Jessica Pratt – Im warmen Mantel des Folk

Die Akustik-Songs von Jessica Pratt entwickeln zuweilen eine nahezu bedrohliche Qualität

Eben hat Jessica Pratt den Stream von „On Your Own Love Again“ auf ihrer Facebook-Seite gepostet und das neue Album so zum ersten Mal der Welt präsentiert. Innerhalb von Sekunden haben bereits  15 Leute den „Like“-Button geklickt. „Ich bin immer davon ausgegangen, dass alles nur mäßig erfolgreich wird. Dass jetzt Magazine irgendwo in einem anderen Land über mich berichten, ist wirklich aufregend“, sagt die Sängerin, die nicht nur früh am Morgen irgendwie verschlafen aussieht.

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Jessica Pratt gehört zu den Menschen, deren Alter man schwer schätzen kann. Neben den ewig müden Augen, den karierten Jacketts, den Schulterpolstern und der ungestylten Farrah-Fawcett-Frisur ist es vor allem ihre Musik, die dazu verleitet, in ihr eine alte Seele zu erkennen. Selbstbewusst-seltsame Songschreiberinnen der 70er-Jahre wie Linda Perhacs oder Vashti Bunyan kommen einem in den Sinn. Doch Jessica Pratt ist nicht bloß eine weitere wiederentdeckte Mutter des Freak Folk: Ihre erste musikalische Leidenschaft waren die Spice Girls. Müsste es die 27-Jährige nicht stören, dass sie auffällt, gerade weil sie so aus der Zeit gefallen scheint? Ihre Antwort fällt freundlich aus: „Ich sehe es als Kompliment. Der Großteil der Musik, die ich höre, ist älter. Ich mag den Sound der 70er-Jahre. Damals konnte man seltsame Sachen ausprobieren, die heute im Studio sofort wieder eingeebnet würden.“

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Im Gegensatz zum Debüt von 2012, das im Studio des befreundeten Neo-Psychedelikers Tim Presley alias White Fence entstand, hat Jessica Pratt „On Your Own Love Again“ zu Hause aufgenommen. „Ich kenne viele ausgebildete Musiker, die gehemmt sind, weil sie zu genaue Vorstellungen davon haben, wie etwas zu klingen hat“, erklärt die Autodidaktin den Rückzug ins Private. Sie hat sich das Gitarrespielen nach einem Crashkurs mit der Mutter selbst beigebracht und begreift Fehler als Ausdruck von Kreativität. Im Song „Jacquelyn In The Background“ drehen aus der Rolle  gesprungene Tonbänder ihre Stimme plötzlich leiernd in die Tiefe und kreieren ein Duett mit ihrem verspulteren Selbst. Man ist nah dran an Jessica Pratts Home-Recording – so nah, dass man sich, wenn ihre Zunge die Worte hypnotischlangsam durch den Mund schaufelt, manchmal fast in ihrem Kopf zu befinden meint. „Ich mag es, in meinem inneren Kosmos zu sitzen und dort Dinge zu erschaffen“, sagt sie.

Duett mit dem verspulteren Selbst

Die Intimität der Aufnahmen erreicht mitunter bedrohliche Qualität: Neben lieblichem Hippie-Folk wie „Back, Baby“ oder der entrückten Zerbrechlichkeit des Titelstücks schwelt hinter Songs wie „Strange Melody“ auch die fiebrige Hitze ihrer Heimatstadt, Los Angeles. Gerade liest Pratt viel von Joan Didion, jener großen kalifornischen Essayistin, die das Bild von L.A. als „weltweiter Hauptstadt der Paranoia“ entscheidend geprägt hat: „Hier sind schon so viele verrückte Sachen passiert. Unter der Oberfläche brodelt es ununterbrochen. Wenn man nach verrückten Erfahrungen sucht, werden sie einem hier früher oder später begegnen.“

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Als verrückt erlebte Jessica Pratt auch ihre erste Europa-Tournee im Januar 2014. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie die USA verließ, im Gepäck trug sie einen Sammelband von Charles Dickens. „Alles war so fremd und magisch, mit all der Architektur aus einer anderen Zeit. Das Allerseltsamste war jedoch, dass mich bei den Konzerten schon so viele Leute kannten!“ Sie kann immer noch nicht fassen, dass die Musik aus ihrem „psychic headspace“ schon so viele Leute erreicht hat. „Gerade zurückgezogene Musiker wie ich brauchen den Kontrast von Auftritten, um nicht nur in der inneren Welt zu Hause zu sein.“

Auf Facebook ist die Zahl der Likes unterdessen auf 135 angestiegen. In der Kommentarspalte fragen Fans, wann sie endlich wieder in Europa auftritt. Man wird die neugierige alte Seele willkommen heißen, wenn sie im Frühjahr wieder für einige Konzerte nach Deutschland kommt.

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