Interview mit Louise Burns: Keine Kompromisse

Die kanadische Musikerin Louise Burns ist eigentlich schon eine Veteranin der Musikindustrie. Im Alter von 15 Jahren bekam sie mit ihrer All-Girl-Band Lillix den ersten Plattenvertrag. Fast eine Dekade später ist sie mit ihrem hinreißenden Debüt "Mellow Drama" solo unterwegs und nun auch unser Artist To Watch.

Geschunden und verwundet, vielleicht sogar eine Gliedmaße zu wenig: So stellt man sich Veteranen vor. Nicht so Louise Burns. Die 24-jährige hat zwei Beine, zwei Arme und ist auch sonst kerngesund – hat aber durch den frühen Kontakt mit der Musikindustrie im Alter von 15 Jahren einen regelrechten Hass auf das Business entwickelt. Kein Wunder, ist sie doch damals mit ihrer Band Lillix von dem Label-Giganten Maverick Records – bei dem übrigens auch Madonna seit „Erotica“ unter Vertrag ist – geschluckt worden.

Das Tochterunternehmen von Warner Music schickte Lillix (die man vielleicht noch vom „Freaky Friday“-Soundtrack kennt) kreuz und quer durch Kanada, die USA und sogar bis nach Japan, doch nach fünf Jahren in einer All-Girl-Band verabschiedete sich Miss Burns von der Band, die sie mit elf Jahren gegründet hatte. Der Grund: Sie hatte die Schnauze voll von der Industrie. Louise, schon immer eine versierte Bassistin, spielte daraufhin in diversen Indie- und Psychedelic-Rock-Bands aus der Gegend Vancouvers, landete bei der Mädchen-Post-Punk-Band The Blue Violets, stieg aber auch da nach kurzer Zeit aus. Das girl wonder hatte Höheres im Sinn und begann im Jahr 2008 mit der Arbeit an ihrem Soloalbum „Mellow Drama“.

Dieses ist nun fertig geworden und steht seit dem 06. September in den Plattenläden des amerikanischen Kontinents. Schon nach nur einer Woche wurde es sogar für den renommierten kanadischen Polaris Music Prize nominiert – neben Künstlern wie Neil Young („Le Noise“), Ron Sexsmith („Long Player Late Bloomer“) und Destroyer („Kaputt“). Gewonnen haben dann im Endeffekt Arcade Fire mit „The Suburbs“.

All die Jahre in der Musikindustrie haben Louise Burns früh reifen lassen, die junge Dame hat eine alte Seele. Auf „Mellow Drama“ hört man das. Zwar spielt sie mit den Genres, kreiert so aber eine durchgängig harmonische und melodische Platte, bei der sie sich hauptsächlich zwischen Dreampop, Surf und Rock’n’Roll bewegt. Mit kleinen Gimmicks spart sie jedoch nicht: In „Drop Names Not Bombs“ (das man hier gratis herunterladen kann) lässt sie neben der obligatorischen heiligen Dreifaltigkeit des Band-Sets – Gitarre, Schlagzeug, Bass – munteres Piano und Xylophon erklingen. Das herrliche „Island Vacation“ dagegen beginnt mit einer ruhig gezupften Gitare und einem Jodeln im Refrain, das auch gut von einer bayrischen Alm stammen könnte. Im spannenden „Sea Song“ zaubert die Kanadierin mit Orgel, Glocken und Walzerrhythmus Zirkus- und Zigeuner-Atmosphäre, bevor mit einem Mal die Surf-Gitarren einsetzen. Das einzige Stück, das nicht aus ihrer eigenen Feder stammt, reiht sich nahtlos in die Tracklist ein. Es ist „Gypsy Wife“ von Leonard Cohen, und mit Kontrabass, Gitarre, Tamburin und Klavier genauso schlicht und stilvoll arrangiert wie vom Großmeister selbst.

Leider kann man „Mellow Drama“ bisher nur als Import erstehen, aber immerhin gibt es das ganze Album schon einmal auf soundcloud.com zu hören.

Warum hast du dich entschlossen, aus der Band auszusteigen und eine Soloplatte zu schreiben?

Ich bin in erster Linie eine Songschreiberin, und bin nicht gut darin, Kollaborationen einzugehen. Ich schreibe schon so lange eigene Songs und dachte mir, dass es Zeit wurde diese aufzunehmen und dann zu schauen, was die Leute davon halten. Bisher sind die Reaktionen auch echt gut, was mich wirklich glücklich macht. Ich schreibe Songs, also schien es nur natürlich zu sein, ein Soloalbum zu machen.

Denkst du, dass dir durch deine frühe Karriere das typische Teenager-Dasein entgangen ist?

Man kann es wirklich so sehen,  aber ich hatte trotzdem eine sehr lustige Zeit damals. Wir waren in der Lage, uns quasi unsere Unreife zu bewahren, wenn du verstehst, was ich meine, und waren manchmal ziemlich alberne Idioten. Wir haben eh alle ziemlich bald mit der Schule aufgehört. So konnten wir um die Welt reisen. Im Prinzip haben wir alle Phasen durchgemacht, die jeder andere Teenager auch erlebt, und deswegen denke ich nicht, etwas verpasst zu haben. Im Gegenteil: Das Leben mit der Band hat meine Jugend um so viele Erfahrungen bereichert. So bin ich sehr früh erwachsen geworden. Das hat mir auch gut getan.

Mit der Musikindustrie ist das allerdings anders, die hat einen bitteren Nachgeschmack bei mir hinterlassen. Ich hasse die Musikindustrie jetzt ziemlich. Und ich habe Glück, dass ich jetzt mit anderen Menschen zusammenarbeiten kann. Es war damals eine ganz andere Welt. Und das trotz der Tatsache, dass wir eine echte Band waren, keine Girlgroup, die wie Britney Spears rumgetanzt hat, sondern eine echte Band wie die Bangles zum Beispiel. Aber jetzt weiß ich, was ich von meiner Karriere erwarte, und ich weiß, dass ich so etwas nie wieder machen möchte.

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Was hat dir am Prozess der Albumproduktion am besten gefallen?

Die Arbeit im Studio. Ich konnte dort hingehen und hatte die Kontrolle über alles. Ich durfte beobachten, wie aus meinen Songs mehr wurde als schlechte Demotapes in Garagenqualität. Meine Freunde haben das Album mit mir produziert, und so haben wir einfach im Studio rumgehangen, haben Wein getrunken und aufgenommen. Damals war ich in meinem ersten Semester an der Uni. Ich war wirklich überarbeitet und ständig müde, aber es war einfach toll, die Möglichkeit  zu haben ins Studio zu gehen, kreativ zu sein und das zu machen, was ich wirklich machen wollte. Das Singen, die lustigen Geräusche zu erzeugen… Ach, der ganze Prozess hat einfach unglaublich Spaß gemacht. Ich liebe es, im Studio zu sein, es gibt nichts besseres.

Deine Songs sind sehr nah an der Musik der 50er und 60er Jahre angelehnt, Rock’n’Roll, Pop und Surf lassen sich heraushören. Was hat dich zu diesem Mix inspiriert?

Im Prinzip war es eine Reflektion dessen, was ich zu diesem Zeitpunkt an Musik gehört habe. Ich hatte eben diese Phase – die habe ich eigentlich immer noch, ich liebe alte Musik. Moderne Musik finde ich auch gut, aber an den alten Sachen hängt mein Herz. Von 2007 bis heute bin ich quasi davon besessen gewesen, diese Musik zu hören. Diese Gitarren, die so dreckig und gleichzeitig so melodisch sind… Ich liebe es, dass es damals hauptsächlich um die Songs ging und nicht um den Wert der Produktion. In der Hinsicht bin ich vielleicht ein bisschen wie ein alter Mann: Ich mag es, wenn die Dinge überdauern können. All die Musik der 50er und 60er hat diese Qualität, trotz der Tatsache, dass einige der Songs als kitschig angesehen werden können. Aber es ist ein Fundament in dem Song drin, das sich nicht ändert. Wenn Depeche Mode oder Tears For Fears einen Song aus der Zeit covern, würde man nie denken, dass das Lied vielleicht schon 40, 50 Jahre alt ist. Aber diese Songs sind so gut geschrieben, dass man sie neu interpretieren kann und sie trotzdem nichts an Qualität verlieren. Das ist mein Ziel: Songs zu schreiben, die überdauern.

Wenn du sagst, dass du ein bisschen wie ein alter Mann bist: Hast du deswegen „Gypsy Wife“ von Leonard Cohen gecovert?

Vielleicht! (lacht) Aber dennoch war es dann wohl eher die alte Frau in mir, die diesen Song covern wollte. Oh, ich finde Leonard so wundervoll. Ich denke, dass es eine riskanter Schritt war, weil er solch eine Legende ist. Aber ich liebe diesen Song und ich liebe Leonard Cohen und ich dachte mir, dass ich diesen Song als eine Art Hommage an ihn aufnehmen würde.

11 Gypsy’s Wife by Louise Burns

So viele Künstler beziehen sich heutzutage auf diese Ära der Musik. Hast du keine Angst nur als ein weiterer Wagon am Retro-Trend-Zug angesehen zu werden?

Nein, nicht wirklich. Es ist mir auch eigentlich egal. Ich schreibe eben die Songs, die ich schreibe. Ich bin nicht erpicht darauf, als eine kitschige Retro-Künstlerin abgestempelt zu werden und höre auch ehrlich gesagt eher Bauhaus als Buddy Holly. Ich denke wirklich nicht darüber nach, weil ich weiß, dass mein nächstes Album ganz anders klingen wird. Der Stil von meinem Album ist jetzt passend, weil er meine Reflektionen während seiner Enstehung abbildet. Das ist für mich völlig in Ordnung.

„Island Vacation“ erinnert – vor allem mit dem jodelähnlichen Gesang im Refrain und der gezupften Gitarre – ein bisschen an die traditionelle bayrische Volksmusik. Inwieweit beschäftigst du dich mit den verschiedenen musikalischen Kulturen?

Ich bin wirklich ein gigantischer Fan von Weltmusik, ich habe dieses Semester an der Uni gerade das Modul „Musikalische Anthropologie“ begonnen. Dort untersuchen wir zum Beispiel Musik aus Afrika, Indien, Asien und Osteuropa. Gerade höre ich sehr viel Ali Farka Touré, das ist ein afrikanischer Gitarrist. Ich liebe den Sound Westafrikas. Auch den von The Bhundu Boys, die haben auf einer John Fields Compilation für das Mojo-Magazine einen Song beigesteuert. „Foolish Heart“, dieses Lied ist unglaublich! Außerdem höre ich derzeit viel indische Musik – Ravi Shankar ist da die Einstiegsdroge. Ich hab ihn vor einigen Jahren live gesehen, und es war ein fesselnder Auftritt. Ich bin ein sehr großer Fan von nichtlinearer Musik, die eben nicht in der Blues-Formel verfasst werden. Ein Großteil der westlichen Musik basiert auf Blues und Jazz, was aber ja ursprünglich aus Afrika kommt… und das gerade, das bin ich als Nerd. Um es kurz zu machen, ich bin ein großer Fan von Weltmusik. Punkt, aus.

06 Island Vacation by Louise Burns

Wann wirst du dann den Sprung über den großen Teich schaffen und nach Deutschland kommen?

Ich hoffe im nächsten Jahr! Meine Mutter ist Britin, deswegen habe ich auch einen europäischen Pass und kann also ohne Komplikationen dort hin reisen. Ich muss natürlich sehen, was passiert, aber ich würde wirklich gerne nach Europa kommen um zu touren. Das habe ich bisher noch nicht gemacht, es wäre allerdings mein ultimatives Ziel. Ich war auch noch nie in Deutschland, es ist verrückt, aber ich weiß nicht warum!

Wenn du mit einem Künstler deiner Wahl auf Tour gehen könntest, welcher wäre das?

Wahrscheinlich Cass McCombs. Er ist einer meiner Lieblingsmusiker, ich habe ihn auch einige Male live gesehen. Er hat was, im Prinzip ist er zwar so eine Art alter Cowboy aber trotzdem ist er richtig cool.

Was ist dein Lieblingsgeräusch?

Gewitter. Ich liebe es, wenn es stürmt und blitzt. Ich bin in einer kleinen Stadt mitten in den Bergen aufgewachsen, wo es oftmals wie verrückt gewittert hat. Über Jahre hinweg war das meine Art von Unterhaltung: Rausgehen wenn es stürmt und das Gewitter beobachten, im Regen spielen. Als ich dann nach Vancouver gezogen bin, waren die Stürme seltener, aber jetzt wohne ich ja in Toronto und jetzt habe ich wieder meine Gewitter.

Was sind jetzt deine nächsten Schritte?

Nun ja, mein Jahr ist jetzt schon ziemlich ausgeplant. Wie ich gerade schon gesagt habe, bin ich erst nach Toronto gezogen und lebe mich hier jetzt gerade ein, im November gehe ich mit Matthew Barber auf Tour – aber nur durch Ontario (Anm. d. Red. eine der kanadischen Provinzen). Außerdem bin ich auf dem Ottawa Writers Fest von unserem nationalen Radiosender CBC. Dort nehme ich an einem Songwriterkreis teil. Ich denke danach werde ich an meinem nächsten Album arbeiten – und wieder in ein paar Bands spielen. Ich hab zum Teil in fünf Bands gleichzeitig gespielt, da ich eine Bassistin bin. That’s what I do. Das habe ich mir zumindest vorgenommen – genau so, wie endlich nach Europa zu kommen um dort auf Tour zu gehen.

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Wir Musikjournalisten sind ja recht faul, was Genrebetitelung angeht. Einmal Rock immer Rock und so weiter, und irgendwann kommt man auf bescheuerte Titel wie Chillwave. Jetzt hast du die Chance, dir den Namen für dein Genre auszudenken.

Oh mein Gott. Ich habe bei MySpace ein Gerne angegeben, „Melodramatic Popular Songs“, aber das war nur ein Scherz. Nehmt das bloß nicht ernst. So genau weiß ich allerdings nicht, wie ich meine Musik einordnen würde. Hm, vielleicht als Chamäleon-Rock, weil ich meine Musik gerne variiere.

Was würdest du niemals tun, um deine Karriere voran zu bringen?

Oh Mann, da gibt es einiges. Einen Song singen, der einen schlechten Text hat. Ich würde nie… Im Grunde würde ich nie etwas machen, das ich nicht auch wirklich machen will. Das ist nun echt vage. Ich würde auch nie den Rat einer Person befolgen, die nicht weiß, wovon sie spricht. Oder mit selbst untreu werden. Das habe ich schon einmal gemacht und das funktioniert nicht. Man ist dann einfach nicht mehr aufrichtig und die Menschen bemerken das schon.

Kannst du uns einen neuen, unbekannten Künstler nennen, den wir unbedingt im Auge behalten sollten?

Oh ja, da kenne ich sogar ein paar. Ich bin ein wirklich großer Fan einer Band namens Trust, die kommen aus Toronto. Von denen wird noch einiges zu hören sein!

Trust – Candy Walls by sacredbones

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