Liebe Madonna,

ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich schon gefragt wurde, ob Du mein Vorbild bist. Und jedes Mal wieder finde ich diese Frage absolut bescheuert. Denn seltsamerweise werde ich nicht deshalb gefragt, weil Du Dich seit meinen Teenagerjahren (und die sind schon verdammt lange her…) bis heute in der 1. Liga des Musikgeschehens tummelst, Millionen von Platten und CDs verkauft hast und immer wieder den erstaunlichsten Riecher für die innovativsten Songschreiber und Produzenten beweist Auch nicht, weil Du als Maverick-Plattenboss Großen wie Alanis Morissette entdeckt hast.

Nein, die verdammte Vorbild-Frage kommt immer nur, weil Du all das, was Du tust, eben als Frau tust. Als wären zwei X-Chromosomen eine spezielle Form von Behinderung und ich, als Mitbehinderte, müsste mich deshalb in jedem Fall mit Dir solidarisieren. Dabei gibt es neben der „Königin des Pop“ doch nicht einmal mehr einen König, nachdem die letzten Kings sich durch übermäßiges Hinwenden zu Bananen-Erdnussbutter-Sandwichs oder schönheitschirurgischen Eingriffen vom Thron katapultiert haben.

Wie viele heterosexuelle männliche Musiker werden eigentlich gefragt, ob Madonna ihr Vorbild ist? In einer besseren Welt hätte die „Queen of Pop“ wohl genauso viele Jungs entscheidend beeinflusst wie Mädchen. Aber weil Du ja nicht wirklich etwas dafür kannst, dass die Welt ist, wie sie ist, kommt nach dem ersten Gemecker jetzt der Dankes-Kniefall:

Denn ohne Dich wäre aus mir wohl sicher eine andere Frau geworden. Wie aus fast allen weiblichen Teenagern der Eighties. Nicht wegen Deiner Musik. Die ist und bleibt Geschmackssache, und wie viele meiner Geschlechtsgenossinnen konnte ich nie besonders viel mit ihr anfangen. Mit Deiner Haltung aber umso mehr. Kompromisslos seine Interessen durchzusetzen, auf den guten Ruf zu pfeifen und den schlechten mit viel Sex und noch mehr anstößigem Benehmen hingebungsvoll zu pflegen, das war in meinen frühen Teenagerjahren eigentlich den Jungs vorbehalten. Bis Du kamst. Mochte Deine Musik gefällig und öde und so gar nicht cool sein – Du selbst warst einfach umwerfend rebellisch, verrucht, sexy und stark! So umwerfend, dass ich sogar als kleiner Darkwave-Fan damals fast alles dafür gegeben hätte, so zu sein, wie Du in „Desperately Seeking Susan“. Natürlich gab es in dieser Zeit auch andere Vorbild-Frauen: Siouxsie Sioux, Pauline Black, Nina Hagen, Annette Humpe – und die haben echt bessere Musik gemacht. Aber so breitenwirksam wie Du hat keine von ihnen damals für uns Mädels Türen aufgestoßen. die man respektiert.

So weit, dass wir Girlies der Neunziger da prima auf unseren dicken Schuhen durchmarschieren konnten – während Deine eigenen, gezielten Provokationen anfingen, ein bisschen sehr gewollt und etwas fadenscheinig zu wirken. Aber Du wärst ja nicht Madonna, wenn Du nicht wieder allen voraus gewesen wärst. Während wir frecher wurden, wurdest Du – mächtig. So mächtig, wie kaum jemand in der Musikwelt vor dir. Wie jeder Star hattest Du dazu bald auch eine Unmenge alberner Macken, aber trotz des ganzen Yoga-, Kabbala-, Yingel-Yangel- und Adoptionsgetues gilt bis heute: Wer mit Madonna arbeitet, ist nicht ganz vorne im Trend, er oder sie IST der Trend. Dank Deines goldenen Händchens für kommende Talente. Wer kannte vor der Zusammenarbeit mit Madonna schon Mirvais oder William Orbit?

Sogar, was Deine Vermarktung angeht, warst und bist du immer einen Schritt weiter, als alle anderen. Eine Single wie „Hung Up“ zuerst als Klingelton zu vermarkten, sich als Künstler nicht mehr an eine Plattenfirma, sondern an eine Konzertagentur zu binden, dazu braucht es nicht nur jede Menge Weitblick, sondern noch mehr Eier.

Und wer mit so viel Macht, Weitblick und Eiern ist gleichzeitig so unfassbar begehrenswert, wie Du als Bräutigam für Britney und Christina Aguilera bei den MTV Music Awards? Der Boss der Bosse trägt Schwarz und kaum Ausschnitt und ist dabei sexier als ihre halb so alten, halbnackten Kolleginnen. Whow! Wenn das kein Rollenmodell ist!

Doch während ich noch darüber nachdenke, wie ich Dir am besten nacheifern kann, drängt sich ein pinkfarbener XXXS-Aerobicanzug in meine Gedanken. Darin Dein Hintern, zu zwei fettfreien Muskelfäustchen gestählt, getragen von weiß bestrumpften, monströs sehnigen Beinen. In jeder nur erdenklichen Pin-Up-Pose biegen sie sich zu Abbas genialem Riff im „Hung-Up“-Video. Die Kamera wandert über so gut wie jeden Quadratzentimeter Deines Körpers. Dank Botox und Hyaluronsäure sind noch nicht einmal an den Händen Falten zu sehen. „Wow, sie ist fünfzig und trotzdem völlig makellos! Altert sie denn niemals?“ soll ich denken. Und wahrscheinlich soll ich auch finden, dass Du total sexy bist. Aber leider denke ich nur: „Komisch, sie ist muskulöser, fitter und biegsamer als jede Zwanzigjährige – und sieht trotzdem aus wie fünfzig.“ Noch dazu finde ich plötzlich, zum allerersten Mal, dass Du irgendwie hilflos und verzweifelt rüberkommst. Genauso, wie in dem seltsam durchsichtigen Minifummel, in dem Du gerade Deine aktuelle „Sticky And Sweet“- Tour eröffnet hast.

Und das hat ehrlich nichts mit Deinem Geschlecht zu tun. Auch der Anblick von Männern, die mit ihrem Alter ganz offensichtlich nicht klarkommen, bietet Anlass zum Fremdschämen. Robert Redford, Michael Douglas, Mickey Rourke bis hin zum Arschgesicht Costa Cordalis – willst Du Dich nach so vielen Jahren an der Spitze wirklich einreihen ins Heer der Armseligen? Et

Du bist die Königin, verdammt noch mal! Und aus einer solchen wird nie wieder eine Prinzessin. Also bitte, hör auf, plötzlich so zu tun, als wärst du noch eine. Man sieht Dir an, dass immer mehr Deiner Zeit für Training und Verjüngungskuren draufgeht!

Ich persönlich wünsche mir bei diesem Anblick nur eines: Dass Du Deine Stunden produktiver nutzt. Zum Beispiel damit, weiter ganz vorne zu sein, anstatt Deiner Jugend hinterher zu rennen. Wenn eine das schaffen kann, dann Du! Besten Dank dafür im voraus, Deine Luci van Org

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