NewNoises Vol. 60

"Blick zurück nach vorn" - das ist nicht der Titel einer Biographie eines deutschen Fernsehstars, sondern ein mögliches Motto der neuen "New Noises". Zwar stammen die Songs allesamt von aktuellen Veröffentlichungen, doch die musikalischen Wurzeln vieler Stücke liegen - gut hörbar - in den 80ern, 60ern oder noch früheren Zeiten.

1) „Die Leute denken immer, ich hätte mit den Moldy Peaches ’ne Menge Geld verdient, doch ich hab neulich bei ,Rough Trade‘ eine Abrechnung aller Ein- und Ausgaben gesehen, die wir mit den Moldy Peaches hatten, und unten drunter stand die Bilanzsumme von minus 50000 Dollar“, lachte ADAM GREEN neulich beim Interview. Das hielt ihn aber glücklicherweise nicht davon ab, seine neuen Songs erstmals in einem teuren Studio, „in dem schon die Mikrofone soviel kosten wie sonst ein Auto“, aufzunehmen. Das Ergebnis kann sich hören lassen. 15 Stücke, allesamt leicht und locker orchestriert von Lou-Reed-Cellistin Jane Scarpantoni. Die Texte hat Adam auf einem Diktiergerät geschrieben, um gleich ausprobieren zu können, wie sie klingen. Hier ging Sound vor Bedeutung, was ja seit Bob Dylan nichts wirklich Neues ist. So ist „Friends Of Mine“ ein mehr oder weniger klassisches Songschreiberalbum geworden, auf dem lyrischer Tiefgang neben putzigen Moldy-Peaches-Texten steht. In „Jessica“ gibt Mr. „Minus 50 000 Dollar“ Adam Green dem millionenschweren Popnymphchen Jessica Simpson gutgemeinte Ratschläge: „You need a vacation to wake up the cavemen and take them to Mexico.“ Vielleicht sollten Alexander Klaws und Juliette Schoppmann das auch mal versuchen.

2) Ein ähnlich bewegtes Jahr wie Deutschlands Superstars hatte auch die Musikgruppe FINK aus Hamburg. Die Entscheidung, nach dem großartigen „Fink“ eine andere Richtung einzuschlagen, blieb nicht ohne Folgen: Gitarrist und Produzent Dinesh Ketelsen und Schlagzeuger Henning Wandhoff verließen die Band. Das neue Album „Haiku Ambulanz“ ist (absichtlich) weniger geschlossen und entdeckungsfreudiger als der Vorgänger, doch die dunkel-lakonischen Texte mit den leicht schrägen Bildern zwischen Volkslied und E.T.A. Hoffmann, wie sie nur Nils Koppruch schreiben kann, finden sich auch hier wieder. Als Gaststars sind auf dem neuen Album Lee Buddah und Carsten Meyer alias Erobique dabei.

3) Apropos Erobique: Der Synthesizer-getränkte Pop von RAGAZZI, einem Quintett aus Berlin, klingt ab und zu ein bisschen, als habe er in den 80ern schon die ein oder andere Aerobic-Stunde musikalisch unterlegt. Doch die in ihren 80s-Pop eingebauten Brüche sind nicht zu überhören. So klingt „Friday“ manchmal, als hätten Zoot Woman und The Notwist gemeinsame Sache gemacht.

4) Bleiben wir noch einen Moment in den 80ern. Auf seinem neuen Album „Strange Love -PM does DM“ covert der Ex-Timbuk3-Mann PAT Mac-DONALD ausschließlich Songs der blässlichen Briten, die es schafften, die 80er Jahre bis in heutige Tage herüberzuretten. „Policy Of Truth“ schmückte Depeche Modes 90er Millionenseller „Violator“ und war damals von Autor Martin Gore als Tribut an 60er-Jahre Motown-Singles geplant. Auch das eine seltsame Liebe.

5) Dagegen ist die Liebe von THE CORAL für 60s-Pop durchaus verständlich. Sie kommen ja schließlich aus Liverpool. Nicht nur die Heimat der Beatles, sondern auch von Echo & The Bunnymen, an die die Stimme von James Skelly oft erinnert. „Magic And Medicine“ klingt ebenso unzeitgemäß wie das leicht überladene, aber doch sehr feine Debüt „The Coral“. Die neuen Songs sind schon nach dem zweiten Hören wie Bekannte. „Don’t Think You’re The First“ – haben sie nie getan.

6) Ein alter Bekannter ist übrigens auch Dennis Lyxzen. Frontmann von Refused und The (International) Noise Conspiracy. Als THE LOST PATROL geht er aber in die entgegengesetzte Richtung, hier bekommt man keinen politischen Aktivismus um die Ohren gehauen, hier gibt’s traditionelles Songschreibertum. Die zwölf stimmig arrangierten akustischen Songs auf dem zweiten The Lost Patrol-Album „Songs About Running Away“ widmen sich ganz der Liebe und scheinen alle um die gleiche, anscheinend sensationelle Frau zu kreisen – vergeblich natürlich.

7) HOLLY GOLIGHTLY hatte kürzlich mehr Glück mit der Liebe. Mit Jack (und Meg) White sang sie auf dem White Stripes-Album „Elephant“ „It’s True That We Love One Another“. Kein Wunder also, dass an ihrem elften Album in neun Jahren, „Truly She Is None Other“, Einiges an diese Zuammenarbeit erinnert: Jack White schrieb den Begleittext, das Cover ist in schwarz, rot und weiß gehalten. Musikalisch gibt die Billy-Childish-Freundin eine Mischung aus 60s-Pop und Country aus der Garage. Erinnert ein bisschen an die Detroit Cobras, nur dass Holly die meisten Songs selbst schrieb, doch auf dem Album finden sich auch zwei Ray Davies-Stücke und die alte Bluesnummer „Black Night“.

8) Die New Yorker Songschreiberin NINA NASTASIA klingt manchmal wie die HiFi-Ausgabe von Chan Marshalls alias Cat Power. Das nachtschwarze „Road To Ruin“ ist bereits ihr drittes Album und ein bisschen leiser und spröder als der schon wunderschöne Vorgänger „The Blackened Air“. An den Reglern saß Indie-Produzentenlegende Steve Albini, der für spärliche Celli-, Violinen- und Akkordeon-Tupfer sorgte. Klezmer- und Jazz-Einflüsse sowie Momente von ruhig-hypnotischer Schönheit, die langsam in einen Noise-Maelstrom umkippen wie auf „I Say That I Will“, sind auf „Road To Ruin“ keine Seltenheit. Des Öfteren muss man da an den dunklen Klangzauber von Dirty Three denken, deren Jim White hier am Schlagzeug sitzt.

9) Weit weg von Nina Nastasias Song-Ökonomie bewegen sich THE SLEEPY JACKSON aus Perth, Australien, die geradezu verschwenderisch mit ihren Möglichkeiten umgehen. Auf ihrem selbstbetitelten Debüt konnten sie sich nicht so recht entscheiden, ob sie nun eine Alt-Country-Band, Schwärmer a la Mercury Rev und Flaming Lips oder ein Post-Punk-Outfit sein wollten. Der britische „New Musical Express“ schien ob dieses Potentials jedenfalls stark euphorisiert. Auch in den durchweg positiven Besprechungen zum neuen Album „Lovers“ wird nun wieder die halbe Rockhistorie bemüht, um einen Referenzrahmen zu zimmern. Die häufigsten Nennungen erhielten George Harrison, Gram Parsons, Velvet Underground, The Who und Nick Cave. „Miniskirt“ jedenfalls klingt wie die wiederformierten Whiskeytown oder auch die Jayhawks. Retro is in the house. Wir warten auf die hochgelobten Kings of Leon.

10) Bei einer Band mit dem Namen CENTRO-MATIC denkt man womöglich eher an ein Elektronikprojekt denn an eine Indie-Rock-Band aus Denton, Texas mit recht schwerem Alt-Country-Einschlag. Doch genau das sind sie. Songschreiber und Sänger Will Johnson hat bereits mehr als 200 Songs auf Alben, EPs, Compilations und Singles als Solokünstler und seit 1996 auch mit Freunden unter dem Namen Centro-Matic veröffentlicht Auf „I Love You just The Same“ gibt’s nun 13 neue Perlen mit gar rätselhaften Titeln.

11) JAMES KIRK macht zwar schon ein paar Jahre länger Musik als Will Johnson, doch so viele Songs hat er wohl bisher noch nicht geschrieben. Bekannt wurde er Anfang der 80er Jahre als Gitarrist der fabelhaften Orange Juice, bei denen jedoch hauptsächlich Edwyn Collins für neue Stücke sorgte. Dort stieg Kirk jedoch bereits nach dem Debütalbum „Can’t Hide Your Love Forever“ aus. Über 20 Jahre später gibt’s jetzt sein Solodebüt „You Can Make It If You Boogie“. Wundervoll leichter blue-eyed soul, gespielt mit seiner Begleitband, den Leopards, und Gästen aus der Nachbarschaft wie Norman Blake von Teenage Fanclub, Justin Currie von Del Amitri und Skip Reid von den Pearlfishers. Der schönste Pop kommt halt immer noch aus Glasgow. Ein Album, auf das niemand gewartet hat, ohne das man aber in diesem Sommer nicht mehr leben möchte.

12)In Schottland ist auch ALASDAIR ROBERTS zu Hause. Doch schon auf den Alben mit seiner Band Appendix Out und erst recht auf seinem letzten Solowerk „The Crook Of My Arm“ schien er an großem Pop nicht interessiert, widmete sich stattdessen alten Folksongs. Was Will Oldham für die Appalachen, ist Alasdair Roberts für die Highlands. Gemeinsame Sache machten die beiden Schrate (zusammen mit Jason Molina von Songs: Ohia) im letzten Jahr unter dem Moniker Amalgamated Sons Of Rest. Die zwölf Eigenkompositionen auf seinem neuen Meisterwerk „Farewell Sorrow“ klingen schon jetzt, als seien sie seit hunderten von Jahren Teil des schottischen Volksgutes.

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