Jeden Monat Revolution

An deutschen Theatern widmet man sich gesellschaftlichen Themen mit einer Direktheit und Intensität, wie das früher nur der Popsong konnte.

We want the world and we want it…NOW!“ Hat das wirklich mal ein Rocksänger gebrüllt? Oder war es nur ein betrunkener Schauspieler in zu engen Lederjeans? Heute haben wir ja vieles vergessen. Wir twittern, bloggen oder schicken den Facebook-Freunden kleine Glücksnüsse. Kaum jemand erinnert sich noch, dass gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen im Pop einmal eine Rolle spielten.

Dafür setzt sich das Theater umso schneller und intensiver mit gesellschaftlichen Themen auseinander: Mit „Die Kontrakte des Kaufmanns“ reagierte Elfriede Jelinek fast in Echtzeit auf den Zusammenbruch der Finanzwirtschaft. In Volker Löschs „Marat“-Inszenierung verlesen bewaffnete und offensichtlich zu allem bereite Hartz-IV-Empfänger die Namen und Adressen der reichsten Hamburger Bürger. In der Berliner Volksbühne spielt die Theatergruppe Gob Squad „Revolution Now!“ und stellt dabei die ewigen Fragen: Was wollen wir? Und was sind wir bereit dafür zu tun?

Der Theater-Regisseur Kevin Rittberger hat sich nun gar an den ultimativen Ökonomie-Klassiker gewagt. In der Bühnenfassung von Alexander Kluges Filmcollage „Nachrichten aus der ideologischen Antike“ untersucht der 32-Jährige „Das Kapital“ von Karl Marx. Oder besser gesagt: Sergej Eisensteins Plan, diesen 751 Seiten starken Klassiker zu verfilmen.

Während Kluge aber in kurzweiligen Interviews mit Oskar Negt, Dietmar Dath, Sophie Rois und Helge Schneider nach der Utopie sucht, die – so Kluge – immer besser werde, je länger man danach suche, sucht man in Rittbergers Inszenierung meist vergeblich nach einem solch spielerischen Gegenwartsbezug. Sein Text bleibt oft stecken in Fußnoten und wenig überzeugenden Metaphern: „Wir haben versucht, uns dem .Kapital‘ mit surrealen Bildern und den Mitteln der Drastik zu nähern“, hat Rittberger vor der Premiere im Interview behauptet. „Die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals vollzieht sich auf körperlicher Ebene nun noch einmal. Da kann der Mann ohne Kopf als Pendant fragen: Wo bin ich abgetrennt von der Wirklichkeit, wo entsteht diese Entfremdung?“

Natürlich haben die wenigsten Zuschauer „Das Kapital“ tatsächlich gelesen. Doch Rittberger lässt sich davon nicht beirren und zitiert Kluge: „Wenn ich alles verstanden habe, ist etwas leer geworden.“ Vielleicht bringt er deshalb am Ende des Stücks auch noch die Biokosmisten und Immortalisten ins Spiel. Die von dem Autor Nicolaj Fedorov geführte Sekte vertrat in den 20er-Jahren die kühne These, der Kommunismus könne erst dann verwirklicht werden, wenn das Privateigentum an der willkürlich verteilten und unterschiedlich langen Lebenszeit aufgehoben wird. Also wenn die Sterblichkeit abgeschafft würde. Das wäre doch nahezu ein klassisches Thema für einen dreiminütigen Popsong.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates