Mark Lanegan – Soziales Netzwerk

Der legendär selbstzerstörerische Songschreiber Mark Lanegan nahm ein Album mit Freunden wie Josh Homme und Greg Dulli auf.

Viele Freunde zu finden, ist dank Facebook zumindest online kein Problem mehr. Mark Lanegan braucht keine solche Internet-Gemeinschaft, er trifft sich lieber mit seinen realen Freunden und macht Musik mit ihnen. Und er hat zweifellos viele von ihnen, was er seit seinem letzten Soloalbum „Bubblegum“ im Jahr 2004 eindrucksvoll zu Gehör gebracht hat. Drei Alben mit Ex-Belle-&-Sebastian-Sängerin Isobel Campbell sowie jeweils zwei mit The Twilight Singers und den Soulsavers hat er in den vergangenen acht Jahren veröffentlicht. Zudem war er sporadisch Mitglied von Queens Of The Stone Age. Fehlt nur noch die Reunion der Screaming Trees, jener Band, mit der Lanegan Anfang der 90er-Jahre weit über die Grenzen seines Geburtsorts Ellensburg bekannt wurde.

Aber Lanegan meidet ausgetretene Rock-Pfade: „Ich bin glücklich mit dem, was wir als Band erreicht haben. Wir sind noch immer eine Familie, aber 15 Jahre in einer Band sind genug – das ist doppelt so lange wie die meisten Liebesbeziehungen meiner Mutter.“ Das Kapitel Screaming Trees ist damit abgehakt. Auf zu neuen Solo-Exkursionen! Mit „Blues Funeral“ hat Lanegan seine vielleicht dunkelste, zumindest aber elektronischste Platte aufgenommen.

Rein äußerlich hat sich Lanegan seit Grunge-Tagen kaum verändert: zerschlissene Jeans, Holzfällerhemd und Basecap, die Krempe der Coolness halber nach hinten gedreht. Das Gesicht mit den tiefen Augenhöhlen und dem charakteristischen Kinnbärtchen wirkt immer noch grimmig. Doch vom einst gefürchteten, wortkargen Interview-Partner keine Spur. Lanegan antwortet freimütig und gewitzt, wiegt ab und lässt bisweilen sogar private Details durchblitzen. Wenn er zum Beispiel erzählt, wie gern er Reisepässe für seine zwei Hunde hätte, um sie mit auf Tour zu nehmen, die aber leider daheim bei seiner Frau in Los Angeles bleiben müssen.

Musikalisch haben die vielen „Nebenprojekte“ nicht nur in Lanegans Songwriting, sondern auch im Klangbild von „Blues Funeral“ Spuren hinterlassen. So hört man darauf etliche Synthesizer und Drum-Machines. Tatsächlich trägt hier die Discomusik den Blues zu Grabe. „Ich denke, dass beide nicht friedlich koexistieren können“, scherzt Lanegan, der mit den Songs von Son House, Lightnin‘ Hopkins, Skip James und John Lee Hooker aufwuchs, aber auch mit einer Band namens Kraftwerk. „Als die Schule geschlossen wurde, in der mein Vater früher unterrichtete, nahm er eine Kiste mit Platten mit. Eine davon hörte ich immer wieder: ‚Autobahn‘.“

„Blues Funeral“ klingt allerdings eher nach 80er-Jahre-Electro-Clash als nach den kühnen Klang-Konstruktionen der deutschen Soundpioniere. Einer der Songs heißt sogar „Ode To Sad Disco“, wobei dahinter gar nicht die sentimentale Erinnerungsschau steckt, die der Titel verspricht. „Das ist meine Hommage an den Regisseur Nicolas Winding Refn. In seiner ‚Pusher‘-Trilogie gibt es einen Dialog, in der die Rede von einer ’sad disco‘ ist“, erklärt Lanegan. Der schnörkellose Realismus und die Kämpfer-Attitüde der dänischen Mafiafilme entspricht ganz seiner Natur.

Auch Lanegan ist ein vom Schicksal Geprüfter, der sich privat wie musikalisch gegen alle Widerstände behauptet hat: der perfekte amerikanische Untergrund-Rocker, der schon als Teenager in Konflikt mit dem Gesetz geriet, Drogen nahm, im Knast landete, sich jedoch immer wieder aufrappelte, ins Leben zurückkehrte, um doch noch eine ganz passable Karriere irgendwo zwischen Grunge und Gossen-Coolness, Singer/Songwriter-Tradition und Stilvielfalt auf die Beine zu stellen. Einer, der sich seine kleinen und mittelgroßen Erfolge hart erarbeitet hat und nach dem Niedergang des Grunge nicht zum Rock-Popanz à la Dave Grohl degenerierte.

Lanegans Sidekicks schätzen wohl genau diesen unbeugsamen, geradlinigen Kerl in ihm; manche von ihnen sind selbst solch harte Knochen: Mit Josh Homme von den Queens Of The Stone Age verbindet ihn seit 1996 eine Freundschaft, die auch auf „Blues Funeral“ wieder Früchte trägt. Ihr irre pulsierender Höllenritt „The Gravedigger’s Song“ gehört zu den Höhepunkten des Albums. Daneben haben Gitarrist Greg Dulli (The Twilight Singers, The Afghan Whigs) und Schlagzeuger Jack Irons (vormals Red Hot Chili Peppers und Pearl Jam, heute bei Spinnerette) mitgewirkt. Aber erst Lanegans dick aufgetragene Synthies-Flächen machen das Album zu einer ächzenden Dampfmaschine, die nur noch von ein paar Schrauben und ein bisschen Schmiere zusammengehalten wird. Lanegan selbst sieht das fertige Produkt etwas skeptisch: „Obwohl die Songs oft aus etwas sehr Persönlichem entsprungen sind, haben sie letztlich doch nicht mehr viel zu tun mit meinem realen Leben.“

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