Helden der virtuellen Gitarre

Wozu noch Gitarre lernen? Es gibt doch Guitar Hero. Innerhalb weniger Jahre haben Musik-Games wie "Rock Band", "Singstar" und „"Guitar Hero" einen beispiellosen Triumphzug angetreten. nicht nur für die Game-, auch für die Musik-industrie eröffnen sich gänzlich neue Perspektiven. auch wenn Ozzy Osbourne noch immer nicht gelernt hat, die Game-Gitarre richtig zu bedienen...

Wenn Heidi Klum schon damit herumfuchtelt, muss es wohl massentauglich sein. Ende 2008 turnte Deutschlands beliebteste Mädchenquälerin gewohnt affig in einem „Guitar Hero“ Werbespot herum. Der Clip bewies drei Dinge. Erstens: „Guitar Hero“ muss schon richtig viel Geld verdient haben.

Zweitens: So wie sie sich bewegt, hat Heidi Klum keine Ahnung von Rock’n’Roll (okay, das wusste man auch schon nach der Wahl ihres Ehemanns). Drittens: Das Game ist auch bei nicht vorhandener Musikalität spielbar.

Die Welt scheint derzeit im Musikspiel-Rausch zu sein. Ein paar Zahlen verdeutliehen die kommerzielle Wucht des Phänomens „Guitar Hero“: Seit dem Start der Serie sind weltweit 23 Millionen Einheiten des Spiels verkauft worden. Bis heute spielte „Guitar Hero“ 1,6 Milliarden Dollar ein. Davon entfiel allem eine Milliarde auf den dritten Teil „Legends Of Rock“ – das erste Mal, dass ein Spiel überhaupt diese Marke durchbricht. Aber auch die ähnlich gestrickten Konkurrenzprodukte wie „Rock Band“ und „Singstar“ verkaufen annähernd in diesen Dimensionen. Zudem muss man bedenken, dass es sich bei den Genannten mitnichten um schlichte 40-Euro-Computerspiele handelt. Für eine „Guitar Hero“-Box gibt der Verbraucher für Spiel und Plastikgitarre rund 100 Euro aus. Auch dazu muss man erst mal bereit sein.

Für den Novizen: Das Spielprinzip von „Guitar Hero“ und „Rock Band“ ist denkbar simpel: Auf dem Bildschirm läuft während des Songs ein Fließband, auf dem Tastenkombinationen gefordert werden. Diese muss der Spieler auf einem Controller oder einem Plastikinstrument (Gitarre oder Schlagzeug) möglichst rhythmisch korrekt ausführen. Das war’s. Aber offensichtlich bedient „Guitar Hero“ das Verlangen des normalen Zeitgenossens perfekt, zumindest einmal im Leben Rockstar zu sein.

Games

Zudem wird die Liste der Prominenten immer länger, die „Guitar Hero“ ein Gesicht geben. Abgesehen von Heidi Klum fallen einem spontan AC/DC,Aerosmkh und Guns N‘ Roses ein. In diesem Monat folgen Metallica, deren Werken eine komplette „Guitar Hero“-Folge gewidmet sein wird. Hier kann sich der Benutzer an eher unkomplizierten Hits wie „Enter Sandman“ und „Nothing Else Matters“

versuchen, aber auch strukturell rätselhaftere Werke wie „Whiplash“ und „One“ erforschen.

In „Guitar Hero: World Tour“ stellte Ozzy Osbourne seine Songs und seinen Körper zur Verfügung. „Die wollten jemanden, mit dem sich die Leute identifizieren können“, sagt der Mann, der einst eine Linie Ameisen schnupfte, nur um zu sehen, ¿was passiert. Allerdings ist Ozzy ¿wahrlich kein naheliegender Videogame-Star. Er selbst spielt überhaupt nicht. (Wobei er sich gern an Pong und Pac-Man erinnert, oder an Tetris – „das eine mit den Ziegelsteinen, das meine Frau ständig im Bett gespielt hat.“) Man könnte außerdem einwenden, Ozzy sei gar kein wirklicher Gitarrist. Aber vielleicht macht ihn gerade das zum idealen Repräsentanten eines Spiels, bei dem ja niemand tatsächlich Gitarre spielt.

Wie um diesen Aspekt zu illustrieren, weigert er sich mitzumachen, als ein Demo-Team von Activision, der Mutterfirma von „Guitar Hero“, das Equipment in seinem Heim in LA. aufbaut, um ihm das Spiel zum ersten Mal zu zeigen. Stattdessen spielen drei Activision-Angestellte Schlagzeug, Gitarre und Bass und steuern Osbournes digitalen Doppelgänger durch seinen Hit „Crazy Train“.

Neben „Crazy Train“ und „Mr. Crowley“ bietet „World Tour“ noch 84 Nicht-Ozzy-Songs, vom Eagles-Klassiker „Hotel California“ bis zu „Spiderwebs“ von No Doubt. Es tauchen zwar noch weitere berühmte Avatare auf- Sting, Jimi Hendrix, Billy Corgan, Ted Nugent – aber Osbournes Alter Ego wirkt besonders echt: Er sieht fast lebendig aus. Wie sein Pendant im richtigen Leben.

Es steckt eine hübsche Ironie in dem Gedanken, dass Osbourne in einem Videospiel auftritt: Er ist immer noch ein Rockstar, in den sich die Fans gerne selbst verwandeln würden – aber angesichts des Tributs, den die vielen wilden Jahre von seinem Verstand gefordert haben, wird man doch lieber nur vorübergehend zum Ozzy. Aber er denkt über so etwas nicht lang nach. Ihm gefällt einfach der Gedanke, dass Spieler überall auf der Welt – „sogar irgendein Kid in China!“, staunt er — bei seiner Backing Band einsteigen können, und das bis in alle Ewigkeit. „Das Tolle an diesen Video-Games ist, dass man nie alt wird“, folgert er. „Ganz schön schmeichelhaft.“

Für die Musikindustrie ist das Ganze eine lohnende Sache. Einerseits verdienen die Labels an den Lizenzen (im Schnitt 25 000 Dollar pro Titel), andererseits wird hier eine wunderbare Werbeplattform für die Künstler geboten: Wer es auf eine „Guitar Hero“-Setlist geschafft hatte, verkaufte nachher auch mehr Einheiten seiner eigenen „echten“ Platte.

Neu ist die Verquickung von Computerspiel und Rockmusik nicht. Bereits für den C 64 gab es Titel, bei denen man eine Rockstar-Karriere planen musste. Maßgebend für die Entwicklung der Musikspiele der jüngeren Generation ist vor allem das Studio Harmonix, das in den 90er Jahren für Konami Spiele wie „Dance Dance Revolution“ oder „Beatmania“ entwickelte, die zunächst für Automaten in Spielhallen konzipiert wurden, dann aber auch als Konsolenversion herauskamen. Später kreierten sie die zwar wegweisenden, kommerziell aber nicht allzu erfolgreichen Games „Frequency“ (2001) und .Amplitude“ (2003) für Playstation 1.

Erst als die Firma Red Octane von Kai und Charles Huang 2005 eine Harmonix-Entwicklung herausbrachte, begann mit „Guitar Hero“ der Siegeszug. Schon ein Jahr später „war es dem Hersteller-Riesen Activision („Call OfDuty“, Jahresumsatz: drei Milliarden Dollar) rund 100 Millionen Dollar wert, Red-Octane und damit die Rechte an der Marke „Guitar Hero“ zu kaufen. Fortan entwickelt das hauseigene Studio Neversoft (vor allem durch die „Tony Hawk‘-Serie bekannt) neue Spiele.

Harmonix dagegen wanderte zu den ähnlich potenten Geldgebern MTV Games und EA ab und etablierte die eigene Marke „Rock Band“. Mit ähnlichem Konzept wie „Guitar Hero“, nur dass hier gleich eine ganze Band zusammenspielt, inklusive Schlagzeug und Stimme. Die Technik für Letzte- res wurde praktisch 1:1 von dem Karaoke-Hit „Sing-Star“ übernommen.

Historisch kann man zumindest „Rock Band“ und „Guitar Hero“ als neue Instrumente identifizieren, schließlich werden hier über den Umweg Konsole Töne erzeugt. Technisch gesehen sind die Controller bzw. Plastikgitarren mit den fünf bunten Knöpfen ein Tasteninstrument (durchaus ein simpler Kollege des Klaviers), die freilich Saiteninstrumente imitieren.

Wenn sich mehrere Spieler vor dem Bildschirm versammeln, wie etwa bei „Rock Band“, bildet sich damit eine kammermusikalische Vereinigung. Insofern setzen die Musikspiele unserer Zeit die im 19. Jahrhundert gewachsene bürgerliche Tradition der Kammermusik fort, populäre Werke daheim zu reproduzieren. Controller statt Geige also. Nur mit dem Unterschied, dass man statt Mozart, Beethoven und Schumann eben AC/DC und Guns N‘ Roses mit Hilfe des Mediums Computerspiel interpretiert. Und das Repertoire wächst weiter. Erst vor kurzem sicherte sich „Rock Band“ die Lizenzen an Beatles-Songs. Das dürfte noch einmal neue Käuferschichten ansprechen.

Die Vorstellung mag manchen Musiklehrer grausen – doch einige Vorteile dieser Musikspiele gegenüber klassischer Kammermusik liegen auf der Hand: Man bringt es schneller zu Erfolgserlebnissen, das Elitäre fällt weg – und beim sonst eher theoriefeindlichen Spieler wird ein Verständnis für Werkanalyse entwickelt. So kann sich auch der durchschnittlich begabte Musikinteressierte den teilweise hochkomplexen Werken Metallicas einen weiteren Schritt nähern.

Und zur Beruhigung für alle Pädagogen: Ausgedient hat die gute alte Gitarre damit noch lange nicht. Im Gegenteil. Eine Studie in Großbritannien kam zu dem Ergebnis, dass von zwölf Millionen Kindern, die einmal „Guitar Hero“ gespielt haben, 2,5 Millionen danach begannen, ein echtes Instrument zu lernen. Auch der Weg zur real existierenden und womöglich erfolgreichen „Guitar Hero“- oder „Rock Band“-Band ist gar nicht so weit, denn es gibt bereits erste Modi, die das Erstellen von eigenen Songs ermöglichen. Zumal es denkbar ist, dass mittels der jetzt breitenwirksam etablierten Technik auch neue, ernstzunehmende Kompositionsmöglichkeiten entstehen. Ob das reichen wird, irgendwann ein neues „Exile On Main Street“ oder „Sgt. Pepper“ zu erschaffen, ist natürlich fraglich. Möglich ist es dennoch. Hätte sich Ozzy zu frühen Black Sabbath-Zeiten vorstellen können, dass er einmal zur Vorlage für die Video-Imitation seiner eigenen Band wird?

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