Irgendwo zwischen Himmel und Hölle

Im gentrifizierten herzen Berlins, in Prenzlauer Berg, sitzt Desiree Klaeukens auf einem alten Sofa in der Kohlen-Quelle. Mit Kohlen wird hier natürlich schon lange nicht mehr gehandelt, geschweige denn geheizt. Heute schlürft man in der Eck-Bar einen großen Milchkaffee oder einen Ingwer-Tee, alles aus ökologischem Anbau und sicher fair traded. Die Mieten im Viertel sind hoch, aber auch nicht wesentlich höher als in den meisten anderen zentralen Hauptstadtteilen. Also bezahlbar für junge Songwriterinnen.

Vor drei Jahren verließ Klaeukens ihre Heimat Duisburg, wollte raus aus einer unglücklichen Beziehung und zog bei einem Freund ein. „Anfangs dachte ich, hier sehe alles so aus wie Prenzlauer Berg, wie eine GZSZ-Kulisse“, sagt sie, lernte dann jedoch durch einen Job als Briefträgerin bald die vielen Facetten Berlins kennen, den Geruch der kalten, dunklen Hausflure, der vereisten Hinterhöfe im Winter und den rauen Charme der Leute. Heute katalogisiert sie Schallplatten für einen Vinylhändler in Mitte, schreibt Songs und spielt im Vorprogramm von Cäthe und Die höchste Eisenbahn. Gerade erschien ihr wundervolles Debütalbum „Wenn die Nacht den Tag verdeckt“. Es ist eine emotionale Reise, beginnend am Ende der Pubertät, in einer Zeit, als sie im Ruhrpott noch ihr Geld als Kfz-Azubi verdiente, dreieinhalb Jahre lang täglich mit ölverschmierten Händen an Autos herumschraubte, einfach weil „ich die Dinge zu Ende bringe, die ich angefangen habe“, und nachts Lieder schrieb.

Lieder mit Titeln wie „Verliebt in dich“ und Zeilen wie: „Gefühlte Jahre sind nur kurze Momente/Und ich weiß nicht, wo ich steh’/Wahrscheinlich irgendwo zwischen Himmel und Hölle“. Zeilen, bei denen Klaeukens sich jetzt nervös ihre Wollmütze in die Stirn reibt. „Da ich das alles erst einmal für mich allein geschrieben habe, habe ich mir überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, wie viel ich von mir preisgebe“, erklärt die 28-Jährige leicht schüchtern, leicht trotzig, auch ein wenig entschuldigend, beinahe so, als schäme sie sich dafür, dass diese intimen, tröstlich-melancholischen Selbstreflexionen als Album veröffentlicht werden. Die aus privatem Glück und Schmerz geformte und rotweinschweren Gedanken geborene Kunst, die plötzlich ins gleißende Licht der Wirklichkeit gezerrt wird, wo sie jeder beurteilen, sich mit ihr identifizieren oder sie ablehnen kann. Dabei muss sich Klaeukens nicht verstecken in der deutschen Liedermacherszene. „Wenn die Nacht den Tag verdeckt“ überflügelt das Befindlichkeitsgedusel der meisten männlichen Kollegen – wenn man so will: der Post-Gisbert-zu-Knyphausen-Generation -, die durch schier endlose Jammertäler wandern und dabei alles für besingens-und betrauernswert halten, was ihnen ihr Selbstmitleid diktiert.

Gelernt, wie man die eigenen Gefühle musikalisch nicht verwässert, hat Klaeukens schon früh – und von den richtigen Leuten. Eine kleine Öffentlichkeit suchte sie sich über MySpace. Tom Liwa wurde so auf sie aufmerksam – und bald ein Freund, der sie gelegentlich mit auf Tour nahm. „Gisbert schickte eine Mail“ und Niels Frevert fragte irgendwann, ob sie nicht Lust hätte, eine Platte mit ihm aufzunehmen, so richtig mit Band im Hafenklang-Studio in Hamburg. Da war sie echt überrumpelt und dann froh, weil sie jemand ermutigte, „der selbst schon Alben draußen hatte und meine Musik gut fand“. Im Mai wird sie ihre eigenen Songs erstmals auf einer eigenen Tour mit eigener Band spielen. Die Wollmütze wird sie dann nicht mehr brauchen.

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