New voices – Die CD im Rolling Stone

Von der Redaktion gehört und für gut befunden

Beseelte Melodien

„I’m the admiral ofthesea“, jaulte Grant Hart auf seiner letzten Platte „Ecce Homo“ zur Akustikgitarre, als würde er über einen Ozean aus Tränen schippern. Danach ward er verschollen, und man stellte sich vor, wie er auf einer Eisscholle treibt, so ziellos wirkte seine Existenz nach dem Ende von Hüsker Dü. Während Bob Mould mit seiner Band Sugar im Grunge-Aufbruch noch mal zu Ehren kam, gingen Harts Soloalben unter und schien auch auf seiner Band Nova Mob ein Fluch zu lasten. Jetzt ist der Ex-Schlagzeuger, der bei Hüsker Dü den Pop einbrachte, mit „Good News For Modern Man“ wieder da und surft wie bei „Nobody Rides For Free“ mit bitterer Emphase durch beseelte Sixties-Melodien. Der Melancholiker hat stets zuviel gezahlt Wir belohnen ihn mit ewiger Liebe.

Hymnische Wut

Wilt kann man durchaus als Erben Hüsker Düs bezeichnen, ohne das Epigonische betonen zu müssen. Auf seinem Debütalbum „Bastinado“ spielt das irische Trio lärmigen Schönklang, wirken die Riffs wie dicht gesetzte Nadelstiche zu hymnisch intonierten und wütend gebellten Texten. Sänger und Songschreiber Cormac Battle wettert gegen den Prada- und BMW-Hedonismus der Millennium-Yuppies und zieht dabei Parallelen zu den Achtzigern. „Discos don’t make much sense/ Maybe it’s me but I can’t dance/ ‚Cos I’m in time“, singt er im Song „Radio Disco“. In Dublin hat Battle eine eigene Radiosendung. „Es ist nett, wie ein Faschist anderen Leuten den eigenen Musikgeschmack aufzuzwingen“, ätzt er doppeldeutig. Post-Punkrock. Auch im Jahr 2000 noch wichtig und gut.

Apocalypse Now

Lärm. Gitarrenwälle. Bassdröhnen. Schlagzeugstakkato. Dazu Schreie, die sich zwischen Flehen und Fluchen wie aus dem entlegenen Winkel eines Gewölbes fast vergeblich gegen die instrumentalen Kaskaden anstemmen. „Madonna“, das zweite Album von …And You Will Know Us By The Rail Of Dead, ist ein psychisches und physisches Kettensägenmassaker. Bis zum kathartischen Delirium häufen die vier Extremisten aus Austin, Texas in ihrem paranoiden Reigen so viele Schlaufen und Schichten an, dass man nicht selten das Ende einzelner Songs verpasst. Trotzdem ist alles Melodie und strukturiert, schaffen sie in ihrer Höllenmusik lieblich plätschernde Andachtsräume. Die Summe aus Sonic Youth, Pixies, The Cure, Henry Rollins, Three Mile Pilot.. Oder wie ein Tiefflug bei Moderner Hippiefolk

„Future Folk“hat Badly Drawn Boy aka Damon Gough der Musikpresse als Begriff hingeworfen für seine Lieder, sukzessiv veröffentlichte EPs und als Geheimtip gehandelte Auftritte haben gespannte Erwartungen generiert auf sein Debütalbum. Beck war ihm derweil zuvorgekommen und enteilt – doch nun ist seine Zeit und Damon schon ein Schritt weiter. Mit Gelassenheit hat der junge Brite auf „The Hour Of Bewilderbeast“ Pop-Zitate gesampelt und Genre-Stile beliehen, Streicher, Hörner und Sitar, Drum’n’Bass und Jazz, Folkrock und TripHop und vieles mehr zu einer sinnlichen wie besinnlichen modernen Hippieplatte im Picknickformat vereint Mal plätschert Wasser, scheinen Insekten zu zirpen und glaubt man, John Lennon hocke mit Elliott Smith kiffend im Gras.

Lässige Melancholie

Isaac Brock ist in einer Wohnwagensiedlung aufgewachsen und hat auf den Platten seiner Band Modest House über das Dasein des white trash gesungen, der zur Zeit als Proll-Chic eines Kid Rock zu einem hippen Code aufsteigt. „The Moon & Antarctica“, das neue Album des US-Trios, erscheint nun bei einer Major Company. Die Außenseiter-Attitüde, den Eigensinn und die Seltsamkeit allerdings haben sich Modest Mouse bewahrt, die wahre Größe im Schicksal beweisen. Selten wurden Melancholie und Schwere mit soviel Lässigkeit und Leichtigkeit vorgetragen. Ihre neuen Stücke sind fragil, ja zurückhaltend, dennoch bieten sie ein Füllhorn ergreifender Melodien. Modest Mouse streifen durchs Songwriting amerikanischer Traditionsmusik, brechen mal ins Feedback aus, sind aber immer bei sich selbst

Hoffnungsträger

Klar, der plakative Vergleich mit seinem erklärten Vorbild Springsteen oder auch Mellencamp ist schnell gezogen. Und er stimmt. Aber er schadet nicht. Nicht George DeVore, auch seinen Songs nicht. Der 29-Jährige hat muskulöse Riffs, griffige Akkorde und einen soliden Blues in seinem heiseren Gesang. DeVore ist ein Arbeiterkind und damit glaubwürdig, wenn er auf seinem Debütalbum „Wonderland“ für Trucker und Kellnerinnen „Bend But Dont‘ Break“ und von „Good Lovin'“ singt. In Iowa aufgewachsen, lernte er Gitarre und fühlte sich nach der Schule bald von der Musikszene in Austin, Texas angezogen. Hier begegnete er dem Gitarristen David Abeyta, Bassisten Jimmy McFeely und Schlagzeuger John Chipman, mit denen er die Band The Roam gründete. Nun gilt der Lokalmatador als Hoffnungsträger, um die US-Rockmusik zu retten.

Aufrichtige Stimme

Er ist schon länger als eine aufrichtige und angenehme Stimme in der Singer/ Songwriter-Szene bekannt „Ich schreibe Lieder, um mir selbst Mut zu machen statt andere zu verunglimpfen“, erklärt Todd Snider. „I say let all the people do what people do/ I’m just happy to be here at all“, singt er deshalb im Titelsong seines neuen Albums „Happy To Be Here“. Er wollte eine Platte, wie sie auch Woody Guthrie hätte machen können, und hat deshalb die Songs nur mit der Akustikgitarre eingespielt. Erst später nahm er nuanciert Mandoline und Dobro, vereinzelte Bläser, Hammondorgel oder Harmonika hinzu. So hat er mit Hingabe und voller Respekt den bluesigsouligen Rock’n’Roll aus Memphis mit dem texanischen Folk Rock verschmolzen. „What’s Wrong With You“ ist ein flottes, humorig vorgetragenes Country-Stück mit Honkytonk-Piano.

Blick Auf Europa

Sie haben in Europa und vor allem in Deutschland ihre meisten Fans. So erstaunt es nicht, dass die amerikanische Folkrockband The Walkabouts mit „Train Leaves At Eight“ nun ein Album vorlegt, auf dem Carla Torgerson und Chris Eckman verschiedenes Liedgut von Komponisten Kontinentaleuropas interpretieren. Das reicht von Mikis Theodorakis aus Griechenland, Spaniens Lluis Llach oder dem Slowenen Vlado Kreslin bis zu Jacques Brei, Stirn Nordenstam, Deus und Neu!. In Hamburg, wo die Walkabouts seit langem unter Freunden sind, wurden sie bei Blumfeld fundig. Unter dem Titel „That’s How I Live“ haben sie Distelmeyers manisches „So lebe ich“ in einen trabenden Rhythmus übertragen. „Man From Reno“ ist ein Stück des bosnischen Filmmusikers Goran Bregovic („Arizona Dream“, „Time Of The Gypsies“), dass er mit Scott Walker geschrieben hat, der wiederum als europäischster Songwriter Amerikas gilt RILMs Peter Bück spielt hier Mandoline, Carla singt. Sehr schön.

Fragile Elegien

Auf dem Cover von „Signal Hill“ sieht man einen Telefonmast. Doch die Verbindung ist längst gekappt. Er brauche dringend ein Wunder, erklärt Chris Hooson, der Sänger und Songschreiber von Dakota Suite aus Leeds. Vor nunmehr sieben Jahren brach ihm die Liebste das Herz. Seither schmerzt ihm die Seele, „fürchte ich die Wahrheit… weil sie mir den Verlust offenbart“ – und deshalb hat er wohl nun die Songs aufgenommen, die er damals bereits geschrieben hatte. Sie sind – wenn man ihr Instrumental-Album „Navigator’s Yard“ als Zwischenstopp betrachtet die erste Zustandsbeschreibung Dakota Suites nach ihrem Debüt „Songs For A Barbed Wire Fence“. Gitarre, Bass, und Schlagzeug, Streicher, Bläser, ein Piano werden mit einer Behutsamkeit eingesetzt, dass man glaubt jede Träne kullern zu hören. Wie ein Voyeur lauscht man bei „When Skies Are Grey“ dem elegischen, zittrigen Kummer, fühlt sich aber auch nicht alleine.

Junger Überschwang

Pop von Franzosen fällt ja kaum noch jemandem auf. Selbst ihr famoser HipHop wird jenseits der Grenzen wenig rezipiert, höchstens mal die Clubmusik. Und nun, ja, Phoenix. Eine Rockband. Und mehr. „United“ hat dieses Quartett sein Debütalbum betitelt. Zugegeben, die Namen sind etwas wohlfeil. Aber sie passen, auch zu dem jugendlichen Überschwang, mit dem die Gitarren-Brüder Christian und Branco Mazzalai, Bassist Deck D’Ary und Sänger Thomas Mars die Welt umarmen. „United“ ist breit angelegt, greift von Rock fast jeden Spektrums, klassischem Funk, Country und Synthie-Pop bis zu afrikanischen Rhythmen alle Populärstile auf, kann anschmiegsam sein und dabei so ironisch wie eine Platte von Cake. „Honeymoon“ ist eine Ballade zwischen Folk und R&B und taugt zweifellos zum Hit

Pop-Mantras

Die Hysterie um Grunge führte dazu, dass ungewollt auch allerlei Obskuritäten die Kataloge der Major-Plattenfirmen füllten. Eine davon waren Three Mile Pilot, drei Wahnsinnige aus San Diego, die mit redundantem Lärmpop begeisterten und verstörten. Sie waren so gut, dass Erfolglosigkeit und Ende vorhersehbar waren. Manchmal funkte Chefpilot namens Armistead Burwell Smith IV, auch kurz Zach gerufen, noch wirre Lebenszeichen. Dann blieb es still. Nun ist er aus dem Radarloch wieder aufgetaucht: Beim Projekt Pinback, 1998 mit Rob Crow gegründet, setzt er das Konzept von Three Mile Pilot fort Gemäßigter zwar, aber noch immer obsessiv und suggestiv spielen sie auf dem Debütalbum „This k A Pinback CD“ wunderbar befremdliche, unvergleichlich hermetische Pop-Mantras. „So now it limps and counts die hours“, singt Zach in „Shag“. Ahnlich muss man sich das vorstellen.

Kompakte Old School

Die West Coast, California. Hier wrden die meisten Mythen des amerikanischen Selbstverständnisses geboren. Und die Bay Area bringt auch immer wieder begabte Rapper hervor. „Neva forget where you came from/ Neva forget where you got your name from“, rappen die Cali Agents alias Rasco und Planet Asia – und schwenken die Flagge der Independents. „Nicht meine Musik ist Underground“, erklärt Rasco dazu. „Underground ist eine Haltung.“ Beide haben sich bereits als Solokünstler reichlich Respekt im Underground erworben, Rasco mit dem Debüt „Time Waits For No Man“, Planet Asia auf seinem Album ,“Place Of Birth“. Vor allem als MC ist jeder von ihnen geschmeidig und kraftvoll. Gemeinsam scheinen sie unschlagbar was sie mit ihrem Manifest „How The West Was One“ auch unmissverständlich ausdrücken. Old School, EPMD der Gegenbewegung mit tafifen Beats und schnörkellosen Raps. Melodienschnipsel werden nur vereinzelt eingestreut und immer schön auf den Punkt gebracht. Zwar kein Epos, aber vielleicht schon ein Klassiker. „Wild Wild West“ von Will Smith jedenfalls klingt gegen diese kompakten Burschen wie Spieldosen-Rap.

Electronic-Jazz

Ian Simmons hat bereits für Peter Kruder (der mit Dorfmeister) produziert und unter dem Pseudonym Jury-Man zwei in der Club-Szene gepriesene Alben herausgebracht. Nu-Electronic-Jazz nennt sich das Soundgewebe, das Simmons sowohl am Computer als auch mit Liveinstrumenten erschafft. Tiefe, surreale Beats und schwärende Melodienschleifen, die dem TripHop ähneln. Sein neues Album „The Hill“ ist wie ein Soundtrack konzipiert und klingt auch so. Bei „The Morning“ singt Alison Goldfrapp (Orbital), während über andere Stücke der Poet Roger Robinson aus Trinidad eigene Gedichte spricht.

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