Obamas schwerster Kampf

Der US-Präsident lud den ROLLING STONE ins Weiße Haus - zu einem Gespräch über seinen Job, die Wahl und seine Qualitäten als Soulsänger

Die Stimmung im Weißen Haus schien schon mal gelöster. Es war nicht das erste Mal, dass der ROLLING STONE sich mit Barack Obama zu einem ausführlichen Interview zusammensetzt, doch diesmal war der Tenor des Gespräches merklich seriöser – dem Timing entsprechend: Obama war offensichtlich bereits auf die anstehende Präsidentschaftswahl fokussiert, auf den Kampf um seine zweite Amtszeit, er wirkte nüchterner und weniger gewillt, die Themenkomplexe zu verlassen, auf die er sich in den letzten Wochen vorbereitet hatte.

Er vermied auch eine Aussage zu seinem republikanischen Konkurrenten Mitt Romney – obwohl direkt darauf angesprochen – und konzentrierte sich primär auf die Widrigkeiten, mit denen er selbst momentan zu kämpfen hat: von der Blockade des amerikanischen Kongresses bis hin zur Konfrontation mit dem Iran. Er schien die Argumente durchspielen zu wollen, mit denen er sich auf Wahlkampf-Reise begibt – und er ließ keinen Zweifel daran, dass er mit seinen fraglosen Erfolgen auch zu punkten gedenkt: mit der Krankenversicherung für 32 Millionen bislang unversicherter Amerikaner, mit der Vermeidung einer wirtschaftlichen Depression, mit der Rettung der US-Autoindustrie, mit der Reform der Studentenkredite, mit dem Ende der Diskriminierung von homosexuellen Soldaten, mit dem Truppenabzug aus dem Irak, der Tötung von Osama bin Laden und den größten Steuererleichterungen für die Mittelklasse in der amerikanischen Geschichte.

Das einstündige Gespräch ist das längste und substanziellste Interview, das der Präsident seit mehr als einem Jahr gegeben hat. Als ROLLING STONE-Redakteur Eric Bates und ich ins Oval Office kamen, wies er sein Personal an, die nächsten Termine nach hinten zu schieben. „Rufen Sie bitte Secretary Clintons Büro an und richten Sie aus, dass ich mich zehn Minuten verspäte.“

„20 Minuten“, schlug ich vor. „15“, erwiderte er mit gespielter Strenge. Nach dem Interview trafen wir Hillary im Vorzimmer, wo sie auf einem Stuhl vor dem Oval Office wartete. Die beiden früheren Kontrahenten scheinen inzwischen völlig entspannt miteinander umgehen zu können. Als Clinton über die Popularität von „Texts From Hillary Clinton“, einer getürkten Website auf Tumblr, scherzte, tippte Obama mit seinen Daumen einen Beitrag in ein imaginäres Smartphone ein. „Sehen Sie, ich bin richtig hip“, sagte er lachend.

Er konnte selbst seiner wahlkampfbedingten Ernsthaftigkeit noch einen kleinen Scherz abgewinnen. Nachdem er mir beim letzten Interview zu meinen mehrfarbigen Socken gratuliert hatte, tippte er diesmal zielsicher auf das Geschenk, das wir ihm mitgebracht hatten: zwei Paar Socken, eins lachsrot mit pinken Quadraten, das andere schwarz mit pinken Streifen. „Hübsch sind sie“, sagte der Präsident und überdachte dann offensichtlich die farbliche Symbolik. „Es sind wahrscheinlich Socken, die man eher in seiner zweiten Amtszeit tragen sollte.“

Sprechen wir über den Wahlkampf. Nach allem, was wir in den Vorwahlen über die republikanische Partei gelernt haben: Wie beurteilen Sie den Status quo dieser Partei? Wen repräsentiert sie heute?

Man sollte zunächst einmal differenzieren zwischen republikanischen Politikern und den Bürgern im Land, die sich selbst als Republikaner verstehen. Ich glaube nicht, dass draußen im Land eine erdrutschartige Veränderung stattgefunden hat. Wenn man mit vielen dieser Republikaner spricht, dann erwarten sie von uns, dass wir das Budget in den Griff bekommen – aber mit Augenmaß. Sie sind besorgt um ihre Jobs, um die wirtschaftliche Lage und befürworten die freie Marktwirtschaft, aber halten es trotzdem nicht für opportun, nun jedwede Regulierung über Bord zu werfen. Es gibt eine Menge Republikaner da draußen, die von der Wall Street frustriert sind, die den Finanzakteuren Verantwortungslosigkeit vorwerfen und sie deshalb auch haftbar machen möchten. Sie befürworten also gerade nicht, dass Regulierungen der Wall Street nun wieder rückgängig gemacht werden.

Was nun die Republikaner im Kongress betrifft – und die Kandidaten bei den Vorwahlen im Besonderen -, so konnten wir verfolgen, wie sich ihre Agenda radikal aus dem Mainstream verabschiedet hat – und jetzt sogar konträr zu traditionellen Grundsätzen der republikanischen Partei steht. Ich erwähnte neulich einmal, dass es Ronald Reagan heute nicht mehr durch die republikanischen Vorwahlen schaffen würde – und ich halte das durchaus für eine realistische Einschätzung. Ausnahmslos alle Vorwahl-Kandidaten lehnten eine Budget-Reduzierungs-Maßnahme ab, die vorsah, für jeden Dollar Ausgabensteigerung zehn Dollar an Einsparungen zu erzielen. Wir haben einen Spitzenkandidaten der Republikaner, der den „Dream Act“ ablehnt – eine Regelung, der jenen Einwandererkindern, die in diesem Land als Amerikaner aufwuchsen, aber unverschuldet keine Aufenthaltsgenehmigung haben, wieder eine Perspektive geben würde. Wir haben einen republikanischen Kongress, der als Kernstück seines Wirtschaftsprogramms die Abschaffung der „Environmental Protection Agency“ vorsieht.

Aber sind diese Aussagen, die im Laufe der Vorwahlen gemacht wurden, letztlich nicht genau das, was diese Partei und ihre Ziele definiert?

Ich denke eher, dass es die republikanische Politiker-Klasse und ihre Politaktivisten definiert. Man erinnere sich nur an John McCain – zu dem ich wahrlich gravierende Meinungsverschiedenheiten ausmachen kann. Aber er war ein Kandidat, der nicht nur an die Existenz des Klimawandels glaubte, sondern auch ein Emissionsrechtehandel-Abkommen mit vorschlug, das erst vor wenigen Jahren im Senat immerhin 43 Stimmen bekam. Jemand, der sich für die Abschaffung der Folter einsetzte, jemand, der sich mit Ted Kennedy für eine Reform des Einwanderungsgesetzes starkmachte. McCain war der letzte Kandidat, den die Republikaner nominiert haben – und das lässt erahnen, wie extrem sich diese Partei seitdem verändert hat.

Wie wird vor diesem Hintergrund die Wahl im November ablaufen? Wie schätzen Sie Mitt Romney ein?

Ich denke, dass der Kontrast zwischen den beiden Parteien krasser sein wird, als wir es seit einer ganzen Generation erlebt haben. Wir haben eine republikanische Partei – und ihren vermutlichen Spitzenkandidaten -, die sich vehement für eine Reduzierung der ökologischen Auflagen einsetzt, die die Verhandlungsrechte der Gewerkschaften drastisch einschränken will, die eine Defizit-Reduzierung dadurch erreichen will, dass sie die Steuern für die reichsten Amerikaner noch weiter absenkt und die Einschnitte allein auf Kosten von Erziehung, Forschung und der Hilfe für bedürftige Mitbürger macht. All das wird aller Voraussicht nach im Parteiprogramm auftauchen und bei der republikanischen Convention im August thematisiert werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr Präsidentschaftskandidat plötzlich ans Rednerpult treten und sagen kann: „Alles, was ich in den letzten sechs Monaten gesagt habe, zählt nicht.“ Ich gehe davon aus, dass er wirklich meint, was er sagt. Wenn man für das Amt des Präsidenten kandidiert, passen die Leute schon auf, was man von sich gibt.

Wie wird dieser Sachverhalt den Ton und Inhalt der anstehenden Debatte prägen?

Ich bin davon überzeugt, dass es eine sehr nützliche Debatte sein wird – eine Debatte, der ich schon mit Vorfreude entgegensehe. Ich denke, dass das amerikanische Volk sehr genau zuhören wird und sich anschließend ein Bild machen kann, wer die richtige Vision hat, um dieses Land in die Zukunft zu führen.

Die republikanische Vision sieht doch so aus: Wenn man eine kleine Oberschicht hat, die von keinerlei regulatorischen Einschränkungen beeinträchtigt wird, dann wird der Wohlstand schon langsam nach unten tröpfeln und der gesamten Nation zu Wachstum verhelfen. Das Problem ist nur: Genau das haben wir versucht – das war die Agenda von 2000 bis 2008. Und wir müssen diese Debatte auch nicht auf einer rein theoretischen Ebene führen! Wir haben die nachweislichen Belege, dass es nicht funktioniert hat – und ich denke, dass das amerikanische Volk diese Einschätzung teilen wird.

Meine Aufgabe wird es sein, den Amerikanern ein Bild davon zu machen, wie die Fortschritte, die wir in den letzten drei Jahren gemacht haben, tatsächlich zu der wirtschaftlichen Sicherheit führen, die sich alle erhoffen. Eine gesunde Skepsis ist durchaus nachvollziehbar, weil wir noch immer mit erheblichen Problemen zu kämpfen haben. Die Arbeitslosenzahl ist viel zu hoch, es gibt noch immer zu viele Menschen, die nach dem Platzen der Immobilienblase ihre Hypothekenkredite nicht bedienen können, es gibt viel zu viele, denen die hohen Benzinpreise zu schaffen machen. Es kann keinen Zweifel geben, dass noch immer zu viele Menschen in einer prekären Situation stecken, dass die wirtschaftliche Erholung nicht so robust ausgefallen ist, wie wir uns das gewünscht hätten. Und deshalb wird es am Wahltag auch ein enges Rennen geben. Aber eben nicht, weil die andere Partei ein wirklich überzeugendes Konzept hätte, wie man dieses Land nach vorne bewegt.

Wie hat sich seit Ihrem Amtsantritt die Situation zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen entwickelt? Inwieweit ist Rasse noch immer ein Faktor der amerikanischen Politik?

Rasse war immer einer der tiefen Gräben in der amerikanischen Kultur und Politik, von Anfang an. Ich war nie der Meinung, dass meine Wahl zum Präsidenten nun ein Zeitalter ohne Rassenkonflikte eingeläutet hätte. Andererseits habe ich im Laufe meines Lebens erfahren können, wie sehr sich die Beziehungen zwischen den Bevölkerungsgruppen verändert und verbessert haben; jeder, der das abstreitet, verschließt entweder seine Augen oder versteift sich auf eine nicht haltbare These. Wir sehen die Veränderungen jeden Tag, und die Tatsache, dass ich nun hier im Oval Office sitze, ist nur ein Beleg von vielen, dass sich etwas positiv bewegt.

Wenn ich durchs Land fahre, erzählen mir viele Leute, wie inspirierend es doch für afroamerikanische Kinder sein muss, nun einen schwarzen Präsidenten, eine schwarze First Lady im Weißen Haus zu sehen, wie es ihnen neue Perspektiven gibt, was sie in ihrem eigenen Leben alles erreichen können. Das ist fraglos richtig, aber man sollte darüber nicht vergessen, dass es auch eine Menge weißer Kinder gibt, für die es nun selbstverständlich ist, dass ihr Präsident ein Afroamerikaner ist. Das ist der Präsident, mit dem sie aufwachsen – und das wird ihr künftiges Verhalten nachhaltig beeinflussen.

Für mich war und ist dieses Thema immer ein hochgradig komplexes. Es geht eben nicht nur um den Kopf, sondern auch um das Herz, es geht um die tagtäglichen Kontakte am Arbeitsplatz, in der Schule, auf dem Sportplatz, in der Musik und Kultur – all das beeinflusst die Verhaltensmuster zwischen den Bevölkerungsgruppen nicht weniger als jede Form von Gesetzgebung. Ich glaube, dass wir langsam, aber stetig Fortschritte machen. Wenn ich mit meinen Töchtern spreche, stelle ich fest, dass die Welt, in der sie mit ihren Freunden aufwachsen, eine andere ist als die, in der ich noch groß wurde.

Sie haben sich mehrfach zu der „Occupy Wall Street“-Bewegung geäußert. Hat dieses Phänomen Ihre Wahrnehmung von Amerika auch auf einer tieferen Ebene verändert?

Ich denke, dass „Occupy Wall Street“ nur eins von mehreren Phänomenen ist, die eine tief sitzende Besorgnis über den Zustand der USA in den vergangenen zehn Jahren signalisieren. Die Leute haben das Gefühl, dass alles ein abgekartetes Spiel ist, damit sich ein paar wenige die Taschen vollstopfen können, während alle anderen nur mit Mühe und Not über die Runden kommen.

Die freie Marktwirtschaft war für mehr Wohlstand in der Geschichte verantwortlich als jeder andere Faktor. Ich glaube fest an die Vorzüge des freien Marktes, ich glaube an das Potenzial der Amerikaner, innovative Geschäftsideen umzusetzen, ihre Träume zu verwirklichen und dabei auch viel Geld zu verdienen. Aber wenn man in die Geschichte zurückblickt und sich fragt, wie wir die wirtschaftliche Supermacht wurden, wird man schnell feststellen, dass dieser ausgeprägte Individualismus und die Dynamik der Privatwirtschaft immer Hand in Hand gingen mit staatlichen Initiativen – Initiativen, die eine Plattform kreierten, damit jeder Erfolg haben konnte, damit Konsumenten nicht übers Ohr gehauen wurden, damit die unerwünschten Nebenprodukte des Kapitalismus – wie Umweltverschmutzung oder vermeidbare Unfälle am Arbeitsplatz – reguliert und kanalisiert wurden.

Indem wir dieses gesellschaftliche Sicherheitsnetz schufen, haben wir unsere Ausgangsposition nur noch verstärkt. Die Menschen konnten nun sagen: „Ich kann in einen anderen Bundesstaat ziehen, und wenn ich dort nicht sofort Arbeit finde, werden meine Kinder deswegen nicht verhungern. Ich kann eine Firma gründen, und wenn sich das Geschäft nicht erwartungsgemäß entwickelt, werde ich immer noch auf die Füße fallen.“ Wenn wir uns gegenseitig diese gesellschaftliche Sicherung geben, indem wir ein soziales Netz aufbauen und in Infrastruktur und Schulen und Forschung investieren – dann ist das nichts anderes, als wenn wir in unsere nationale Sicherheit oder die Feuerwehr oder die Polizei investieren. Es hat die Risikobereitschaft, die unsere Wirtschaft so dynamisch macht, überhaupt erst ermöglicht. Das sind die Grundbedingungen, um in einer modernen, prosperierenden Demokratie leben zu können.

Nun werden wir im Wahlkampf genau das gegensätzliche Argument hören, das besagt: Die Regierung ist nicht nur Teil des Problems, sondern die Regierung an sich ist das Problem. Diese Burschen wollen nicht nur Roosevelts „New Deal“ rückgängig machen, sondern am liebsten in die Zeit davor zurückkehren.

Was die Wall Street angeht, so wurde aufmerksam registriert, wie das Justizministerium einige der dicken Fische der Finanzkrise behandelt hat, etwa Goldman Sachs. Gegen keine der Individuen, die mit ihren Entscheidungen die Weltwirtschaft in den Abgrund trieben, wurde bislang Anklage erhoben. Warum wurde angesichts der haarsträubenden Manipulationen und Betrügereien noch niemandem der Prozess gemacht?

Zunächst einmal: Wir leben in einem Rechtsstaat. Was bedeutet, dass es durchaus Fälle gegeben haben mag, wo unverantwortliches Handeln großen Schaden verursacht hat, deswegen aber noch nicht automatisch Gesetze gebrochen wurden. Staatsanwälte müssen ihre Anklagen nun einmal auf Basis der bestehenden Gesetze formulieren. Aus diesem Grund haben wir die Wall-Street-Reform auf den Weg gebracht – um klarzustellen, was verboten ist und was nicht, um Regeln und Regularien zu etablieren, die besagen: „Das kannst du nicht machen, und wenn du’s doch tust, wird es unweigerlich Konsequenzen geben.“

Das heißt also, dass strafrechtliche Verfahren gegen die Auslöser der Finanzkrise durchaus noch möglich sind?

Ja, ich denke, die Möglichkeit besteht. Aber ich habe unserem Generalstaatsanwalt deutlich gemacht, dass er unwiderlegbare Fakten vorlegen muss und sich an die Vorgaben des Gesetzes hält. Nur so kann unser System funktionieren.

Doch nun haben wir einen republikanischen Kongress – und republikanische Präsidentschaftskandidaten -, die sich eindeutig darauf festgelegt haben, dass sie diese Finanzregulierungen wieder rückgängig machen würden. Sie wollen auch das „Consumer Financial Protection Bureau“ schließen – was ein weiteres Beispiel dafür ist, wie sehr sie sich von den Überlegungen entfernt haben, für die es einst einen überparteilichen Konsens gab. Die Vorstellung, dass wir uns von einer Regierungsbehörde verabschieden sollen, deren ausschließliche Aufgabe darin besteht, Konsumenten vor kriminellen Finanzpraktiken zu schützen – und die unsere Wirtschaft damit nur stärker macht -, ergibt in meinen Augen überhaupt keinen Sinn.

Sie traten Ihr Amt als ein junger Präsident an, der keinerlei militärische Erfahrung hatte. Erzählen Sie uns von Ihren Erfahrungen mit dem Pentagon – wie Sie als „Commander in chief“ gewachsen sind, wie sich Ihr Führungsstil entwickelt hat.

Ich habe zwar nicht gedient, hatte vor dem Militär aber immer einen enormen Respekt – und ich verneige mich vor den Opfern, die unsere Mitbürger in Uniform tagtäglich bringen. In meinem ersten Jahr hatte sich das Pentagon wohl daran gewöhnt, sich selbst die Vorgaben zu liefern und nicht nur taktische, sondern auch strategische Entscheidungen zu treffen. „Wir haben hier die Hämmer zur Hand, also lass uns die Nägel auch einschlagen.“ Zum Teil, weil Bob Gates (bis Juli 2011 Verteidigungsminister) – den ich im Amt übernommen hatte – so hervorragende Arbeit leistete, zum Teil, weil ich eine offene und ehrliche Aussprache mit dem Generalstab suchte – selbst wenn wir dabei auch Meinungsverschiedenheiten hatten -, kamen sie wohl zu der Überzeugung, dass ich mich zwar dem Militär uneingeschränkt verpflichtet fühle, dass ich aber sehr wohl der Überzeugung bin, dass die zivile Regierung das Militär zu kontrollieren hat. Anders gesagt: dass militärische Entscheidungen Teil einer Strategie, Teil von diplomatischen Anstrengungen sind, die nun einmal im Weißen Haus koordiniert werden müssen.

Ich kann heute aus voller Überzeugung konstatieren, dass zum jetzigen Zeitpunkt die Beziehung zwischen mir und dem Pentagon ausgezeichnet ist: Sie wissen, dass sie und ihre Arbeit mir am Herzen liegen, dass ich sie respektiere – und ich denke, dass sie mich ebenfalls respektieren und mir zuhören. Sie wissen, dass ich der „Commander in chief“ bin.

Der Einsatz gegen bin Laden war nur ein extremes Beispiel, wie effizient und konstruktiv unsere Beziehung inzwischen geworden ist. Der Truppenabzug im Irak ist ein weiteres. Natürlich ist die Lage im Irak noch immer problematisch. Aber als ich mein Amt antrat, versprach ich, den Krieg im Irak auf eine verantwortliche Art und Weise abzuschließen. Dieser Plan wurde gemeinsam umgesetzt. Es ging nicht so schnell, wie sich das einige Leute vielleicht gewünscht haben, aber vermutlich schneller, als sich das einige Leute im Pentagon vorgestellt hatten. Wir waren in der Lage, den Irakern die Regierungsverantwortung für ein demokratisches Land zu übergeben, das ihnen nun erlaubt, ihre eigene Zukunft zu planen. Und mit der gleichen Vorgehensweise werden wir das nun auch in Afghanistan tun.

Was sieht es mit den beiden Staaten aus, die momentan wohl die brisantesten Krisenherde sind – Syrien und Iran?

Das anhaltende Massaker an Zivilisten in Syrien ist ein Vorfall, zu dem die internationale Gemeinschaft eindeutig Stellung beziehen muss. Es gibt keine einfachen Antworten auf die Frage, wie man das Morden beenden kann, aber wir müssen allen nur erdenklichen Druck ausüben, um einen möglichst friedvollen Übergang zu einer demokratisch legitimierten Regierung in Syrien auf den Weg zu bringen.

Was den Iran angeht, so sagte ich nach meinem Amtsantritt 2009: „Lasst uns versuchen, das 30-jährige Misstrauen zwischen den USA und Iran zu überwinden.“ Unsere ausgestreckte Hand wurde ausgeschlagen – zum Teil wohl auch, weil Iran nach den Wahlen 2009 damit beschäftigt war, gegen die eigene Bevölkerung vorzugehen, zum Teil, weil sie nach wie vor an einem Atom-Programm arbeiten, von dem niemand in der internationalen Staatengemeinschaft glaubt, dass es ausschließlich der friedlichen Nutzung diene. Wir haben gerade heute angekündigt, dass es eine weitere Gesprächsrunde zwischen den Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates und Iran geben wird. Es besteht noch immer die Möglichkeit, die Differenzen auf diplomatischem Wege zu lösen – und dieser Lösung gebe ich natürlich eindeutig den Vorzug. Es gibt keinen Grund, warum Iran nicht in der Lage sein sollte, wieder der Staatengemeinschaft anzugehören und wirtschaftlich zu florieren. Sie haben dort so viele unglaublich talentierte und gebildete Menschen, aber der fortgesetzte Versuch, atomare Waffen zu entwickeln, bleibt einfach die große Herausforderung, die in den kommenden Monaten viel meiner Zeit und Energie in Anspruch nehmen wird.

Sie sind nun gut drei Jahre im Amt. Wie erlebt man den härtesten Job der Welt im Alltag?

Wie in jedem anderen Job hat man gute Tage und schlechte. Wie in jedem anderen Job wird man mit der Zeit besser, wenn man denn den Willen zur Selbstkritik hat und bereit ist, sein Bestes zu geben. Ich denke, dass ich heute ein besserer Präsident bin als vor drei Jahren. Ich weiß, dass mein Team heute effizienter arbeitet und besser Entwicklungen vorausahnen kann, als das zu Beginn meiner Amtsperiode der Fall war. Wie mir schon vorher einige Leute mit Regierungserfahrung prophezeit hatten, ist es ein harter Job. Punkt. Er wird noch schwieriger, wenn man mitten in der schlimmsten Finanzkrise zu unseren Lebzeiten steckt, wenn man zwei Kriege geerbt hat und sich mit elementaren Herausforderungen wie Terrorismus und Klimawandel auseinandersetzen muss.

Und man gleichzeitig von allen Seiten zu hören bekommt, was für einen miserablen Job man doch mache.

Man legt sich ein dickes Fell zu. Ich bin hier schon mit einem dicken Fell eingezogen, aber es ist noch dicker geworden. Man lernt zu verstehen, dass man zwar eine Person ist, aber gleichzeitig auch ein Symbol. Wenn die Dinge aus dem Ruder laufen, erwarten die Leute von einem, dass man sie wieder ins Lot bringt. Und manchmal, wenn man selbst schon frustriert ist über die Fortschritte seiner eigenen Bemühungen, projizieren die Leute ihre Frustration eben auf mich. Man sollte das nicht persönlich nehmen. Man lernt zu verstehen, dass das mit dem Amt kommt und seinen Aufgaben, mit „Marine One“ (dem einsatzbereiten Hubschrauber des Präsidenten) und all den anderen Aspekten, die Teil dieses Amtes sind.

Man konnte hören, dass Sie die Fernsehserie „Homeland“ durchaus schätzen.

In der Tat, es war eine ausgezeichnete Serie.

In einer Folge sieht man, wie eine Drohne eine Madrassa angreift – was wiederum ein Attentat auf den amerikanischen Vizepräsidenten zur Folge hat. Was hat Ihnen daran so viel Spaß gemacht?

Mir gefiel, dass es sich um wirklich komplexe Charaktere handelt. Natürlich wird einiges überdramatisiert, was unsere Arbeit hier im Weißen Haus angeht, auch wie unser nationaler Sicherheitsapparat funktioniert. Aber die Charaktere in der Serie sind zumindest keine Schwarz-Weiß-Schablonen. Es ist eine gelungene psychologische Studie, und das hat mir daran gefallen.

Gibt es andere Fernsehsendungen, Filme oder musikalische Highlights, die Ihnen positiv in Erinnerung geblieben sind?

Ich habe in jüngster Zeit kaum Gelegenheit gehabt, mir Filme anzuschauen; ich glaube, der letzte war „The Descendants“ („Familie und andere Angelegenheiten“). Das war ein echtes Vergnügen, weil es für mich so etwas wie ein Heimaturlaub war. Ich traf Clooney neulich und erzählte ihm, dass das mein altes Revier gewesen sei. Der Film zeigte nämlich den Teil von Hawaii, der nicht nur aus Regenbogen und Sonnenuntergängen besteht.

Was lesen Sie, um sich zu informieren oder Perspektiven zu gewinnen, die Sie von Ihren engsten Beratern vielleicht nicht bekommen?

(Lacht) Über den ROLLING STONE hinaus?

Das versteht sich von selbst.

Ich sehe mir nur wenig Nachrichten-Sendungen im Fernsehen an; die Programme der Kabel-Kanäle sehe ich überhaupt nicht. Ich mag die „Daily Show“. Wenn ich zu Hause bin, schaue ich mir abends manchmal ein paar Ausschnitte an. Ich halte Jon Stewart für brillant. Er hat ein bemerkenswertes Talent, den ganzen Schwachsinn ad absurdum zu führen – vor allem für junge Leute. Letztlich hat er mehr Glaubwürdigkeit als die etablierten Nachrichtensendungen. In der Regel lese ich halt vorwiegend Analysen, Studien, Briefings und Geheimdienst-Reporte.

Zeitungen?

Ich blättere morgens durch die großen Tageszeitungen, die „Times“, das „Wall Street Journal“ und die „Washington Post“ – nur, um mir einen Überblick zu verschaffen.

Unlängst machten Sie Schlagzeilen, als Sie im Apollo Theater in Harlem eine Al-Green-Einlage zum Besten gaben. Was ging durch Ihren Kopf, als man Sie darum bat?

Es war meine fünfte Veranstaltung an diesem Abend. Es war schon etwa halb elf, und wir fuhren zum Apollo hoch, weil ich noch den Auftritt von Al Green mitbekommen wollte. Aber als wir reinkamen, sagten die Jungs hinten am Soundboard: „Oh Mann, Sie haben den Reverend leider verpasst. Aber er war großartig – in der Form seines Lebens.“ Ich war völlig frustriert. Und da es schon spät am Abend war und ich stundenlange Polit-Meetings hinter mir hatte, fing ich einfach an, ein paar Zeilen von „Let’s Stay Together“ zu singen. Und alle sagten nur: „Oh, der Präsident kann ja richtig singen. Sie sollten auf die Bühne gehen.“ (White House-Beraterin) Valerie Jarrett machte nur so … (er flüstert und macht eine Handbewegung, als würde er seine Kehle aufschlitzen), aber ich sagte: „Klar mach ich das. Glauben Sie etwa, dass ich das auf der Bühne nicht bringe?“ Ich schaute zu (Regierungssprecher) Jay Carney, der völlig übermüdet war und nur sagte: „Dann machen Sie’s doch.“ Also ging ich einfach auf die Bühne. Ich weiß ja, dass ich singen kann. Ich hatte keine Angst, dass ich die Noten nicht treffen würde.

Wir sprachen bei einer früheren Gelegenheit darüber, wie Sie hier im Weißen Haus Bob Dylan und Paul McCartney begegnet sind. Nun hatten Sie auch Gelegenheit, Mick Jagger kennenzulernen.

Der Auftritt an dem Abend war fantastisch, aber noch besser waren die Proben am Vortag. Wenn ich die Gelegenheit habe, eine Probe zu beobachten, dann beeindruckt mich immer wieder, wie kameradschaftlich diese Musik-Legenden mit den anderen Musikern umgehen. Wenn sie erst einmal auf der Bühne stehen und ihren ganzen Tross hinter sich gelassen haben, sind sie nur einer von vielen Musikern – und sie proben genau wie alle anderen auch. Mir fiel das auf, als Paul McCartney hier war, als Stevie Wonder hier war, als Herbie Hancock hier war.

Und bei Mick war es genau das Gleiche. Es war eine Freude, ihn dabei zu beobachten, wie er mit der Hausband und ein paar anderen Jungs durch das Repertoire ging – wobei die anderen Musiker natürlich nicht so berühmt und vermutlich nicht mal halb so alt waren wie er. Aber er behandelte sie absolut respektvoll, weil es allen nur um die Musik ging.

Am nächsten Abend beim Auftritt sagte Mick dann: „Es gibt einen Grund, warum dies ein besonderer Abend für mich ist: Ich muss daran zurückdenken, wie ich zusammen mit den anderen Stones zum ersten Mal Chess Records besuchte.“ Chess Records lag mitten in der South Side von Chicago, und die Stones waren vermutlich die ersten Engländer, die die Burschen dort zu Gesicht bekamen – Leute wie Howlin‘ Wolf und die Crew von Chess und B. B. King, der ja auch an dem Abend auftrat. Mick erzählte, wie sehr er von ihrer Großzügigkeit beeindruckt gewesen sei, auch wenn die Jungs in Chicago vermutlich dachten, dass die Stones von einem anderen Planeten stammen würden. Und beim Auftritt im Weißen Haus war einfach dieses Gefühl mit Händen greifbar, dass Mick nun das Gleiche für die nächste Generation tat, dass sich der Kreis schloss.

Er erzählte nach dem Auftritt, dass Sie lange bei den Proben zugeschaut hätten.

Ja, ich bin sicher 45 Minuten geblieben. Es war eine Freude, ihnen dabei zuzusehen, wie sie an den Songs arbeiteten. Der Mann hat einfach eine unglaubliche Energie. Beim Auftritt am nächsten Abend war er genauso energiegeladen wie in seinen jungen Jahren.

Wussten Sie schon vorher, dass Sie an dem Abend noch „Sweet Home Chicago“ singen würden?

Nein, ich wollte sogar jegliches Singen vermeiden. Nach meiner Apollo-Einlage fragen die Leute mich nun bei jeder Gelegenheit, ob ich nicht singen wolle. Aber ich weiß natürlich auch: Je seltener die Auftritte, desto höher der Ticketpreis. Wir wollen es also nicht übertreiben.

Angesichts Ihres stressigen Jobs muss es doch eigentlich eine willkommene Abwechslung sein.

Aus der Presse erfährt man grundsätzlich nichts über die positiven Dinge, die man bewegt hat; man hört es nur direkt von den Leuten, die davon betroffen sind. Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht irgendein Echo von Leuten bekommen, denen mit unseren Entscheidungen geholfen wurde. Jemand schrieb neulich: „Ich bin 25 Jahre alt und durch die Gesundheitsreform nun noch bei meinen Eltern mitversichert. Als ich deshalb eine Vorsorgeuntersuchung machen konnte, stellte man bei mir einen Tumor fest. Es war noch in einem frühen Stadium, und die Behandlung schlägt hervorragend an, aber ich bin davon überzeugt, dass mir die Gesundheitsreform das Leben gerettet hat.“

Oder man trifft jemanden bei einer öffentlichen Veranstaltung, der sagt: „Ich weiß, dass Sie dafür kritisiert werden, dass so viele Häuser zwangsvollstreckt werden, aber Ihr housing program hat mir geholfen, in meinem Haus bleiben zu können. Und das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht.“

Die Leute da draußen wissen, dass dies harte Zeiten sind, und sie sind aus ganzem Herzen dankbar, wenn man ihnen helfen kann. Und das erinnert einen daran, was für ein ungeheures Privileg es ist, hier im Weißen Haus zu sitzen. Man hat einen konkreten Einfluss auf das tagtägliche Leben dieser Leute – und oft genug erfährt man noch nicht einmal davon.

Meine Haare mögen inzwischen grauer geworden sein, und natürlich sind Blessuren in diesem Job unumgänglich. Aber mein Vertrauen in die amerikanischen Mitbürger ist seit meinem Amtsantritt nur noch gewachsen – genau wie meine Entschlossenheit, für sie zu kämpfen und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Jeden Morgen, wenn ich aufwache, frage ich mich: „Was kann ich dazu beitragen, dass sich ihre Perspektiven verbessern?“ Diese Entschlossenheit brennt in mir noch stärker, als sie 2008 gebrannt hat.

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