Niemals Beatles

IN SO BÖSES, IM KONsumhöllenfeuer geschmiedetes Wort wie Werbung würde Ryan Lott niemals in den Mund nehmen. Der US-Songwriter und Multiinstrumentalist spricht lieber von „Herausforderungen“, wenn es um seine Karriere – noch so ein Wort, das er peinlichst vermeidet – geht. Oder um die Gründe, die dazu führten, dass er bis heute im Vergleich zu einigen seiner Freunde ein Geheimtipp geblieben ist. Mitglieder von Bon Iver zum Beispiel, mit denen er vor fünf Jahren in einer Show für vielversprechende Newcomer auftrat.

„Ich hatte damals nicht die Möglichkeit, zu touren und ein Album nach dem anderen zu machen“, erklärt Lott,“weil ich einen festen Job als Komponist hatte.“ Lott schrieb nämlich zu der Zeit kleine WerbeJingles für Ikea, Audi und eine Wodkamarke. Einen moralischen Konflikt als Künstler sieht er darin nicht. „Ich nehme, was kommt, solange ich mich kreativ ausleben kann, wie ich will.“

Doch alleinige Erfüllung darin, Produkte mit einem musikalischen Lebensgefühl zu verpacken, schien er nicht zu finden. 2008 veröffentlichte er sein Debüt „At War With Walls And Mazes“ unter dem Moniker Son Lux, 2011 folgte „We Are Rising“, das auch bei der europäischen Musikpresse auf größeres Interesse stieß. Das Album hatte er in nur 28 Tagen im kürzesten Monat Februar aufgenommen, eine „challenge“, auf die er sich nach Anfrage eines Radiosenders eingelassen hatte. Die Fertigstellung von „Lanterns“, seinem dritten Studiowerk, dauerte dafür gleich mehrere Jahre, wie Lott versichert. Und man hört, dass er so lange damit zugebracht hat, um seine Vision vom großen Soundsystem zu perfektionieren. „Lanterns“ klingt, als hätten Sufjan Stevens und Mike Oldfield eine paar Amphetamine eingeworfen und eine futuristische Oper programmiert.

Lott hat natürlich weder mit dem zugekoksten Club-Esoteriker Oldfield noch mit dem Experimental-Songwriter Stevens viel gemein, mit dem er immerhin das Nebenprojekt S/S/S (für Son Lux, Serengti und Stevens) unterhält. Er ist mehr der streberhafte Emporkömmling aus schrecklich normalen Verhältnissen, der ganz aufrichtig durch das Fensterglas seiner Nerd-Brille schaut, wenn er von seinem Erweckungserlebnis erzählt, als er in der Highschool den italienischen Komponisten und Kirchenmusiker Palestrina entdeckte, der im 16. Jahrhundert wirkte.

Mit moderneren Referenzen braucht man Lott allerdings nicht zu kommen. „I’m always late to the game“, sagt er dann. „Ich habe so eine semi-nützliche Angewohnheit, populäre Sachen zu meiden, was dazu führt, dass ich vieles verpasse, das mir eigentlich gefallen könnte.“ So sei er erst Jahre nach Erscheinen auf Radioheads „Amnesiac“ und „Neon Bible“ von Arcade Fire gestoßen, die heute zu seinen wichtigsten Einflüssen zählen. Dafür habe er jedoch noch nie ein Album der Beatles gehört.

Man kann sich bei Lott nie genau sicher sein, ob er in solchen Fällen die Wahrheit sagt oder bloß kokettiert. Tatsächlich wuchs er ohne viel Musik auf, seine Eltern spielten keine Instrumente, erkannten aber frühzeitig, welche Talente in ihrem Sohn schlummerten. Und schickten Ryan bereits mit elf zur Begabtenförderung an die Wesleyan University in Middletown, Connecticut. Doch erst in der Pubertät wurde ihm klar, dass „ich meine eigenen Ideen verwirklichen wollte. Ich entdeckte alles auf einmal. Die ganze Welt explodierte für mich in Millionen von Farben“, erinnert sich Lott. Die Familie zog oft um, Lott lernte dementsprechend bei verschiedenen „großartigen Lehrern“, was auch die zersplitterte musikalische Geografie von „Lanterns“ erklärt. „Ich bin kein klassischer Songwriter“, meint er. „Ich habe keine Melodien und Akkordfolgen im Kopf. Bei mir beginnt alles mit kleinen Sound-Stücken. Meine Songs sind wie ein Haus, in dem die Tür als letztes Teil eingebaut wird.“

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