Mit Spinnerlust vereinen DIE AERONAUTEN aus der Schweiz hymnischen Pop mit melancholischen Verschwörungstheorien

Die wattierten Lebensbedingungen von Schaffhausen, jenem gutbürgerlichen Ort der Schweiz, in dem Die Aeronauten beheimatet sind, ähneln denen von Twin Peaks. Der Unterschied liegt im Verborgenen. Während Regisseur David Lynch die Fratze hinter der idyllischen Fassade der typischen amerikanischen Kleinstadt freilegte, bleibt Schaffhausen selbst nach näherer Betrachtung das, was es ist: ein seltsam unwirkliches Provinzkaff. „Ich war Punk und stets bemüht, mich möglichst unanständig aufzuführen“, erläutert der Chef-Aeronaut Olifr Maurmann seine frühen Ambitionen als junger Wilder. Das Dilemma: „Die Leute kennen einen seit Jahren und denken, das sei jetzt so eine Phase und lege sich bei dem schon wieder.“

Was also tun, wenn Jugendprotest als Rohrkrepierer endet. Als kluger Kopf gründete Maurmann, der Sänger, Texter und Gitarrist der Band ist, 1991 den „Club der Langweiler“ mit den Aeronauten als Vorsitzende. Bereits nach Veröffentlichung ihres Debütalbums „1:72“ (1993) war klar: Die Aeronauten machen keinen großen Unterschied zwischen Lamento und Lametta. Beides alt und neu, beides schön und häßlich, beides langweilig und interessant, beides scheißegal. Und so tragen denn auch Frühwerke bezeichnende Titel wie „Gegen Alks“ oder „Jetzt Musik“.

Auf „Honolulu „, dem aktuellen, vierten Album der mittlerweile zum Septett erweiterten Formation, singt Maurmann: „Ich gab ihr mein Herz. Jetzt hat sie zwei und ich habe keins.“ Mit Spinnerlust vereinte Komik und Melancholie bestimmen verstärkt den Aeronauten-Kosmos, dienen aber nie dem Selbstzweck. „Wir benutzen derartige Kunstgriffe zur Überhöhung der Inhalte“, erklärt der Bassist Hipp Mathis. Und Olifr ergänzt: „Unsere Songs werden deshalb aber nicht zum Witz, sie sind ernst gemeint. Darüberhinaus nimmt die Musik als Gegenentwurf zur textlichen Aussage bei unseren neuen Songs einen wesentlich höheren Stellenwert ein.“ Die Aeronauten spielen verhuschten Pop und hymnischen Synthie-Rock wie der ironisch als Schweizer Beitrag zur WM annoncierte Song „Weltmeister“. Daß im Studio, wiederum unter der Leitung von Produzent Chris von Rautenkranz (Die Sterne, Blumfeld), nun mehr „gedudelt“ wurde, schlägt sich in disziplinierter Verspieltheit nieder. Mutigster Vorstoß in Jam-Gefilde: die sechseinhalbminütige Instrumentalnummer „Mir“. Im Volksmund werden Die Aeronauten gerne als in die Jahre gekommene Tocotronics gehandelt. Vorbelastet durch die Mittachtziger Post-Punk-Ära (Family Five, F.S.K.), bemühen sich die Schweizer um variable Ausdrucksformen wie Punkrock, Soulpop oder auch Ska, ohne der Musik und dem Leben Wichtiges hinzufügen zu wollen. Viel lieber werfen die Aeronauten einen Blick in Privatwelten, um „den eigenen Mikrokosmos zu ordnen und die Dinge auf die Reihe zu bringen“, wie Olifr Maurmann sagt. Notfalls auch mit Verschwörungstheorien, die Maurmann weniger für vergnügungssüchtige Bohemiens zitiert, sondern vielmehr als eine Art Ersatzreligion in Zeiten massiver Unklarheiten begreift – und der dabei die Provinz als Projektion erkennt.

Am Ende ist nicht nur Schaffhausen eine Illusion.

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