10. Todestag

Erinnerung an Lou Reed: Rockstar, Provokateur, Arschloch

Lou Reed verstarb am 27. Oktober 2013. Das Werk, das er uns hinterlassen hat, gibt immer noch Rätsel auf. ROLLING-STONE-Redakteur Arne Willander über einen coolen alten Sack, der immer der Härteste von allen war.

Jeder Musikjournalist, der ein Interview mit ihm führen sollte, hat eine Geschichte über das Treffen mit Lou Reed. Er galt als übel gelaunter Misanthrop und Zyniker, ein alternder Rock-Star mit Allüren, eine Diva, die sich schnell langweilt. Seine Launen waren willkürlich oder folgten einem geheimen Plan – wer davon kam, der berichtete erstaunt von einem aufgeräumten und angenehmen Mann, der gern noch ein wenig länger sprechen wollte.

Doch die meisten kamen nicht davon. Auf Drogen durfte man ihn niemals ansprechen – tat man es doch, wurde Reed zur Bestie, da half auch das Prozac nicht. Die Autorin Sylvie Simmons dokumentierte einen Wutanfall, bei dem der Künstler sie als Hure beschimpfte. Vielleicht waren es die Elektroschocks, die Lou Reed in seiner Jugend gegen die latente Homosexualität verabreicht wurden, vielleicht waren es all die Rauschgifte, die er später konsumierte: Mit ihm war nicht gut Kirschen essen.

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Geboren wurde er am 2. März 1942 als Lewis Allan Reed auf Long Island. Er wuchs in Brooklyn auf, entfremdete sich früh von der Familie und studierte in Syracuse bei dem Schriftsteller Delmore Schwartz, der sein Mentor wurde. Damals liebte er die harmlosen Vokal-Ensembles des Doo-Wop (den Sänger Dion führt er später in die Rock And Roll Hall Of Fame ein), und 1963 zog er nach New York City, wo er Auftrags-Songschreiber bei Pickwick Records wurde. Bis hierhin ähnelt sein Weg den Karrieren von Neil Diamond und Donald Fagen, wenn er auch nicht lange studiert haben kann.

The Velvet Underground & Nico

Das musste er allerdings auch nicht, denn jetzt studierte er die Straße und hörte experimentelle Musik, etwa die von La Monte Young, mit dem ein junger walisischer Musiker namens John Cale zusammenarbeitete. 1964 gründeten sie die Band The Primitives, danach The Velvet Underground. Cale behauptet, er habe bereits das Stück „Heroin“ gehört, als er Reed kennenlernte – das deutet darauf hin, dass die Songs von „The Velvet Underground & Nico“ schon lange vor der Platte ihre Gestalt angenommen hatten. 1966 suchte Andy Warhol eine Band und entdeckte die düsteren, kurzhaarigen jungen Männer nebst der knabenhaften Mo Tucker am Schlagzeug. Das Album mit der Banane erschien im Frühjahr 1967 – und löste nichts aus. Stoischer elektrischer Gleichklang, wo nicht Krach, mit dem sonoren Gesang einer blonden deutschen Walküre war das Allerletzte, was im psychedelischen Summer of Love gebraucht wurde. Heute steht das Album in jedem Kanon der Welt unter den besten zehn Rock-Platten aller Zeiten.

John Cale stieg nach der zweiten Platte aus, Lou Reed blieb noch bis zur vierten, „Loaded“ (1970), die stets unterschätzt wird. Seine erste Solo-LP wurde ein Misserfolg, auch bei den Kritikern. Dann lernte er David Bowie kennen, einen Bewunderer, der auf der Höhe seines Ruhms war und „Transformer“ produzierte: Die knochentrockenen Songs Reeds trafen auf den emphatischen Glam-Rock Bowies, und neben „Walk On The Wild Side“, der späteren Hymne der internationalen Mode-Messen, Porno-Konvente und Provinz-Eisdielen, entstanden so rührselige, goldige Lieder wie „Satellite Of Love“ und „Perfect Day“.

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Lou Reed war jetzt erfolgreich. „Berlin“ (1973) aber wurde allgemein verrissen und begründete damit Reeds Abneigung gegen die Kritik (und gegen das Publikum). Hartnäckig spielte er das Album 2004 komplett bei Konzerten und inszenierte 2006 in New York mit Julian Schnabel, Antony und einem Kinderchor eine weihevolle Bühnenfassung. 1974 ließ er mit „Sally Can‘t Dance“ noch eine konventionelle Platte folgen und nahm dann 1975 den berühmtesten kommerziellen Selbstmord der Plattengeschichte auf – „Metal Machine Music“, ein Inferno aus Feedbacks, das die Geschäftspartner natürlich hätten verhindern können. Mit dem melancholischen „Coney Island Baby“ empfahl er sich hernach wieder als harter, aber im tiefsten Herzen romantischer Songschreiber.

Grantler und Griesgram

Von da an wurde Lou extrem unzuverlässig. Während die Punks die Vorlagen von Velvet Underground ausnutzten, nahm Reed unbekümmert erratische Platten wie „Rock And Roll Heart“ und „The Bells“ auf. 1982 wurde seine Wiedergeburt gemeldet, als er mit Fernando Saunders am Bass und dem Gitarristen Robert Quine, die ihn künftig fast immer begleiteten, „The Blue Mask“ fertiggestellt hatte. „Legendary Hearts“ und „New Sensations“ konsolidierten seinen Ruf als Grantler und Griesgram in fröhlichen Zeiten. Mit den losen Gitarren-Gewittern von „Mistrial“ (1986) wütete Reed gegen den Zeitgeist. 1989 wurde er wieder zum Kritikerliebling mit dem Meisterwerk „New York“, einer furiosen Abrechnung mit der Politik seiner Stadt, mit Jesse Helms, Kurt Waldheim und allen, die im Weg standen. Gitarre, Bass, Schlagzeug – mehr braucht es nicht: Aus diesem Theorem war das fast brutale Album entstanden, auf dem Reeds höhnischer Sprechgesang in den Vordergrund gerückt war. Nach dem Tod Andy Warhols schrieben Reed und Cale das milde Requiem „Songs For Drella“.

Nicht so gut gelang „Magic & Loss“ (1992), Reeds poetischer Reigen über Aids und Tod. Bei den anschließenden Konzerten führte er das Album komplett auf, mit Stehpult, Leselampe und Lesebrille auf der Nase, die Zuschauer zur Stille verurteilt. Wer es erlebt hat, der wird nie den zweiten Teil nach der Pause vergessen, als die Band unvermutet sonische Fassungen von „Sweet Jane“, „Satellite Of Love“ und „Perfect Day“ spielte. 1992 fand er sich für eine Tournee wieder mit Cale, Sterling Morrison und Mo Tucker zusammen, doch sie stritten schon im Bus zur Halle. Die Songs wurden nun stetig länger, „Set The Twilight Reeling“ (1996) überzeugte mit der Sentimentalität von „Egg Cream“, Live-Platten gerieten langweilig. Lou Reed schrieb die Musik für Robert Wilsons „Time Machine“, die das Feuilleton, hach, zu laut fand. 2003 nahm er „The Raven“, eine wenig inspirierte Sammlung mit Songs nach Gedichten von Edgar Allan Poe, auf. Interviewer bat Reed, bitteschön entsprechend vorbereitet zu sein.

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Der Härteste von allen

„Lulu“, die viel gescholtene Platte mit Metallica von 2011, ist das letzte Werk geblieben. Kaum wollte Reed mit den neuen Freunden auf Tournee gehen, da hatten sie sich schon wieder zerstritten. Für das Album erhoben sich einige Querköpfe zur Verteidigung, sonst gefiel es niemandem.

Lou Reed, der Härteste von allen, der Leguan im Muskelhemd, mit John Cale Begründer einer neuen Rockmusik, der Wüter wider den Stachel, Provokateur, Arschloch, Gottseibeiuns, cooler alter Sack, Witzbold, Rock‘n‘Roller, ist gestorben. Gerade höre ich das lange, lange Fade-out von „Temporary Thing“. Es war ein irrer Ritt, Lou.

Adam Ritchie Redferns
Waring Abbott Getty Images

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