Parole Brandi: Pastrami und Erhabenheit

Unsere Kolumnistin schlendert mit Sam Vance Law durch die Alte Nationalgalerie und ist ergriffen

MalAn dieser Stelle in unserer gemeinsamen Reise durch die „Parole Brandi“, liebe Leserschaft, muss ich meiner letzten Kolumne eine Appendix hinzufügen. Ich habe im Nachhinein nämlich noch Dinge in Erfahrung bringen können.

Das Ausstellungskonzept „Phoenix des Lumières“ ist angeblich von einem Franzosen erdacht worden und nicht wie von mir vermutet die Kopfgeburt eines Dortmunders. Auch, dass meine Heimatstadt an jeder Stelle, wo es um guten Geschmack geht, jedes Mal versagt, stimmt so nun nicht – siehe solche Errungenschaften wie das Dortmunder Konzerthaus oder das Dortmunder Opern- und Schauspielhaus. No offense.

Viel lieber als Dortmund weiter im Fokus zu behalten, möchte ich mal erzählen, weshalb mir in Sachen Kunst das Konzept der „immersiven Ausstellung“ partout nicht einleuchten will. Das ist einfach, weil ich am eigenen Leibe erfahren habe, dass ich es persönlich nicht nur nicht brauche, sondern dass sich die Unvergesslichkeit, die ich erfahren konnte, nun mal nicht erzwingen und leider auch nicht modernisieren lässt.

Und wie immer gilt für mich: Wo ich bin, da sind noch mehr.

Es ist jetzt bestimmt gut und gerne zwei Jahre oder länger her, als ich für mich beschlossen habe, der schönste Teil Berlins ist einfach die Museumsinsel. Die Museumsinsel und der angrenzende Teil von Mitte, in dem es die guten Pastrami-Sandwiches gibt.

Und weil ich fand, beides ließe sich bestens miteinander kombinieren, lud ich eines schönen Wochentags (das ist das Privileg der Freischaffenden) meinen lieben Freund und Kollegen Sam Vance Law ein, mit mir in mein Lieblingsmuseum zu gehen, nämlich in die Alte Nationalgalerie.

Sanfte Heiterkeit

Ich liebe das alles so. Die hohen Marmordecken tun mir gut, das höfliche, geschäftige Gemurmel der Besucher:innen, der rote Teppich auf den breiten Treppen, die weißen Figuren auf den Sockeln, das alles hat auf mein Nervenkostüm die Wirkung einer Vitaminkur, ich werde ruhig und klar und generell kurzfristig ein besserer Mensch.

Die sanfte Heiterkeit der dortigen Atmosphäre ist eigentlich ein Fehler im System, denn so ein ehrwürdiges Gebäude sollte doch jeden und jede, der/die es betritt, energetisch erstmal ordentlich einschüchtern, den puren Klassismus verkörpern, unsereins beinahe schon Angst machen, dass wir für das, was wir gleich sehen werden, eventuell viel zu dumm sind.

Aber keines dieser potenziell bedrückenden Gefühle will sich in der Alten Nationalgalerie einstellen.

Überforderte Augen

Sam ist vielleicht der intelligenteste Mensch, den ich kenne. Das hat sicher an diesem speziellen Tag zusätzlich das Gefühl bestärkt, hier am richtigen Ort zu sein. Aber auch Sam selbst hätte mich unter anderen Umständen durchaus einschüchtern können (und das hat er auch definitiv schon getan!), nur hier in diesem Museum, war Sam, der übrigens nicht nur intelligent, sondern auch sehr cool und witzig ist, nicht zuletzt deshalb mein idealer Begleiter, weil er von Haus aus einfach weiß, wie Museum geht. Für ihn ist das kein fremder Ort.

Anders als für meinen Dortmunder Papa, der mich vor einiger Zeit in Berlin besuchte und mit dem ich ebenfalls in die Alte Nationalgalerie rannte. Dieser stand mit offenem Mund vor den überlebensgroßen Gemälden „Begegnung mit Kaiser Joseph II in Neiße“ und dann irgendwann vor dem „Eisenwalzwerk“, beide von Adolph von Menzel, und sagte wenig später, er müsse das Museum jetzt leider verlassen, weil das intensive Betrachten dieser Kunstwerke mit seinen Augen Dinge angestellt hätten, die diese gar nicht mehr gewohnt seien.

Ich liebte ihn für seine Aufrichtigkeit und konnte ihn gut verstehen. Außerdem platzte ich innerlich vor Stolz, meinem Vater so ein eindrückliches Kunsterlebnis beschert haben zu können.

Aber zurück zu meinem Museumsgang mit Sam.

Schleierwolken und Tränen

Wie es genau kam, weiß ich nicht mehr, und mir ist auch leider völlig entfallen, von wem es war, aber plötzlich standen Sam und ich vor einem großen Bild und blieben dort wie angewurzelt stehen.

Es handelte sich um ein breites, rechteckiges Gemälde, das im impressionistischen Stil eine wilde Wiesenlandschaft zeigte, auf welcher ein junger Baum und ein paar Büsche wuchsen. Dazu gab es eine Menge stimmungsvollen, von Schleierwolken durchzogenen Frühjahrshimmel. Viel mehr war gar nicht auf dem Bild, außer einem Menschenpaar, vom Betrachtenden weggehend, so weit weg, so klein, dass sie wie Spielfiguren aussahen, ein Mann im Rock und eine Frau im weißen Sommerkleid. Er hatte sich im Profil ihr zugewandt und einen Arm um ihre Taille gelegt. Sie spazierten über die wilde Wiese Arm in Arm, weg von mir und Sam Richtung Horizont, und unterhielten sich angeregt dabei.

Ich weiß nicht, wie lange wir vor diesem Bild standen. Wir sagten kein Wort, wir standen einfach beide da. Etwas an diesem Bild hatte jeden von uns auf merkwürdige Weise gefangen genommen und ließ uns nicht mehr los. Nach gefühlten 20 Minuten, wischte ich mir eine Träne von der Wange. Dann sahen Sam und ich uns an und nickten, wie in einem Kino, wenn mensch sich signalisiert, dass der Filmabspann zum Rausgehen da ist.

Wir setzten uns in Bewegung und schlenderten gemächlich, im Grunde jedoch bereits satt und zufrieden noch eine Ehrenrunde durch die Etage, traten wenig später an die frische Luft und suchten uns wahrscheinlich ein Pastrami-Sandwich – hier reißt meine Erinnerung leider ab …

Was auch immer an diesem Tag passiert war, ich will sowas nochmal erleben. Ich will es immer wieder erleben.

Und alle anderen anderen können von mir aus gerne ihre immersiven Lavalampen-Partys mit dem armen Dalí feiern.

 

 

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