Max Gösche über Lucinda Williams

Niemals hätte ich auch nur im Traum daran gedacht, dass ich den gleichen Musikgeschmack haben könnte wie Bela B. und „Tatort“-Schauspieler Andreas Hoppe. Oder daran, dass ich eines Tages mit ihnen auf einer Kirchenbank sitzen würde. Genau dazu es sollte jedoch am 4. Juni 2013 in der Apostel-Paulus-Kirche in Berlin-Schöneberg kommen.

Vorn im Altarbereich, zwischen Devotionalien zwei Verstärker, zwei Mikrofone, an einem Lucinda Williams, am anderen ihr Gitarrist Doug Pettibone. Die Williams fremdelt anfangs, scheint uneins mit ihrer Stimme, ihrem Körper, wirkt unsicher, man könnte auch meinen unnahbar, ist aber nur schüchtern, taut schließlich auf, als ihr ein Verehrer eine Rose kredenzt. Ein schelmisches Lächeln huscht über ihr Gesicht, ein Gesicht wie eine faszinierende, verlebte, scheinbar nur von Würde und Make-up zusammengehaltene Erinnerung an Schönheit. Zwischendrin ein leises ungläubiges Kinderkichern: Dass man hierzulande in solch heiligen Hallen Rockkonzerte veranstalten kann, sei in ihrer Heimat unvorstellbar. Der Applaus brandet nach jedem Stücke lauter aus den Reihen und von den Emporen. Und bei den Zugaben stehen ein paar Hundert auf den Bänken, wie glücksbekifft und bekehrt von der brüchigen Aura einer 60-Jährigen. Nun könnte es ja sein, dass Hoppe, der Bela und ich einfach nur auf reife Frauen stehen. Aber was bei Williams schon immer überwogen hat, sind zweifellos ihre künstlerischen Reize: Ihre unwahrscheinliche, späte Karriere. Ihr von Liebesleid gegerbter Gesang, der jedem Lover unmissverständlich klarmacht, dass sie Schrammen am Herzen mit Songs heimzahlt. Ihre zwischen Country, Blues, Folk und Heartland-Rock oszillierenden Alben. Und die Wirren und Wehen des Lebens, mit dem sie all dies füttert.

Für „Car Wheels On A Gravel Road“ wurde sie 1998 nicht nur in dieser Zeitschrift als Americana-Inkarnation im Geist von Gram Parsons gefeiert. Williams war 45, hatte in riesigen Abständen vier Alben veröffentlicht und sich als Songwriterin eine Nischenexistenz eingerichtet, als sie für „Car Wheels“ eine Grammy-Auszeichnung erhielt und der Song „Still I Long For Your Kiss“ in Robert Redfords epischer Pferdef lüster-Schmonzette zu hören war. Vom Erfolg bef lügelt, arbeitete Williams die folgenden Jahre in einem für ihre Verhältnisse rasenden Tempo – und nahm fast nur noch Meisterwerke auf: Über den schwerblütigen Balladen und idiosynkratischen Arrangements von „Essence“(2001) geistert ihre Stimme wie der Geist einer geschundenen Seele, auf „World Without Tears“ (2003) regieren raubeiniger, elektrischer Blues und milder Sarkasmus. Arne Willander resümierte damals:“Lucinda Williams ist seit reichlich zwei Jahrzehnten die einzige Frau im Americana-Genre, die so unbeugsam ist wie die Kerle und so gute Songs schreibt wie nur die begabtesten von ihnen.“ Und weiter: „Auch auf ‚World Without Tears‘ klingt Lu mal wieder nach Barschlampe, nach Säuferin, nach Süchtiger, nach wilder Hausfrau und nackter Sünderin.“ Diese Zeilen schlugen mich in Bann, stürzten mich hinab, zuerst in die von der Kritik verschwenderisch verwöhnte Gegenwart der Künstlerin, der aber immer noch viel zu wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde, verglichen mit ihren männlichen Kollegen. Dann in die rätselhafte Vergangenheit, in die Jahrzehnte, in denen Williams manchmal nur ein Album zustande brachte oder in denen sie aus Gründen des Geldverdienenmüssens nicht mehr verwirklichen konnte. Schon bizarr, dass man sich so den Ruf einer Perfektionistin einhandelt. Auf ihrem Debüt „Ramblin'“ übte sie 1978 noch artig Blues-Klassiker und Traditionals, „Happy Woman Blues“ ließ 1980 mit Stücken wie „Lafayette“,“I Lost It“ und dem Heuler „King Of Hearts“ bereits ihr Songwriter-Talent erkennen. Doch erst 1988 folgte mit „Lucinda Williams“ ihr Schlüsselwerk. Inzwischen war sie weit gereist, hatte in Austin, Jackson, Los Angeles und Nashville gelebt, geheiratet, sich scheiden lassen und ihre Haare gefärbt. Auf dem Cover von „Lucinda Williams“ sieht sie aus wie Nena zwanzig Jahre später, auf der Rückseite steht ein verrosteter Wohnanhänger. Sie fragte:“Is it too much to demand? I want a full house and a rock and roll band“, und: „Am I too blue for you?“ Sie vergoss keine Träne mehr und ertrug keine Lüge mehr, sie tauschte die Schlösser („so you can’t see me anymore“) und änderte ihre Telefonnummer („so you can’t call me up at home“). Was ließ sich noch über gescheiterte Beziehungen und entschiedene Neuanfänge sagen? Auch wenn sie heute den nackten Sound der staubigen Straßen und trostlosen Trailer Parks durch eine geschliffene Produktion ersetzt hat (und sich schon mal in einer Kirche anbeten lässt), bleibt noch genug übrig von diesem irdischen Überlebenswillen, vom Nichtunterkriegenlassen, von den zweifelzerwühlten Nächten und der Ungewissheit, ob sich ein Lebensunterhalt mit Gitarre und Stimme bestreiten lässt. „It’s a long way to the top if you wanna rock’n’roll“, sang sie 2008 auf „Little Honey“. Es gibt keine Songschreiberin, auf die diese AC/DC-Sentenz besser passt.

Lucinda Williams hat sich in einem von Macho- und Muckertum triefenden Genre ein Refugium geschaffen, in der Leidenschaft und Trauer, Schwäche und Hartnäckigkeit, Selbstbehauptung und Abhängigkeit, Wut und Wehmut, Liebe und Tod in eins fallen. Das ist kein emanzipatorisches Statement – nur ein selbstbestimmtes Leben.

„Ich bin meine größte Kritikerin – und das gefällt mir noch immer“

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REZENSIONEN 9

STERNE 37

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