem Alltag. „Reichtum macht nicht glücklich“, 0ystein hebt den Finger, „und auch bei uns gründest du keine Band, wenn du Geld machen willst.“ Berichte von generösen Zuschüssen des Sozialstaates für junge, hoffnungsvolle Musiker seien zwar „nicht bloß Gerüchte. Die geben schon mal Kohle für ’ne Tournee oder bauen uns Übungsräume. Aber es ist komisch: Du kriegst das Geld eigentlich immer erst angeboten, wenn du’s dann wirklich nicht mehr brauchst“

Staatliche Investitionen also, keine Subventionen. Das Land hofft auf die Wiederholung des schwedischen Modells. In den Stockholmer Wirtschafts-Statistiken rangiert die Popmusik, wie gesagt, bereits an dritter Stelle der wichtigsten Exportgüter. Das hätten die Norweger auch gern. Nur eben anders. Mit Qualitätsmusik. Nicht mit Plastik-Pop. Pfui.

Das wäre auch nicht gut fürs Image. Das des Landes und das seiner Künstler. Die norwegischen Rock-Artisten mögen die Pose des poor lotiesome cowboy, die des Steppenwolfs und die des einsamen Kämpfers. Und sie sehen ihre eigenen Gesichter nicht sehr gern auf Plattenhüllen. Popstar wird mit solchen Schrullen und Marotten niemand.

Norwegens Rocker wohnen auch am liebsten in der Abstellkammer neben dem eigenen Studio und nicht in Villen mit Fjordblick. Das Studio bauen sie dann wahrscheinlich abends selbst. So wie 0ystein, der seit Monaten neben einer Baustelle lebt und seitdem noch ein bisschen glücklicher ist. Da werden über Sivert Hoyem, die eindrucksvollste Stimme Norwegens, schon heiter-giftige Bemerkungen unter Kollegen fallig. Der wohnt nämlich im Hotel, seit ihm seine Ex den baldigen Auszug antrug. Für Musik-Malocher beinahe schon ein Rückfall in den Feudalismus. Dabei hat das Haus nur drei Sterne und nicht mal weiße Decken auf den Frühstückstischen.

Sich den Ruf zu ruinieren gilt unter norwegischen Musikern als die größt mögliche Schmach. Keiner von ihnen wird müde, von langen und sehr, sehr langen Tourneen zu schwärmen und in glühenden Versen die erträumten Früchte harter, ehrlicher Arbeit zu besingen. Drei Monate lang sind Madrugada dereinst durch ihr Land getingelt, in dem es mehr Städte zu geben scheint als alle glauben.

Nach dem Abschluss-Konzert auf Spitzbergen, dem jeder fünfte der ca. 1500 Inselbewohner beiwohnte, konnte kein Landsmann noch behaupten, er hätte sie nicht erleben können. Dafür gab es dann Platin. Klar, dass man den Rest Europas nun ebenso zu erobern gedenkt. Drei Tourneen durch Deutschland haben die vier schon hinter sich, die letzte war ausverkauft,,Für uns gibt es somit keinen guten Grund“, lächelt Jon, „an unser Konzept nicht weiter zu glauben.“

0ystein glaubt noch ein btsschen weiter. Vorerst muss Bigbang noch wie jeder newcomer mit Vergleichen leben und sich, nicht eben ehrenrührig und auch gar nicht mal so falsch, in die Schar der Byrds-Nachfolger sortieren lassen. „Wenn es aber irgendwann immer mehr Bands geben wird, denen Musik heilig und das Konzert eine Messe ist, wenn da also lauter so Leute wie G. Love durch die Welt reisen, dann entwickelt sich eine zweite Pop-Kultur neben der Fast Food-Musik. Und an der werden wir uns beteiligen.“ Er und die anderen Norweger. Nach dieser Brandrede entringt sich sogar dem ansonsten stummen Munde des Bassisten Nikolai ein brummiges „Yeah!“

Wir freuen uns ganz unverhohlen auf die schleichende Invasion. Auf Songs im Sprengformat von mehr als zehn Minuten, von denen dennoch keine langweilt. Auf die Rückkehr der 12-saitigen Gitarre, wie 0ystein sie spielt, oder den spartanisch cleveren Einsatz von Wahwah und Univibe, wie Robert Buräs ihn pflegt Auf Bands, die wie Bigbang „keine Lust haben, vom Publikum in sterilen Hallen fern gehalten zu werden, weil wir einfach Lust haben, uns auf die Schulter klopfen oder auch ins Gesicht spucken zu lassen“. Auf so herrlich mürbe Songs wie die des Midnight Choir, auf Liebeleien zwischen Rock und Trance und Uralt-Elektronik wie von Sketch oder Motorpsychos glamourösen Dunkelrock. Auf die fragile Stimme, mit der uns Ai Phoenix das Warten aufs nächste Portishead-Album vergessen lassen und auf eine Band, die sich selbst Salvatore und ihre Songs allesamt kleine Remineszenzen an die großen Krautrock-Tage – „Clingfilm“, „Tango Urilla“ und „Schneekaos“ nennt und die besten Can sind, die es außer den echten Can je gab.

Als wir morgens kurz nach drei den Keller des „So What“ verlassen, weil norwegisches Stehvermögen schließlich langjährige Erfahrung und auch ein wenig Training erfordert, da haben wir an einem Tag mehr schöne Musik gehört als hier in einem halben Jahr. Es waren auch erstaunlich viele Deutsche, Dänen, Engländer, Österreicher und Holländer unterwegs aufs Oslos Piste.

Und keiner war zufällig hier. Und alle kommen wieder. Wir freuen uns seither über weiße Umschläge mit zwei grünen Zoll-Aufklebern und unglaublich teuren Briefmarken drauf: Musik von den Fjorden. Der Monat ist wieder gerettet.

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