Noel Gallagher – Ein Herz und eine Seele

Bei den ersten Solo-Konzerten erwies sich der ältere Bruder erwartungsgemäß als der wahre Hüter des Oasis-Erbes.

London, Hammersmith Apollo

Es sind nicht die schlechtesten Wochen für die Jungs aus der „zweiten Reihe“: Einige Tage zuvor hatte ManCity Noel Gallagher sein Heimspiel in Manchester mit einem sensationellen 6:1 gegen ManU versüßt. Am Tag des ersten von drei aufeinanderfolgenden Konzerten in geschichtsträchtigen Londoner Theatersälen schließlich ist es an Arsenal, sich mit einem hart erkämpften Sieg über Chelsea aus der Agonie der letzten Monate zu lösen.

Die Zeichen stehen also gut, als Noel Gallagher um 21 Uhr die Bühne betritt. Unspektakulär, grußlos, zweckmäßig gekleidet. Natürlich ist es absolut kein Zufall, dass er den Abend mit „(It’s Good) To Be Free“ eröffnet. Aber es stimmt ja: Ebenso wie Liam Gallagher bei den abgelaufenen Beady-Eye-Konzerten wirkt auch Noel an diesem Abend wie von einer Last befreit. Die im Vorfeld geäußerte Befürchtung, bei den anstehenden Solo-Konzerten könne niemand klatschen respektive kommen, war blanke Koketterie. Aber die Sorge, als Frontmann versagen zu können, nimmt man ihm ab: Man sah Noel Gallagher in den vergangenen Jahren stets an, dass er live nicht gern im Zentrum der Aufmerksamkeit steht.

Genau diesen Umstand macht sich der Fuchs in London zu eigen: Gallagher versucht erst gar nicht, übertrieben glamourös oder cool zu wirken. Womit er im Prinzip zurück zu seinen Wurzeln geht. Die Oasis-Besetzung der letzten Jahre war zwar musikalisch die beste in der Karriere der Band, aber auch eine nach dem Vorbild des FC Bayern zusammengecastete Truppe. Wodurch ein wesentliches Element verleugnet wurde, das für viele die Faszination dieser Band ausgemacht hatte: die Working-Class-Herkunft. Das Eckkneipen-Biertrinker-Proletarische, das die perfekt gestylten Andy Bell, Gem Archer und Zak Starkey kaum jemals verkörperten.

Noel Gallagher hat nun eine unauffällige Mannschaft aus Pub-gestählten Muckern um sich versammelt, von denen einer unglamouröser als der andere aussieht, deren unaufdringliches Spiel Gallaghers Songs indes zupasskommt. Man hört: Diese Leute sind froh und dankbar, Noels Songs spielen zu dürfen – und sie tun es mit Verve. Allen voran der Keyboarder Mike Rowe. Man hatte sich gefragt, wie Gallagher die Chöre, Bläser und Streicher des opulent arrangierten und produzierten Albums auf die Bühne bringen würde. Die Antwort gibt Rowe fast im Alleingang. Für Einlagen wie das verspielte Piano, mit dem er die Bläser von „The Death Of You And Me“ kompensiert, erhält er zu Recht immer wieder Szenenapplaus.

Generell wird Gallagher gefeiert wie weiland der Heiland beim Einritt in Jerusalem. Die ersten drei Songs, auf „Free“ folgen „Mucky Fingers“ und mit „Everybody’s On The Run“ eine erste Solo-Kostprobe, gehen beinahe unter im Tosen der unablässigen Noel-Chöre. Und auch danach wird jeder einzelne Satz von den 3600 begeistert mitgesungen – von Noel mit knappen, prägnanten Ansagen goutiert. Mit großen Bühnenreden hält er sich nicht auf. Aber wenn er etwas sagt, sitzt es meist. So wie jene Replik auf die Liam-Rufe einiger Scherzkekse: Noel blickt hinter sich, schaut nach rechts und links – kein Liam in Sicht. Also zuckt er mit den Schultern und verkündet: „Sorry, he’s not around.“

Die vielleicht beste, für Gallagher selbst ganz sicher wichtigste Erkenntnis dieses Abends: Die Solo-Songs werden ebenso gefeiert wie die insgesamt neun Oasis-Beiträge. Das Publikum kennt bereits jede Strophe von „AKA … What A Life!“ oder „If I Had A Gun“, es wirkt zu keinem Zeitpunkt peinlich, dass so viele Oasis-Klassiker gespielt werden. So geht alles ineinander über: das Gestern und das Heute, Oasis und die High Flying Birds. Es sind seine Songs, die neuen wie die alten, das britische Publikum liebt jeden einzelnen von ihnen, es ist ein einziger Rausch – a sort of homecoming.

Naturgemäß brandet der Jubel bei „Supersonic“ und „Don’t Look Back In Anger“ trotzdem am lautesten auf. „Anger“ lässt er endlich wieder in majestätischer Pracht erstrahlen, statt den Song, wie bei den Oasis-Konzerten der letzten Tournee, mittels einer countryartigen Version ohne Not seiner Grandezza zu berauben.

Es folgen „The Importance Of Being Idle“ und „Little By Little“, dann ist es vorbei. Noel bedankt sich knapp und ist weg. Er weiß: Es wird kein Abschied für lange Zeit. Schon im Februar sind Konzerte in der Londoner O2 World anberaumt. Das erste ist bereits jetzt ausverkauft. torsten groß

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