Kritik: U2 live in Berlin – und Bono sagt: „No more Chemnitz!“

Beim Konzert seiner Band U2 mischt Bono sich in die deutsche Politik ein. Aber warum eigentlich auch nicht? Die Show an sich ist übrigens fast dieselbe wie 2015.

Update: Konzertabbruch! Aus Bono Vox wurde No No Vox beim zweiten Auftritt.

Es gehört zur Lieblingssportart der Musikkritiker, sich über Bono aufzuregen, den „Polit-Prediger“. Das ist so simpel wie ein Schuss ins leere Fußball-Tor, weil, wie es so schön heißt, „Pop und Politik nicht zusammengehören“. Ist das so? Der Beweis dafür steht ja, seit es Pop gibt, also seit mindestens 60 Jahren, aus – genauso wie der Beweis für das Gegenteil: dass Pop und Politik sehr wohl zusammengehören. Wer kann das schon beurteilen!

Warum soll sich Bono also nicht über die Zustände in diesem Land aufregen? Weil er Ire ist? Oder Multi-Millionär? Beim Europa-Auftakt der „Experience + Innocence“-Tour in Berlin ruft er „No More Chemnitz!“ und er bringt auch, auf Deutsch, den neuen Anti-Nazi-Slogan „Wir sind mehr“.

Richtig so! „We are one, but we’re not the same“, singt er ganz am Ende, und gestikuliert wild: „Wir können diesen Song gar nicht singen, OHNE darauf hinzuweisen, was hier in Europa schief läuft.“

Bono kennt sich ja durchaus mit den Ländern aus. Macht einen anderen Eindruck als etwa Mick Jagger, der bei Stones-Konzerten in jeder Stadt der Welt nur regionaltypische Kalauer aus dem Hut zaubert (Berlin: BER, Stuttgart: Mercedes) und jedesmal so wirkt, als hätte man eine Stunde vor der Show eine Stichwortkarte rübergereicht und die dann mit ihm vor dem Schminkspiegel eingeübt.

Wer sich über Bono amüsieren will, sollte das vielleicht eher bei „The Ocean“ tun. Denn da hätte der Mann auch einfach mal nichts sagen können. Es ist eines der ganz wenigen Instrumental-Stücke der Band und so atmosphärisch, dass es instrumental bleiben sollte. Aber der Sänger nutzt es, um zur Melodie eine Rede über seine Mutter zu halten.

Und sonst so?

Und sonst so muss man vermerken, dass die „Experience + Innocence“-Tour sich kaum von der „Innocence + Experience“-Tour von 2015 unterscheidet. Sie bietet ein ähnliches Programm, das „E“ und das „I“ wurden halt vertauscht. Und schnell wird klar: Wer U2 das erste Mal in seinem Leben sieht, darf sich vielleicht über Songs wie „One“ freuen. Bei allen anderen kehrt Langeweile ein.

Um es wie ein Hardcore-Fan zu schreiben: „Berlin Experience 1“, also dieser Auftritt, ermüdet derart, als wäre es „Berlin Innocence 5“ – wie das fünfte Berlin-Konzert in der Mercedes-Benz-Arena, hätte es dieses hier als fünftes Konzert vor fast exakt drei Jahren gegeben, als die Band dort mit derselben Bühne und derselben Show viermal gastierte.

Der von The Edge „Innocence Suite“-getaufte Songblock (der Gitarrist hofft vielleicht, dass dieser hochtrabende Titel in die U2-Geschichte eingehen könnte) mit den Stücken des „Innocence“-Albums, mitsamt denselben Arrangements und Videoeinspielungen, steckt einem noch seit 2015 in den Knochen. Außerdem sind die Songs einfach nicht gut. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass weder „Innocence“-, noch „Experience“-Lieder nach dieser Konzertreise je wieder live gespielt werden.

Über keine U2-Tour gab es derart wenig Buzz wie um „Experience + Innocence“. Schon in den USA, wo die Tournee im Frühjahr ihren Anfang nahm, war es erstaunlich ruhig um die Iren. Keine Song-Überraschungen, so gut wie keine Gaststars. Wenn sich selbst die Fanclubs lediglich darüber freuen, dass mit „Acrobat“ ein 27 Jahre alter Song Live-Premiere feiert, so großartig der auch ist, dann müssten auch bei der Band Alarmsignale angehen.

Auch die technischen Neuerungen überzeugen nicht. Den „Augmented Reality“-Gag aus dem amerikanischen Live-Abschnitt, bei dem ein digitaler Bono aus den Zuschauer-Handys springen konnte, haben U2 zum Glück eingemottet. „Aber die Leinwand ist jetzt noch schärfer als die davor“, sagt The Edge dafür gerne in Interviews. Bessere Auflösung! „Aber eine noch schärfere Leinwand als die davor“, das war ja auch schon die Highlight-Ankündigung zur „Joshua Tree“-Tour aus dem vergangenen Jahr. Ist es das, was die Leute befriedigt – ein besserer Screen?

So richtig ausgereift wirkt die Technik auch nicht, als Bono mit Blick in die Kamera digital maskiert wird: Sein Gesicht gerät die ganze Zeit aus dem Fokus, und die Maske verschwindet. Das Ganze erinnert an die Trash-App „MSQRD“ („Masquerade“), mit denen man per Handykamera in die lustigsten Wesen verwandelt werden kann. Aber: Könnten U2 nicht auch Gimmicks hervorholen, die nicht jeder selbst auf seinem Mobiltelefon hat? Was waren das für einfache Zeiten noch, als Bono vor fast zehn Jahren sein Publikum lediglich aufforderte, Mobiltelefone hochzuhalten (als Lichtquelle, oder um eine SMS an die „One“-Wohltätigkeitsorganisation zu senden).

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Möglicherweise ist die dramaturgische „MSQRD“-Schieflage – upps, schon bin ich draußen aus der Maske – auch geplant gewesen. Bono schlüpft für seine „Acrobat“-Ansprache ja in die Rolle des alter ego MacPhisto aus der „Zooropa“-Ära. Ein größenwahnsinniger Clown, der gerne die Welt beherrschen möchte, dem aber selten was gelingt.

Es ist 25 Jahre her, als MacPhisto „goodby to all you neo-nazis, i hope they give you auschwitz“ sagte. Im selben Jahr, 1993, nach Rostock und Mölln, verkündete Bono auch auf Deutsch: „Lasst es nie wieder passieren“. Das war gut so. 2018 greift er die AfD an und nennt sie „Alternative für Demokratie“. Auch das ist gut so. MacPhisto bleibt, digitalen Maskenquatsch hin oder her, eine geniale Rolle des begabten Schauspielers Bono; es ist toll, den wiederzuhaben.

Aber es gab eben auch den einen oder anderen unter den 17.000 Zuschauern, der bei der Erwähnung „AfD“ reflexartig jubelte. Dürften U2 sich ihre Fans aussuchen, befänden sich unter ihren Anhängern wahrscheinlich 0,0 Prozent AfD-Wähler. Ganz sicher. Aber der Applaus an der falschen Stelle demonstriert vielleicht auch, wie überfordernd die Medien-Präsentationen dieser Tour sein kann, weil man nicht weiß, welches suggestive Bild, welche Überhöhung, welche Ironie aufeinander folgt.

Denn das Dauerfeuer aus Video-Einspielungen und Musikfetzen, aber auch den Positionierungen der vier Musiker auf ihrer Bühne führt zu Eindrücken, die manchmal schlecht synchronisiert erscheinen. Die Hymne „Pride (in the Name of Love)“ beginnt mit marschierenden Rechten, die im Takt den Arm zum Hitlergruß heben. Das wirkt wie eine politische Zustimmung der Iren, was natürlich unmöglich sein kann. Bono, Edge, Larry und Adam stehen dabei außerdem auf vier verschiedenen Bühnenabschnitten bzw. Podesten, weit voneinander entfernt, und bilden ein christliches Kreuz. Was hat das alles zu bedeuten?

Man kommt halt nicht immer mit. Als das Brandenburger Tor eingeblendet wird, gibt’s wieder Applaus. Dann muss man erkennen, dass das Tor ganz schön kaputt aussieht – es ist eine Aufnahme von 1945, dem zerbombten Berlin. Und dann jubelt keiner mehr. Der irre MacPhisto sagt über Trump: „Donald is on top of the situation“, Donald hat die Lage im Griff, und wieder kommen „Ja!“-Rufe, zumindest für Sekunden. Bei „Red Flag Day“ schunkeln Paare engumschlungen, wohl, weil sie die Melodie schön finden. Das Lied handelt von ertrinkenden Flüchtlingen im Mittelmeer.

Wo bleibt „The Joshua Tree“?

Ein Fehler der „E+I“-Tour ist die Aussparung des „Joshua Tree“-Materials. Es ist mutig von U2, diese Hits wegzulassen, gedachten sie doch bei ihrer Jubiläumstour von 2017 bereits der gesamten Platte. Sie haben wahrscheinlich aktuell keine Lust auf den Klassiker.

Aber die Fans wollen diese Sachen doch trotzdem hören. Da spielt es auch keine Rolle, ob letzten Sommer bereits 70.000 Leute im Berliner Olympiastadion abgegriffen wurden, die dort „With or without you“ und „ I still haven’t found what I’m looking for“ mitsingen konnten. Der Verzicht auf „Where The Streets Have No Name“, das gleißende Licht, die, wie Bono sagte, „Anwesenheit Gottes“ im Saal, der Moment, der jedes noch so schlechte U2-Konzert augenblicklich umbiegen kann – welchen Grund kann es geben, sich das zu verbieten?

Geheiligt seien die Käsemacher

Das rächt sich hier. Die Band versucht die Power von „Streets“ gleich mit vier anderen Uptempo-Songs auszugleichen, und das kann natürlich nicht funktionieren. „Pride“, mit seinem komischen Video und vier voneinander getrennten Musikern, irritiert, „Get out of your own way“ ist eine Kopie von „Beautiful Day“, nur für die Ariana-Grande-Generation, „New Year’s Day“ hat plötzlich einen Depeche-Mode-artigen Eurobeat, und „City of Blinding Lights“ kann man an vielen Stellen spielen, aber eben nicht als letztes Stück vor der Zugabe. Die Kathedrale von „Streets“ und dessen Licht: fehlen schmerzlich.

Es ist auch nicht immer das Erbaulichste, ein Konzert gerade mit neuem Material ausklingen zu lassen. Es ist sogar hochriskant. Es funktioniert, wenn die Lieder eine gewisse Größe haben: Das war 1992 der Fall („Love is Blindness“), 1997 („Wake Up Dead Man“), sogar noch 2001 mit „Walk On“. Aber Schlager wie „Love is bigger than anything in it’s way“ oder „13“? Für U2 ist das einfach zu schwach.

Bono sagt an diesem Abend zumindest noch einige lustige Sachen, „blessed are the cheesemakers“ zum Beispiel (oder der Autor dieser Zeilen hat sich verhört). Er erinnert auch an die „Lüge des Rock’n’Roll“, die Leute wie ihm vorgemacht habe, Musiker seien etwas Besonderes. Dabei, sagt Bono, sind ganz andere Menschen besonders, nämlich Feuerwehrmänner, Krankenschwestern und Lehrer – ihnen widmet er „Even Better Than The Real Thing“.

Bevor er die Bühne am Ende verlässt, listet er noch atemlos die Vornamen von Leuten auf, die er kennt.

Auf der Leinwand wurde mittendrin ein Satz eingeblendet, der ging ungefähr so: „Weisheit ist die Unschuld durch den langen Weg der Erfahrung.“

Welche Erfahrung werden U2 am Ende bei der „Experience“-Tour gemacht haben? Sie können sehr selbstkritisch über vergangene Konzertreisen urteilen, in spätestens vier Jahren sind wir alle schlauer.

Paul Morigi Getty Images
Paul Zimmerman Getty Images
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