Hol‘ doch mal den Jaguar, Phil.

Mit deutscher Gründlichkeit wird seit 50 Jahren dem unverwüstlichen G-Man Jerry Cotton ein Denkmal gesetzt

Zum 50. Geburtstag der bis heute erfolgreichsten und von vielen noch immer belächelten Heftroman-Reihe: ein Besuch bei dem mit 36 Schreibjahren und 350 gelieferten Ausgaben dienstältesten „Jerry Cotton“-Autor Horst Medrichs.

Bei Kaffee und Apfelkuchen plaudert der Krimi-Akkordarbeiter über das serielle Mordsgeschäft in der Buhnhofsbuchhandlung.

John D. High, Special Agent in Charge des New Yorker FBI, führt ein Bewerbungsgespräch mit dem jungen Jeremias Cotton aus Harpers Village, Connecticut. Zunächst mal rät er ihm, sich Jerry zu nennen, und dann warnt er ihn mit deutlichen Worten: „Sie können keinen Ruhm und keine Reichtümer bei uns ernten, aber sehr leicht Kugeln oder Messerstiche. Sie haben keine Tag- und keine Nachtruhe mehr… Und, Jerry, Sie müssen ein starkes Herz und einen festen Charakter haben.“

Die abschließende Frage, ob er „trotzdem noch bei uns eintreten“ wolle, ist dann wirklich nur mehr rhetorisch. Klar tritt er ein. Das war damals im März 1954 – 50 Jahre her! So lange schon sorgt er dafür, zusammen mit seinem besten Freund Special Agent Phil Decker, dass New York nicht ganz in der stinkenden Kloake der Kriminalität versinkt – und die Gelangweilten dieser Erde nicht vor Gram vergehen.

„Mit rund 700 Millionen Exemplaren ist Jerry Cotton die am besten verkaufte Krimiserie, die je auf diesem Globus gedruckt worden ist“, erzählt Heinz Werner Höben der maßgebliche Autor der frühen Jahre, in seiner Autobiografie „Der Mann der Jerry Cotton war“. „Meiner Kenntnis nach übertreffen nur die Bibel und die Logarithmentafel diese Auflage. Die Bibel ist nicht einzuholen. Bei der Logarithmenafel bin ich mir im Zeitalter des Computers nicht sicher.“ Das war 1996. Mittlerweile sind es 850 Millionen. Von der Logarithmentafel spricht kein Mensch mehr, und die Bibel schafft Cotton auch noch, da bin ich mir sicher.

Was der jahrzehntelang anonyme, erst 1998 als Delfried Kaufmann enttarnte Cotton-Erfinder bei John D. Highs Einsegnung des Helden skizziert, ist natürlich nicht allein das harte Los des G-man, sondern vor allem auch das des Heftroman-Autors: kein Ruhm, keine Reichtümer, aber ein ständiges Hauen und Stechen, keine Ruhe mehr, denn zwei Hefte im Monat muss schon mindestens raushauen, wer sein monetäres Auskommen haben will, und vor allem moralische Standfestigkeit. Denn immer noch entlässt kein Heft den Leser ohne die stets sehr überzeugend vorgetragene Lehre, dass sich Verbrechen einfach nicht lohnt: „Ich kam von links, aus der Finsternis, und schmetterte ihm zwei Dinger von der gleichen Güteklasse auf den Punkt, wie sie seinen Kumpel Eddy ins Traumland geschickt hatten. Mit der ersten Handkante entfernte ich die Beretta aus seiner Pranke, mit der zweiten faltete ich ihn über den Fenstersims zusammen.“

Wer hier lachen muss, der soll das ruhig tun! Horst Friedrichs, der Verfasser dieser Sätze, mit 36 Schreibjahren und über 350 Cotton-Romanen der dienstälteste und auch sonst herausragende Autor der Serie, gibt zu, dass er gern die amerikanische Hard-boiled-Schule in seinen Romanen auf die Schippe nimmt. Friedrichs wohnt in Hoya im niedersächsischen Nirgendwo, der nächste Bahnhof ist fünfzehn Kilometer entfernt Und die offenbar genauso ortsfremde Taxifahrerin verfahrt sich ein paar Mal nicht zuletzt weil sie sich sehr aufregt über die Gesundheitsreform, die ihr 90 Prozent des Umsatzes – die Krankentransporte! – geraubt habe. Schließlich kommen wir doch noch an, und vor mir materialisiert sich eine gutbürgerliche Einfamilienhaus-Idylle im Neubaugebiet mit großem Garten, gepflegtem Rasen, freundlich den Arm zum Gruß hebenden Nachbarn und einem beinahe postkartentauglichen Blick auf den nahen See.

Friedrichs wartet schon auf mich, und ein hübsch gedeckter Kaffeetisch ebenfalls. Seine Frau habe Apfelkuchen gebacken, so sei es bei ihnen Brauch, wenn die Journaille ins Haus komme. Mittlerweile bekommt er häufiger Besuch, denn er ist so etwas wie eiderstatesman und Gehirn der Serie. „Naja“, wiegelt er ab, und seine Bescheidenheit, das merkt man sofort, ist keine Koketterie, „bei solchen Jubiläumsveranstaltungen wie jetzt gerade in Bonn, da werde ich natürlich eingeladen, weil ich so lange dabei bin und die Autorenschaft ein bisschen repräsentiere.“ Vorjahren hat er gar mal ein Dossier zusammengestellt mit allerlei Wissenswertem zum Personal, dem FBI. New York, zur Geschichte der Figur etc. als kleine Handreichung für Novizen im Autorenstall. „Es gibt ja Leute, die kennen nicht mal den Unterschied zwischen einem Revolver und einer Pistole!“ Ich frage ihn, wie das alles anfing. „Ursprünglich war ich mal Import/Export-Kaufmann, das habe ich gelernt, und dann hatte ich die Gelegenheit, bei den Bremer Nachrichten als freiberuflicher Reporter anzufangen. Eines Tages, das muss 1967 gewesen, habe ich eine Anzeige des Bastei-Verlages gelesen: Jerry Cotton sucht Mitarbeiter.‘ Die Vorgabe war eine Romanidee in Form eines Exposes und 20 Manuskriptseiten Romananfang. Und damit bin ich dann gelandet Der Lektor rief an und sagte: Den Roman kaufe ich, den schreiben Sie man zu Ende. Das dauerte ein halbes Jahr, weil ich als Lokalreporter wirklich zwölf Stunden im Einsatz war, ich hatte kaum Zeit Aber der Roman war ein Erfolg und nach und nach verlagerte sich das, nach zwei Jahren kam das erste Taschenbuch, dann habe ich noch für andere Heftromanverlage geschrieben – alles, was auf dem Sektor Spannungsroman verlangt wurde.“

Wir sprechen über ein paar seiner jüngeren Veröffentlichungen. Er hebt „Todesfalle Sing Sing“ hervor, der Roman habe ihm besonders gefallen, weil er hier von der Darstellung einer Hochwasserkatastrophe stilistisch besonders gefordert worden sei. Mir gefiel „Die Tochter des Henkers“ besser – wegen des ausgefeilten Plots. Er nickt Der Roman sei auch im Jerry Cotton-Forum sehr gut angekommen. „Das ist natürlich eine schöne Bestätigung für mich. Ich habe in den letzten Jahren einfach immer weniger geschrieben, weil ich mit anderen Dingen beschäftigt bin, und dann hat es sich auch so ergeben, daß ich mit zunehmendem Alter etwas langsamer geworden bin, muss ich zugeben.“

„Weniger“ und „langsamer“ sind natürlich relative Größen für einen Cotton-Autor. Friedrichs legt immer noch eine beängstigende Produktivität an den Tag. „Wenn es gut laufen würde, dann würde ich drei Heftromane im Monat schreiben, aber das schaffe ich im Moment nicht, weil so viele andere Dinge zu tun sind. Jetzt ist es zum Beispiel so, dass ich für den Verlag auch Überarbeitungen vornehme, also Romane von Kollegen redigiere, dann mache ich ‚Cotton aktuell‘ (den journalistischen Mittelteil des Hefts) und so weiter, alles möglich was einen häufig vom richtigen Schreiben abhält“

Motivationsprobleme scheint er nicht zu kennen. „Diese viel zitierte Schreibblockade habe ich nie gehabt. Nur mal stundenweise, dass es mal nicht so läuft, vielleicht einen halben Tag oder so, und diese berühmten Rezepte dann, Spazierengehen etc., das funktioniert überhaupt nicht. Ich mache das anders, ich trenne mich dann nicht vom Text. Auch ein Erfahrungswert, ich zwinge mich weiter zu schreiben, nicht die üblichen fünf oder zehn Seiten, aber doch ein paar Sätze. Dieses Kapitulieren, das habe ich mir schon früh abgewöhnt, das führt zu Frust.“

Er erzählt von einer Lesung in einer Schule. „Das war hochinteressant, die haben sehr intelligente Fragen gestellt Eine Frage, die mich fast vom Hocker gehauen hat, kam dann plötzlich aus den hinteren Reihen. , Wie ist das eigentlich, wenn Sie so am Fließband produzieren, gibt es da eigentlich noch so etwas wie Romantik?‘ Da war ich natürlich hin und weg. Und ich

habe dann geantwortet: Natürlich gibt es das, naja, ob es so natürlich ist, ist auch die Frage, aber das gibt es tatsächlich. Das glaubt uns ja keinen dass wir dabei noch Empfindungen haben. Wenn mir eine Szene besonders gut gelingt zum Beispiel, wenn sie mir so gut gelingt, dass ich beim Schreiben anfange zu weinen.“

Man darf sich einen wirklich guten Heftromanautor wohl doch nicht als Zyniker vorstellen, der nur stumpf die Bedürfnisse der Konsumenten bedient Vermutlich ist er seiner Leserschaft ähnlicher, als man meinen sollte. Schon Höber sagte von sich: „Meine Romane gingen dem Leser auch deswegen ans Herz, weil ich sie mit Herzblut schrieb.“

Mich interessiert, wie so ein produktiver Schreibtag bei ihm aussieht „Ein guter lag fangt um neun Uhr spätestens an. Die Seitenzahl ist nicht allein ausschlaggebend, aber es ist schon ein Maßstab, ob ich fünf oder zehn Seiten schaffe an einem Vormittag. Wobei das sehr unterschiedlich ist, in der Anfangsphase eines Romans geht es bei mir und bei vielen Kollegen viel langsamer als in der zweiten Hälfte. Wenn es dann aber so ist, dass ich nicht zu viel nachdenken muss, dass der Ablauf sich flüssig gestaltet, ja dann sind zehn Seiten am Vormittag schon drin.“ Also hochgerechnet einen Heftroman pro Woche.

Friedrichs lächelt. „Na, es gibt auch Kollegen, die schreiben einen Roman in drei Tagen. Ich würde eher zu zehn Tagen tendieren, muss ich ehrlicherweise sagen. Aber es ist ja so: Je schneller der Schreibfluss ist, desto besser ist der Roman meistens. Wenn man den heißen Atem hat, oder wie immer man das nennen will, dann läuft die Geschichte sehr oft besser. Andererseits gibt es noch andere Dinge, die für mich und meine Romane wichtig sind, Überraschungseffekte, überraschende Wendungen etc. Ich mache also zuerst mal einen Handlungsablauf, dann fange ich an zu schreiben, die ersten zwei, drei Szenen, und dann stelle ich fest, die nächste Szene, die ich geplant habe, kann ich ganz anders schreiben. Diese Dinge ergeben sich so im Laufe der Handlung, und das ist für mich auch wichtig, denn nur dadurch erreiche ich ein gewisses Niveau. Ich kann von meinen Romanen sagen, dass keiner dem anderen gleicht Natürlich, die guten Jungs siegen, und die bösen verlieren, das ist klar, aber was zwischendrin passiert, das ist nie gleich. Das war immer mein Hauptbestreben, den alten Vorwurf zu entkräften, der lautet: Diese Groschenromane, das ist ja immer dasselbe!“

Ich bin ein wenig erstaunt, denn bei der Geschwindigkeit würde man eigentlich erwarten, dass die Autoren mit Schablonen, Handlungs-Schemata oder sogar Beschreibungsfertigteilen arbeiten – arbeiten müssen, um ihren Schnitt zu machen.

„Da habe ich ein Beispiel. Es gab vor 15 Jahren mal eine Serie, die hieß ‚Die Seewölfe‘, das waren Seeabenteuer aus dem 16. Jahrhundert. Der Held war auch so ein Typ wie Sir Francis Drake, kein Pirat, sondern ein Freibeuter im Auftrag der Königin. Das war zwar eine fortlaufende Romanserie, aber man musste trotzdem in jedem Heft die Figuren wieder neu vorstellen, und gerade in der Zeit gab es die ersten elektronischen Schreibmaschinen, wissen Sie, die so kleine Speicher hatten. Ein paar Zeilen konnte man damit speichern, und da habe ich gedacht Mensch, das musst du aber irgendwie ausnutzen. Also habe ich die Beschreibung des Freibeuterhelden gespeichert, einen Absatz, und da habe ich in ein paar Romane, immer wenn er an der Reihe war, diesen Absatz eingefügt. Es dauerte keine drei Wochen, da kam der erste Leserbrief. Das fällt denen sofort auf! Man kann sich gar nicht vorstellen, was die Leser alles merken. Es gibt ja auch viele Leserbriefe. Das ist im Grunde eine richtige Fan-Gemeinde. Zum Beispiel gab es jetzt gerade eine Welle von entsetzten Leserbriefen. Denn vor zwei Wochen haben wir einen Zyklus angefangen, in dem Jerry Cotton und Phil Decker sich trennen. Phil Decker verlässt das FBI, weil er einen Fehler gemacht hat, seinetwegen wurde jemand unschuldig hingerichtet. Als das durchsickerte, und dann in Konsequenz, dass Cotton als Ersatz für Phil auch noch eine weibliche Partnerin kriegt, da kamen wirklich entsetzte Brief. Naja, die sind jetzt teilweise schon beruhigt, weil sie von uns wissen, das dauert nur zwölf, dreizehn Hefte lang, dann kommt Decker zurück.“

Als ich mich über die Naivität dieser Leser mokiere – schließlich wäre eine dauerhafte Demission Deckers für Bastei so sehr marktwirtschaftlicher Selbstmord, wie wenn Adidas plötzlich nur noch mit zwei Streifen daherkäme -, unterbricht mich Friedrichs freundlich und verteidigt sein Publikum. „Naja, es gab mal eine Westernserie, die hieß ‚Ronco‘, das war zur Zeit der Italo-Western, und dieser Ronco hatte einen Partner, ein Halbblut, der hieß Lobo, und dieser Lobo bekam dann irgendwann eine eigene Serie. Es gibt für das versierte Heftromanpublikum also durchaus Beispiele, in denen so etwas passiert ist Und deshalb waren die auch wohl so betroffen. Na, ich denke, wir haben damit den gewünschten Aufmerksamkeits-Effekt erzielt“

Heftromanautoren müssen gleich mit zwei Handicaps fertigwerden, die eigentlich das Selbstverständnis des Schriftstellers im Mark verletzten. Sie arbeiten in der totalen Anonymität – Friedrichs hat sich ein wenig aus dem Serien-Schatten herausgeschrieben mit seinen über 50 Filmbüchern, nicht zuletzt den zusammen mit Jurek Becker verfassten „Liebling Kreuzberg“-Romanen – und vor allem haftet ihnen das Schund-Stigma an.

„Dieser schlechte Ruf der Heftromane hat lange Jahre für mich keine Rolle gespielt, weil ich einfach keine Zeit hatte, darüber nachzudenken. Erst im Laufe der Jahre, wenn man zu den arrivierten Autoren gehört, jedenfalls innerhalb dieser Branche, dann denkt man schon mal darüber nach, führt Gespräche mit Kollegen darüber. Okay, ich könnte nun in Trübsal ausbrechen. Wenn es denn so ist, bin ich nun mal ein Trivialautor. Ich akzeptiere das, gehe aber auch davon aus, dass Cotton gehobene Unterhaltung ist Wir müssen einfach besser sein ab unser Ruf, sonst könnten wir gegenüber dem Fernsehen, das ist ja unsere schärfste Konkurrenz, gar nicht bestehen. Ich habe aber auch den Eindruck, dass die Form des Mediums, sprich Heftroman oder harter Deckel, entscheidend dafür ist, wie die Sache beurteilt wird. Taschenbuch ist schon ein bisschen geadelt, aber wenn es dann noch ein Hardcover

ist, dann ist es auf einmal Literatur. Bei dem Symposium zum Cotton-Jubiläum in Bonn neulich hat mich sehr beeindruckt eine Antwort auf die Frage, wie man denn nun Trivialliteratur von Hochliteratur unterscheiden könnte. Da gab’s ein interessantes Argument von Dieter Wellershoff, dem Schriftsteller, der da sagte: Wenn ich Trivialliteratur kaufe, wird meine Erwartung bestätigt. Ich weiß also vorher, was da läuft. Gehobene Literatur andererseits zeichnet sich dadurch aus, dass die Erwartung durchkreuzt wird. Man weiß also vorher nicht, was passiert. Ich habe gerade über diese Äußerung lange nachgedacht, und ich habe das ja vorhin bereits angedeutet: Mein Bestreben ist es auch immer, dem Cotton-Leser etwas Neues zu bieten. Also da könnte man dem Wellershoff durchaus widersprechen. Vielleicht ist er auch gar nicht genug informiert über die Trivialliteratur. Wir haben ohnehin sehr oft das Gefühl, dass Leute unser Genre beurteilen, die es gar nicht kennen. Die sprechen über Cotton, ohne je einen gelesen zu haben.“

Allerdings muss ein Cotton-Heft dann eben doch im Rahmen des Erwartbaren bleiben: Bereits der Abschied auf Zeit von Phil Decker wird als Sakrileg empfunden und vom Leser nicht so einfach hingenommen; und bevor man den anachronistischen Jaguar E-Type gegen das zeitgenössische Modell XKR auszutauschen wagte, vergingen viele Jahre und ebenso viele Grundsatzdiskussionen in der Redaktion. Bei dem, was Friedrichs für sich beansprucht, handelt es sich wohl eher um Variationen eines Musters. Aber ist der Cotton-Autor nun auch in seinen ästhetischen Möglichkeiten eingeschränkt, weil er sich bestimmten Konventionen unterwirft – die Technik eines solchen Reißers wird er umso geschmeidiger beherrschen. Mit anderen Worten, ein Cotton-Autor muss Dinge können, die ein Hochliterat nicht kann.

„Was das Handwerkliche angeht, ist das schnell beschrieben. Das Handwerkliche bei Cotton besteht zum großen Teil darin, dass ich in der Lage sein muss, das Kopfkino beim Leser wachzukitzeln, das heißt szenische Beschreibungen so zu gestalten, dass sie beim Leser in etwa den Effekt erzielen, den ich mir wünsche. Beispielsweise eine dunkle Regennacht in Manhattan, der Wind pfeift um die Ecken…“ „Ich sehe es schon vor mir.“ Wir lachen. „Dann die Dialoge, die müssen zunächst mal persönlichkeitsadäquat sein, das ist Grundvoraussetzung, und sie sollten nicht nur die Handlung voranbringen, sie sollten auch humorvoll sein. Wir nennen das ,das Zwinkern zwischen den Zeilen‘, das ist bei Cotton besonders wichtig. Was ein Cotton-Autor aber vor allem können muss, ist die Beschreibung von Action-Szenen. Und das ist etwas, was nur wenige Autoren beherrschen. Denn eine Action-Szene in einem Roman ist zunächst mal grundsätzlich langweilig, weil ich zu viel störende Beschreibung gelesen habe, also muss ich in der Lage sein, das so zu machen, dass es den Leser nicht mehr langweilt, und das ist eben die große Kunst Weil ich gerade andere Romane bearbeite, habe ich vor kurzem ein Manuskript von einem jungen Autor auf dem Schreibtisch gehabt, und es tat mir wirklich in der Seele weh zu sehen, wie der gescheitert ist, obwohl er eben guten Plot gemacht hat, und auch statische Szenen ganz wunderbar beschreiben konnte. Aber Action-Szenen konnte der überhaupt nicht. Wenn Maschinenpistolen loshämmern, dann schrieb der immer ,ratta-tatta-tat‘, das konnte er nicht beschreiben.“ Solche Unbedarftheit ärgert ihn. „In all den Jahren, in denen ich jetzt Spannungsromane schreibe, habe ich begriffen, dass ich das lernen muss, dass ich ausfeilen, verfeinern muss, wie ich Action darstelle. Und ich habe mich bemüht, Feinheiten im Kopf zu katalogisieren, etwa nehmen wir noch einmal das Waffenbeispiel, wie eine Maschinenpistole schießt, ein Revolver oder was bei einer Explosion passiert. Ich kann eine Seite über eine Explosion schreiben, das ist kein Problem, das erste Aufglühen, die fetten schwarzen Wolken, die da hochsteigen, die verschiedenen Rotschattierungen der Flammen, und dann der Sound dazu, Druckwelle und was nicht alles. Das ist für mich so eine Art Gemälde, das ich da entwerfe. Egal, ob ich eine Schießerei beschreibe, die diversen Handgreiflichkeiten oder eine Autoverfolgung. Selbst heute noch entdecke ich immer neue Vokabeln, die ich verwenden kann. Und das ist der Punkt, wo ich bei vielen Autoren den Eindruck habe, dass sie in dieser Hinsicht zu eingeschränkt sind. Und ich weiß auch, dass ich meine Grenzen noch nicht ausgereizt habe, weil ich keine Zeit habe, mich mal ein oder zwei Jahre hinzusetzen und das zu probieren.“

Das ist also auch bei ihm offenbar ein Herzenswunsch, einmal im Leben die Weihen der „richtigen“ Literatur zu erhalten. Ja, ich habe immerhin 35 Jahre geübt“

Seine Frau kocht neuen Kaffee und ruft aus der Küche herein: „Er müsste mal einen Bestseller schreiben, dann brauchte er Jerry Cotton nicht mehr…“ Aber Friedrichs widerspricht sofort „Naja, Cotton würde ich wohl trotzdem immer mal wieder schreiben, das denke ich schon, weil es ein Genre ist, was mir persönlich sehr liegt“

Es gab immer wieder Versuche, die Kolportage-Literatur vor ihren Verächtern zu retten. Bastei-Verlagsgründer Gustav Lübbe zum Beispiel verschanzte sich gern hinter seine „Hochlese-Theorie“, derzufolge ein Schundleser den Heftroman als eine Art Vorschule nutze, um dann doch irgendwann bei der Hochliteratur anzukommen. So musste man in den Fünfzigern wohl argumentieren, um nicht als jugendgefährdend verboten zu werden! Wer vom Paradigmenwechsel in den späten Sechzigern profitieren kann, wer also ein entspannteres, weniger idiosynkratisches Verhältnis zur Popkultur anerzogen bekam, stört sich an der Defensivität dieser „Theorie“, die Trivialliteratur als bloß defizitär versteht Viel interessanter ist doch die Frage, was solche Art von Literatur möglicherweise eher zu leisten vermag. Ernst Bloch zum Beispiel hat die These vertreten, dass sich in der Trivialliteratur die Wünsche und Träume und Hoffnungen einer Zeit viel unverstellter zeigen und als zeit- und mentalitätsgeschichtliche Quelle folglich weitaus mehr zu bieten hat. Und man muss nur mal einen Blick auf einige Cotton-Titel der letzten 15 Jahre werfen – Titel wie „Das Attentat auf Gorbatschow“, „Ich sprengte den Plutonium-Deal“, „WM 94 – im Fadenkreuz des Terrors“, „Sex-Skandal im weißen Haus“, „Angriffsziel: Bagdad“ -, dann leuchtet das unmittelbar ein. Man ist näher dran an der Realität, kann beinahe journalistisch schnell auf die Zeitläufe reagieren. Manchmal entwickeln die Autoren sogar Seherqualitäten. In Band 2317 etwa, „Das Genie, die Geiseln und wir“ aus dem Jahr 2001, will eine obskure terroristische Organisation die Twin Towers sprengen. Das Buch war schon fast in der Druckerei, als realiter die Türme fielen, man konnte nur mehr den verfänglichen Untertitel „Sie stürmten das World Trade Center“ gegen einen weniger marktschreierischen ersetzen.

Eigentlich muss es verwundern, dass die staatlichen Hüter der Kultur und guten Sitte immer eher geneigt waren, restriktiv tätig zu werden, und den „volkspädagogischen Nutzen“ gar nicht Erwägung zogen, denn etwas so bieder Prinzipienfestes, moralisch Tadelloses und manchmal auch penetrant Gutmenschelndes wie es Cotton und Kollegen an den Tagen legen, hat die Welt noch nicht gesehen.

Sogar Friedrichs erlaubt sich da ein ironisches Lächeln. „Das ist ja unsere erzieherische Aufgabe und Verpflichtung, dem Lesepublikum klarzumachen, wo die ethischen Grenzen sind. Das ist eine Art von Verpflichtung, die wir einfach erfüllen müssen, weil wir uns dieser Selbstkontrolle unterworfen haben. In dem Roman, den ich jetzt schreibe, der spielt in Texas, läuft ein Mörder frei herum, der ein Farmer-Ehepaar erschossen hat, er wird aber nicht verurteilt, weil seine Anwälte vermeintlich beweisen konnten, dass er in Notwehr gehandelt hat. Nun sind da zwei Cowboy-Typen, die legen den um und sagen: In Texas bleibt so etwas nicht ungestraft, und wenn die Rechtsverdreher das nicht erledigen können, dann erledigen wir das. Da muss ich dann natürlich immer dazu sagen, dass das Selbstjustiz ist und also natürlich auch kriminell. Und die werden dann im Gegenzug auch gleich von den Gangstern umgelegt Ich mache das ganz gern etwas ironisch. Gerade jetzt angesichts der Geschehnisse im Irak ist dieses übertriebene Amerikanertum ja signifikant, und die Texaner kann man schön als Beispieltypen darstellen. Der Scharfschütze, der dann später einen umlegt, streichelt in einer Szene seine Gewehr und sagt: Heute kriegst du noch was zu tun!“

Friedrichs lacht noch lauter als ich. „Das geht bisweilen in Richtung Satire, wobei ich annehme, dass die Cotton-Leser das nicht unbedingt als Satire erkennen. Vielleicht einige.“

Es liegt vielleicht an diesem moralischen Biedersinn, der den Leser immer ein wenig gängelt, ihm stets vorschreibt, was er in eulischen Fragen zu meinen habe, dass die Cotton-Romanen bei aller Modernität der Ausstattung und der Aktualität der Sujets leicht angestaubt wirken. Auf eine beinahe rührende Weise scheint man dem rüstigen G-man dann doch sein Alter anzumerken.

Friedrichs zeigt mir sein Arbeitszimmer im Keller. Zwei lange Neonröhren summen und spenden ein ungesundes Licht. Links und rechts neben dem Bildschirm, wie auf Notenständern, eine genaue Handlungsübersicht des nächsten Romans und ein Verzeichnis des Personals mit stichwortartigen Annotationen zu den Charakteren. Die Partituren des suspense. Sie demonstrieren, wie skrupulös er arbeitet trotz des Zeitdrucks. Im Nebenraum befindet sich eine Art Archiv. Wenn Friedrichs einen Nebensatz über eine Waffe, den administrativen Aufbau des FBI, die Kompetenzverteilung der einzelnen New Yorker Polizeibehörden fallen lässt oder auch eine bestimmte Lokalität beschreibt, dann stimmt das. Auch das hat eine lange Tradition. Warum eigentlich dieser Faktenfetischismus? Was würde Cotton denn fehlen, wenn die Stadt Gotham City hieße und nicht New York?

„Ich kann einen Roman nur schreiben, wenn ich über Ort und Thema gründlich genug recherchiert habe. Ich kann mich nicht in einem leeren Raum bewegen. Das heißt, ich will keine Reiseliteratur oder Stadtführer schreiben, aber ich muss den Hintergrund kennen, das Setting, damit ich den Lesern ein Bild davon vermitteln kann. Mich hat mal ein Lektor sehr beeindruckt, der zu mir gesagt hat: Spannungsromane sind dann nicht gut, wenn man den Ort des Geschehens austauschen kann, wenn also der Roman keine atmosphärische Beschreibung des Schauplatzes bietet Das habe ich mir sehr zu Herzen genommen. Wenn ich einen Roman in New York spielen lasse, dann muss der Leser spüren, dass er in New York ist und nicht in Berlin. Diese Stadt riecht schon anders als Berlin.“

Friedrichs bringt mich noch vor die Tür. Wir warten eine Viertelstunde auf das Taxi. Ich rechne damit, dass die Dame von vorhin mich abholt, die mal wieder den Weg nicht findet, aber dieses Mal ist der Fahrer männlich. Er fahrt mich zum Bahnhof und erzählt auf Nachfrage, dass sein florierendes Unternehmen über Nacht den Bach runtergegangen sei, von sechs auf gerade noch einen Wagen, und den müsse er selbst fahren, alles wegen der Gesundheitsreform. „Was die mit den alten Leuten machen“, schimpft er, „ist Mord. Wenn die krank sind und nicht mehr können, wer bringt die denn ins Krankenhaus? Die Angehörigen wohnen doch meist woanders… All die Jahre haben wir das gemacht, aber das können die sich doch privat gar nicht leisten, nee, ich sehe das so, das ist glatter Mord in meinen Augen.“ Cotton, übernehmen Sie!

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