In seinem Buch „Hardboiled Hollywood“ dechiffriert der Musiker Max Decharne die realen wie literarischen Vorlagen berühmter Film-Thriller

Die beiden waren kleine Gangster, im doppelten Sinne. Kleinwüchsig und ohne Fortune. In Texas hatten sie es zu einer gewissen Reputation gebracht, als Bankräuber und mitleidlose Killer. Sie waren überall verhasst. Selbst John Dillinger, sonst nicht gerade zimperlich, meinte, durch die beiden kämen „decent bank robbers“ in Verruf. Der Mann, Clyde Barrow, wurde in der Zeitung als „snake-eyed murderer“ beschrieben. Ehemalige Nachbarn kannten ihn als Sadisten, der schon als kleiner Junge über die verzweifelten Flugversuche von Vögeln lachen konnte, denen er zuvor die Flügel gebrochen hatte. Auch die Frau war ein Herzchen. Ihr Name war Bonnie Parker, „a hard-faced, sharp-mouthed woman“, so ein Reporter, die mit einem anderen, bereits verurteilten Mörder verheiratet war, als sie Clyde kennen lernte, und der man einen unstillbaren Appetit auf Männer nachsagte. Da war sie gerade 19.

Als das Pärchen im Kugelhagel der Polizei starb, weinte ihm niemand eine Träne nach. „Die Gesellschaft freut sich“, kommentierte die“New York Herald Tribüne“ populistisch, „dass Louisiana die beiden gestern ausradiert hat.“

Gut 30 Jahre später bemächtigte sich Regisseur Arthur Penn dieses Stoffes und fertigte in der Traumfabrik Hollywood das moderne Filmmärchen „Bonnie And Clyde“. Mittels einiger Kunstgriffe, zugunsten von Dramaturgie und Identifikation. Die Rolle des verschlagenen Ganoven wurde mit Warren Beatty besetzt, ein Beau, neben dem George Clooney keine gute Figur machen würde. In die Rolle der unansehnlichen Schlampe schlüpfte Faye Dunaway, strahlende Schönheit und exquisiter Kleiderständer. Qualitäten, die sowohl an Kinokassen wie in Modegazetten blendend zur Geltung kamen. „Bonnie Comes On With A Stylish Bang“ schlagzeilte „Life“ und jubelte, die Dunaway habe für das Beret getan, „what Bardot did for the bikini“. Derweil sündhaft teure Klamotten im Stil der Großen Depression reißenden Absatz fanden und Georgie Farne die Qiarts beiderseits des Atlantik stürmte mit „The Ballad Of Bonnie& Clyde“.

Ach ja, es war auch nicht mehr dieselbe Geschichte. Aus dem raffgierigen Frettchen und seinem billigen Flittchen hatte Produzent Beatty edle Outcasts gemacht, die wider Willen in ein Geflecht von Gewalt verstrickt wurden, stets auf der Flucht, unverstanden von der Welt. Oh, es hatte etwas Heroisches, wie die beiden modernen Robin Hoods sich der brutalen Staatsgewalt entgegenstemmten. So schön, so sexy! Am Ende das Massaker mit Kugeln, die den Tod in Zeitlupe brachten. Im Parkett blieb kaum ein Auge trocken.

So liebte das Publikum seinen Nervenkitzel. Entspannung durch Spannung, aber ästhetisiert, bitteschön. Keiner wusste das besser als Alfred Hitchcock, der die mörderische Verstörung eines Muttersöhnchens von Anthony Perkins darstellen ließ, einem sympathischen Schlaks. Während das Bestialische in den Bereich der Fantasie projiziert wurde, unterstützt allenfalls von alarmistischer Musik und von Duschwasser, das sich dunkel färbte. Doch wer hätte sich „Psycho“ angetan, wenn darin die sehr realen Obsessionen und Perversionen des sehr realen Ed Gein bebildert worden wären, jenes Mannes, nach dem Film-Psychopath Norman Bates modelliert worden war, dessen monströse Hobbies jedoch erst viel später für Gänsehaut sorgen durften, mehr angedeutet als ausgeschlachtet durch die Kunstfigur Hannibal Lecter? Ed Gein hatte seine Leichen, ob selbst umgebracht oder nächtens ausgebuddelt, totalverwertet. Aus der Haut machte er Lampenschirme oder Masken, Nippel knüpfte er zu Gürteln, Schädelhälften dienten ihm als Suppenschüsseln. Unverkäuflich im Hollywood der 50er Jahre, es brauchte einen gewieften Autor namens Robert Bloch und einen genialen Regisseur wie Hitchcock, um daraus eine Story zu drechseln, von der sich die Welt gern in Atem halten ließ.

Hinter vielen berühmten Filmen verstecken sich wahre Geschichten oder literarische Vorlagen, die dramatisiert oder entrümpelt wurden, um den Massengeschmack besser zu treffen. Manchmal liegen Meilen zwischen Realität und filmischer Adaption, manchmal genügen kleine Kniffe, um einen gewünschten Effekt zu erzielen. Max Decharne hat in seinem Buch „Hardboiled Hollywood“ (No Exit Press, ca. 30 Euro) ein weiteres Dutzend Beispiele für die Anpassungsfähigkeit der Filmstudios ausgebreitet. Darunter solche Klassiker wie „The Big Sleep“, „Point Blank“ oder „Get Carter“. Eine Lektüre, die beim Leser die Augen weitet und den Puls beschleunigt.

Das Ergebnis unermüdlicher Recherchen. Obwohl der Autor schon seit geraumer Zeit in den Genres Pulp Fiction und Crime Movies nach Trüffeln sucht. Im Hauptberuf ist der Brite Decharne freilich Sänger und Songwriter der Londoner Rock’n’Roll-Combo The Flaming Stars, deren Nachtschattenlärm durchaus Film-noir-Verbindungen aufweist, nicht zuletzt in geborgten Titeln wie „Kiss Tomorrow Goodbye“ oder Paraphrasen wie „Bring Me The Rest Of Alfredo Garcia“.

Für Decharne liegen die Weiten der Crime Fiction und des Pop Business ohnehin nicht weit auseinander. „Ich habe seit den späten 70er Jahren in Bands gespielt“, meint der ehemalige Drummer von Gallon Drunk, „und man stößt in so langer Zeit gerade im Musikbetrieb fast zwangsläufig auf Gangster und Gaunen Was ja immerhin erklärt, warum die meisten Musiker pleite sind und die oberen Chargen größerer Plattenfirmen in dicken Limos herumkutschieren.“

Max Decharne ist, das wird im Zwielichte seines Faibles für das Abseitige überraschen, kein wilder Mann. Es sei denn, er steht mit den Fläming Stars auf der Bühne, die Knie nach außen geknickt wie Elvis, dessen Song Pate gestanden hatte für den Band-Moniker. Dann vibriert Max, traktiert mit der Rechten die Orgel, während die Linke den Mikro-Ständer umklammert, ein ranker Kerl in stilecht schlabbrigem Anzug, diese seine Songs über dunkle Gassen und dort hausendes Gelichter bebend und singend, völlig absorbiert.

Privat ist er anders. Ein Gentleman, der mit sanfter, leiser Stimme spricht. „Hardboiled Hollywood“ hat er seiner Mutter gewidmet Sie hat den Schmöker gelesen und fand ihn toll. Aber sie hört ja auch Velvet Underground.

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