KUNST ALS FLUCHTWEG

Lady Gaga hat es begriffen: Die Charts sind eine heimtückische Angelegenheit. „Mit einigen Nummereins-Hits in der Karriere hat man genug gezeigt“, sagte sie dem Londoner „Guardian“.“Nun gibt es keinen Grund mehr, irgendwem irgendetwas zu beweisen.“ Sie will künftig als Künstlerin wahrgenommen werden und nicht als Hitmaschine. Ihr Spiel mit der Aufmerksamkeit, das sie bis zur Selbstzerstörung betrieben hat, soll künftig nach anderen Kriterien funktionieren. Schnöde Verkaufseinheiten als Maßstab haben ausgedient. Zumindest die deutschen Hitlisten spielen ihr bei diesem Häutungsprozess in die Karten. Trotz des medialen Trommelfeuers ist „Applause“ erst einmal auf Platz fünf der Singlecharts hängen geblieben. Hinter dem schwedischen DJ Tim Bergling alias Avicii („Wake Me Up“) und dem englischen Schmuse-Rapper Naughty Boy („La La La“). Musikalische Geschäftsideen von weithin Unbekannten können sich locker mit Weltstars messen. Kein Wunder, dass selbst Lady Gaga die Lust verloren hat, auf Dauer dagegenzuhalten. Während in den Album-Top-Ten merkwürdige Subkultur-Phänomene wie das Mittelalter-Ensemble Saltatio Mortis oder die Flensburger Shanty-Band Santiano („Mit den Gezeiten“) abräumen, konnte der Mainstream-Pop längst jeden künstlerischen Unterbau absprengen. 25 Jahre nachdem KLF in ihrem „Manual“ erklärt haben, wie man ohne Talent eine Top-Nummer schreibt, hat sich im Singlegeschäft die Zunft der cleveren Grinsegesichter flächendeckend durchgesetzt.

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