Joni Mitchell – „The Hissing Of Summer Lawns“

Die Emanzipation der Popmusik vom pubertären “boy wants girl” oder auch gerne mal “girl loves boy“ zu einer eigenen Kunstform Mitte der 60er Jahre schien ausschließlich eine männliche Domäne zu sein, wobei viele „Künstler“ mit Hippieattitüde, Chauvinismus und Größenwahn den Pop bald zu Lächerlichkeiten führten, die Pat Boone oder Frankie Avalon sich nicht hätten träumen lassen: „Their Satanic Majesties Request“, „Revolution # 9“, „Mind Gardens“ – von der ganzen Artrockmischpoke mal ganz zu schweigen.

Die Kanadierin Joni Mitchell gehörte zur Räucherstäbchen-Hippie-Fraktion. Sie war das chick von Jackson Brown, Crosby, Stills & Nash, James Taylor und all denen, die sonst noch so in Kalifornien lebten. Sie sang, wie alle anderen, ihre Konfessionslyrik zur akustischen Gitarre. Doch spätestens mit ihrem Album „Blue“ zeigte sie, dass sie den pathetischen Junkies und Bettgenossen an der Westküste haushoch überlegen war. Ihre Wortgewalt konnte es mit der Dylanschen aufnehmen, ihre Präzision wurde erst später durch Bewunderer wie Elvis Costello und Morrissey erreicht, sie hatte auf ihrem schönsten Werk „For The Roses“ komplexe Jazzstrukturen in ihren Folk eingebaut und schließlich mit der musikalischen Verfeinerung „Court And Spark“, einer Reflektion über das Starsein, Selbstzweifel und männliche Chauvinismen, ihr Meisterwerk vorgelegt. Sie war eine starke emanzipierte Frau, die sich ihre Geschlechtspartner aussuchte und Spaß mit Köpfchen verband. “Everything comes and goes/ Marked by lovers and styles of clothes“.

“The Hissing Of Summer Lawns” ging musikalisch wie auch lyrisch noch einen Schritt weiter. Mitchells Interesse verlagerte sich von Melodien und Folksongs zu Rhythmen und Strukturen und schmiegte sich noch enger an den Jazz, das introspektive Songschreiber-Ich, das seit „Another Side Of Bob Dylan“ die ernsthaften Texte in der Popmusik bestimmte, wich dem einen sozialphilosophischen Panorama. „The Hissing Of Summer Lawns“ war das erste Werk eines weiblichen Popstars, das vom Tracklisting über Klappentext bis hin zum Cover selbstbewusst als Gesamtkunstwerk auftrat, und diesen Anspruch auch locker einlöste.

Es geht um Macht und Unterwerfung, um eine Neudefinition des urbanen Raumes, wie sie bisher nur ansatzweise von Künstlern wie Curtis Mayfield oder Terry Callier aus einer schwarzen männlichen Perspektive geleistet wurde. So schienen sich zwar die traditionellen Unterdrückungsformen von Frauen in den modernen Metropolen aufzulösen, doch gleichzeitig entstanden neue. Zum Beispiel Prostitution und Drogengeschäfte als Form sexuell wie rassistisch motivierter Leibeigenschaft. Diese neuen Suppressionsformen versetzt Mitchell in „Jungle Line“ mit Bildern von Kannibalismus, Sklaverei und wilden Tieren und stellt sie gegen die Dschungel-Idylle des primitiven französischen Malers Rousseau „In a low-cut blouse she brings the beer/ Rousseau paints a jungle flower behind her ear/ Those cannibals-of shuck and jive/ They’ll eat a working girl like her alive.“ Immer wieder benutzt sie Bilder aus afrikanischen und christlichen Mythen, um den Großstadtdschungel als Gegenbild zum natürlichen Idyll zu fassen: „He says ‚Your notches liberation doll’/And he chains me with that serpent/ To that Ethiopian wall/ Winds of change patriarchs/ Snug in your bible belt dreams.“

Diesem Szenario setzt Mitchell wohl als Kontrast aus einer anderen Zeit aber auch als Bild für das Leben in den Vorstädten in „Shades Of Scarlet Conquering“ das romantische Bild einer southern belle, wie man sie vielleicht aus Texten von Tennessee Williams oder aus den Filmen des großen Hollywood-Zeitalters mit Errol Flynn und Clark Gable kennt, entgegen. Doch Schönheit, Geborgenheit und ein selbstbewusstes Leben im Metropolenmoloch scheinen unvereinbar. “Beauty and madness to be praised/ It is not easy to be brave/ To walk around in so much need/ To carry the weight of all that greed/ Dressed in stolen clothes she stands/ Cast iron and frail/ With her impossible gentle hands/ And her blood red fingernails/ Out of the fire and still smouldering/ She says a woman must have everything.”

Auf der zweiten, musikalisch noch reizvolleren Seite des Albums stellt Joni Mitchell in zwei Songs die Alternativen aus: Im Titelsong sehen wir die Ehefrau aus den suburbs, die sich entschieden hat, bei ihrem Mann im behüteten Heim zu bleiben: „He gave her his darkness to regret/ And good reason to quit him/ He gave her a roomful of Chippendale/ That nobody sits in/ Still she stays with a love of some kind/ It’s the lady’s choice/ The hissing of summer lawns.” In “Harry’s House” verlässt die Frau dagegen ihren Mann, der in einer Hotelsuite sitzend über ihre Motive sinniert: “Yellow checkers for the kitchen/ Climbing ivy for the bath/ She is lost in House and Gardens/ He’s caught up in Chief of Staff/ He drifts off into the memory/ Of the way she looked in school/ With her body oiled and shining/ At the public swimming pool” und dann den Lambert/ Hendricks/ Ross-Evergreen „Centerpiece“ anstimmt. Dieses sexuell aufgeladene Szenario zwischen Vorstadt und Geschäftswelt nimmt schon die Tragik von Filmen wie “Happiness” oder “American Beauty” subtil vorweg.

Doch, wie man im von Tom Wolfes „The Painted World“ inspirierten „Boho’s Dance“ erfährt, scheint auch das urbane Leben, mit seinen Kellerbars, Kunstausstellungen und Bohèmiens nicht die Erfüllung zu sein: „Nothing is capsulized in me/ On either side of town/ The streets were never really mine/ Not mine these glamour gowns.” Joni Mitchell bietet auf „The Hissing Of Summer Lawns“ keine Lösungen an, moralisiert nicht, wie man es in den Protestsongs Anfang der 60er getan hätte, sie zeigt ein Sittengemälde des Lebens in den modernen Metropolen und Vorstädten. Ihr Interesse ist ein ästhetisches. Kein Wunder, schließlich ist sie Malerin: „Every Picture has it’s shadows/ And it has some source of light/ Blindness, blindness and sight.“

Asylum, 1975

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