ROLLING-STONE-Hausbesuch bei Prince: Heiß, heilig und high im Paisley Park

Wie Prince, der einsame König von Minneapolis, mit der Kraft der Musik die Welt retten will: unsere Titelgeschichte aus dem August 2010.

Im August 2010 besuchte Joachim Hentschel, damals stellvertretender Chefredakteur beim ROLLING STONE, die heiligen Hallen des Pop: den Paisley Park – um Prince zu treffen, der anlässlich der Veröffentlichung seines Albums „20Ten“ eines seiner raren Interviews gab. Die CD „20Ten“ lag damals exklusiv dem deutschen ROLLING STONE bei.

Heiß, heilig und high

Um die heikelste Frage gleich zu beantworten: Ja, sogar die Kabinen der Gästetoiletten in Paisley Park sind lila. Lila wie der „Purple Rain“ und das Doppel-LP-Cover von „1999“, wie die Husarenmäntel und Disco-Stierkämpferhosen, die Hausherr Prince trug, wenn er in besten Zeiten mit seinem Publikum öffentlich Liebe machte. Lila wie die Streifen und Logos, die er im Frühjahr 2006 auf die Fassade eines von ihm gemieteten Anwesens in West Hollywood malen ließ. Wofür er damals vom Basketballspieler Carlos Boozer verklagt wurde, dem Besitzer, der bei der Farbauswahl sicher gern mitgeredet hätte.

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Dagegen sieht Paisley Park – das Ton- und Videostudio, Hauptstadtbüro und Lustschlösschen, das Prince sich 1987 in Chanhassen bei Minneapolis errichten ließ – von außen mehr wie ein Baumarkt aus. Die Gebäudefront ist leer, kein Schriftzug, kein Banner mit dem Liebessymbol, das zeitweise der Prince-Rufname war, kein bisschen Lila – dabei hat der Ort nichts Geheimes an sich. Bis vor vier Jahren konnte man die Studios ganz normal mieten. Telefonnummern, technische Daten und virtuelle 360-Grad-Hausführungen stehen heute noch im Internet, obwohl die Leitung längst tot ist. Auch Partys hat er hier veranstaltet. Große, exotische Festgesellschaften, zu denen jeder kommen durfte, der im Mail-Verteiler war und nachts noch nichts vorhatte.

Bis Prince im besagten Frühjahr 2006 die lila Köfferchen packte, nach Los Angeles zog, seine Fanclub-Website vom Netz nahm, einen Nightclub in Vegas eröffnete, im Jahr darauf eine Sommerhälfte lang in London auftrat und weitere Abenteuer fern der Heimat erlebte. Für viele Musikfreunde dürfte es zwar weiterhin die größte Überraschung sein, dass es Prince Rogers Nelson, 52, überhaupt noch gibt, dass er im Jahr 2010 eine neue Platte namens „20TEN“ und eine Europatour gemacht hat. Er, der wunderliche kleine Satansengel des Funk-Sex-Pop, einer der größten Superstars, die zwischen Punk und Techno passten, der Michael Jackson für Coole, der geschätzte 100 Millionen Alben verkauft hat. Der Geniekult, den Prince um sich selbst herum errichtete, wirkte zeitweise albern und realitätsfern – allerdings zog er ihn konsequent genug durch, um später die Früchte zu ernten: Sein Konzept war nie zu fassen, keine seiner Ideen waren vorhersehbar, auch nicht die schlechten. Deshalb bürgt auch das 27. (oder 28. oder 29.) Prince-Album noch für sonderbare Spannung: Was wird er diesmal tun?

„Admission is Easy“

Für die Eingeweihten ist die eigentliche Nachricht 2010, dass Prince wieder in seine Geburtsstadt Minneapolis heimgekehrt ist, zurück nach Paisley Park. Den Parkplatz gefegt, die Möbel entstaubt, die Duftkerzen wieder angezündet hat.

Reports state US musician Prince has died

„Admission is easy, just say U believe“, sang er 1985 in dem Song, der dem Studio den Namen gab, aber natürlich braucht man mindestens eine Einladung, um reinzukommen. „Clerks“-Filmregisseur Kevin Smith hat die grandiose Geschichte erzählt, wie er 2001 eine Woche in Paisley Park verbrachte, um auf Wunsch des Künstlers eine Dokumentation zu drehen (man findet Smiths Rede auf YouTube). Er sah Prince angeblich kaum, bekam trotzdem öfter rätselhafte Regieanweisungen überbracht, da der Meister den Dreh über versteckte Mikrofone belauschte. Der Wie-krass-ist-das-denn-Tonfall, in dem Smith seinen Bericht hält, ist pflichtschuldig: Man gefällt sich beim ungläubigen Kopfschütteln. Man wäre enttäuscht, würde der sprichwörtliche Sonderling keine Extrawünsche oder bizarren Benimmregeln vorbringen, wäre er pünktlich und logisch (und wären die Klokabinen weiß oder schwarz).

So gesehen läuft beim ROLLING-STONE-Termin alles nach Plan. Tag und Uhrzeit werden über Wochen im Ungefähren gehalten, nächster Freitag sei allerdings ausgeschlossen. Donnerstagmittag dann die akute Nachricht: doch Freitag! Nach dem Flug durch die Zeitverschiebung, am St. Paul International Airport, meldet sich die englische Prince-Sprecherin mit Details zum Treffpunkt – im Chanhassen Holiday Inn werde man abgeholt, wenn es Zeit sei. Streng verboten in Paisley Park, schon immer: Aufnahmegerät, Fotoapparat. Notizblock ginge gerade noch, auch der bereite Prince schon Bauchschmerzen. Weil er es lieber sieht, wenn man sich später an das erinnert, was von allein im Kopf geblieben ist. An die Vibes.

Was dann passiert, ist selbstverständlich so crazy, bizarr und total abgefahren, dass man es – wie Kevin Smith – nur in der ersten Person Singular erzählen kann. Der Erlebnisaufsatz: Mein Nachmittag mit Prince.

Fast egal, wen man in Minneapolis trifft: Jeder hat seine Prince-Geschichte, die er unbedingt erzählen will. Oder muss. Das Mädchen im Café war natürlich nie ein echter Fan, ließ sich von der Schwester nur mal zu den Paisley-Partys mitnehmen. „Wir standen stundenlang auf dem Parkplatz, plötzlich öffnete er die Tore. Und ich stand so nah bei ihm …“ Der ägyptische Chauffeur, der am Flughafen auf einen Fahrgast wartet, gibt mir gleich die Nummer seines Cousins Mohammed: „Fragen Sie ihn nach Prince! Der saß früher immer in seinem Restaurant!“ Ja, der Junge sei oft mit Freunden ins Java gekommen, bestätigt der Cousin. Meistens habe er sich nur einen Kaffee für 50 Cent bestellt, dann heißes Wasser aus der Küche. „More water! More water! Hat er bekommen, obwohl er zahlenden Gästen den Sitzplatz wegnahm. Zwei Jahre später schlage ich die Zeitung auf und fass es kaum: That Prince guy!“

„Jeder behauptet mein Cousin zu sein“

Die Fahrt geht über den Minnesota State Highway 5, von Minneapolis raus nach Chanhassen, dem 24.000-Einwohner-Vorstädtchen, in dem Prince zwischen den vielen Parks und Seen zwölf Grundstücke besitzt, für die er ab und zu Steuern nachzahlen muss. „In den 70ern, als wir aus Ägypten hierher kamen, war das alles noch Farmland!“ schwadroniert Mohammed am Telefon. Dafür wollten bald alle in der Stadt seine Gyros-Sandwiches haben. „Wenn man nichts hat und daraus etwas macht – darauf kann man stolz sein! Genau wie Prince: Er war ein Niemand, und dann … Boom!“ Was ich ihm ausrichten soll: „Er soll mal wieder im Java essen! Das ist er mir schuldig!“

„Also erstens: Jeder behauptet, mein Cousin zu sein“, sagt Prince, schon mal ganz schön rätselhaft, als ich ihm – eine halbe Stunde und etliche Verwicklungen später, die hier jetzt zu weit führen würden – im kühlen, von hohen Deckenfenstern beleuchteten Atrium von Paisley Park die Nachricht überbringe. „Und zweitens: Ich trinke gar keinen Kaffee.“ Ein gruseliges, dreistimmiges Kichern antwortet vom Nebentisch: „Hi hi hi!“ Die drei Backgroundsängerinnen Shelby J, Liv Warfield und Elisa Fiorillo spielen die griechischen Sirenen, tuscheln halblaut untereinander, geckern, wenn Prince etwas andeutungsweise Lustiges sagt, stecken dann wieder die Köpfe zusammen.

Um die Ecke im Studio B sitzt noch ein belgischer Journalist, der das neue Album hört, sonst: Keiner da. Kein Staff, kein Bodyguard, keine persönliche Assistentin. Paisley Park, mit seinen lila Teppichen, Sonnenmustern, lotusblütenförmigen Sitzkissen, vergoldeten Tischbeinen und anderen Acessoires, die man aus 80er-Mädchenzimmern wiederzuerkennen glaubt, ist riesig, leer und still. Trotz aller Helligkeit: unheimlich.

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Marc Ducrest/Montreux Jazz Festi picture alliance / dpa
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