Morrissey live: Bleibt in Berlin, kommt nicht nach England!

Wird er wieder wutentbrannt von der Bühne stürmen? Das nicht, aber Morrissey gibt seinem Publikum ernste Botschaften mit auf dem Heimweg.

„Meat Is Murder“

Das große Ego von Morrissey! Der Mann betrat noch nicht mal die Bühne, da hat auch der letzte der Zuschauer längst mitbekommen, dass der Brite in Berlin angekommen ist. Dort in der Columbiahalle, wo man sonst den Käsebrezel-Verkäufer findet, hat die Tierschutzorganisation PETA ihren Stand aufgebaut und wirbt für Lebewesen. Okay, ab in den Raucherhof um eine Bratwurst zu mampf … Tofu-Wurst! „Auf besonderen Wunsch des Künstlers“, wie ein Schild verheißt.

Dreißig Minuten vor Beginn seines Auftritts lässt Morrissey auf einer Leinwand schon mal einen sehr unterhaltsamen Film abspielen. Eine Collage aus den letzten 50 Jahren Politik in Großbritannien, seinen Lieblingsmusikvideos sowie einen Clip zum eigenen Song „The Bullfighter Dies“, in dem Stiere den Spieß umdrehen und die Toreros fertigmachen. Wir sehen außerdem Kitchensink-Dramen, klassische Smiths-Themen also, und eine kurze Einspielung des „Wizard Of Oz“-Lieds „Ding Dong (The Witch Is Dead)“, eine zynische Hommage an die verstorbene Margaret Thatcher. Schließlich eine bizarre Szene des deutschen Moderators Manfred Sexauer aus den Siebzigern, und wie er die New York Dolls ankündigt.

Dann endlich betritt Morrissey die Bühne, er trägt einen weißen Anzug wie damals einer der Jackson Five, und sagt: „Berlin! I’m exited to be here – and shocked.“ Er spielt mit dem Publikum, das für einen kurzen Moment fürchtet, er könnte, wie in Warschau, wutentbrannt vorzeitig die Bühne verlassen. Dann beginnt das Inferno von „The Queen Is Dead“. Es lässt sich nicht oft genug sagen, wie gut dem Stück die zweite Gitarre tut, der Smiths-Mitschnitt „Rank“ (1988) hatte das schon bewiesen: Rock am Rande des Nervenzusammenbruchs. Morrissey, mittlerweile auch ein bisschen ein Bloke, lässt dazu ein Bild von Queen Elizabeth II. hochfahren und ihr zwei Stinkefinger reinretuschieren; Prinz William und Kate untertitelt er mit „United Kingdumb“. Etwas plakativ, aber so ist Punk.

Die aktuelle Morrissey-Tour, auf der er sein Album „World Peace Is None Of Your Business“ bewirbt, lebt von einer professionellen Routine, durchzogen vom Unwillen des 55-Jährigen, seine Setlist mit Hits zu stopfen.  Zu wenige Smiths-Klassiker sowieso, aber auch wenige aus seiner Solo-Karriere. Dennoch ein gelungener Abend: „Suedehead“ klingt besser als auf Platte. Bei „How Soon Is Now“ fürchtet man stets, die Band versiebt jene zwei Gitarren-Effekte, mit denen die Smiths einst die Tür in die Ewigkeit geöffnet hatten. Aber auch das meistern die vier, Musiker und Publikum schweben gemeinsam auf dieser Soundwolke, die so kühn die Alptraumwelt eines Außenseiters beschreibt. Mittlerweile hat man sich auch an den neuen, verstärkten Bombast in der Live-Darbietung gewöhnt, den Gong-Schlag wie im alten China. „I am STILL the son, I’m the heir“ singt Morrissey hier leicht abgewandelt. Seinen Platz macht ihm doch keiner mehr streitig.

Ob die Tofu-Bude dem Besucherandrang standgehalten hat, nachdem Morrissey „Meat Is Murder“ anstimmte? Schwer zu sagen, die Leidenschaft, mit der er sein Thema vorträgt, übertrifft jedenfalls alle Erwartungen. „Contains Graphic Images“ wird, ob Zufall oder nicht, nur für eine Sekunde eingeblendet, dann gibt es auf der Leinwand einen Zusammenschnitt von Schlachtvideos zu sehen, die bei YouTube sicher gesperrt sein dürften. „This beautiful creature must die …“

Morrissey richtet sich an das Publikum, er sagt: „Berlin ist eine schöne Stadt. Was auch immer ihr tut, bleibt hier. Geht nicht nach England.“ Die Royals, die Tierjagden, vielleicht ärgert ihn ja auch der drohende Austritt Englands aus der EU? Der Mann lässt jedenfalls nicht locker, kaum vorstellbar, dass sich seine Wut im Backstagebereich abkühlen wird.

Der Abend endet mit der Selbstmörder-Hymne „Asleep“ und dem größten Solo-Hit, „Everyday Is Like Sunday“. „Deep in the cell of my heart / i really want to go“, singt Morrissey in „Asleep“. Hoffen wir, dass er uns noch lange erhalten bleiben wird.

Setlist:

The Queen Is Dead

Suedehead

Certain People I Know

Istanbul

The Bullfighter Dies

Kiss Me a Lot

Kick the Bride Down the Aisle

How Soon Is Now?

I’m Throwing My Arms Around Paris

World Peace Is None of Your Business

One of Our Own

Neal Cassady Drops Dead

Meat Is Murder

Yes, I Am Blind

Staircase at the University

I’m Not a Man

Speedway

Zugabe:

Asleep

Everyday Is Like Sunday

Claudi Wegworth
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