Öde Orte, Folge 35: Auch Grandaddy gewinnen ihre Pop-Kraft aus der Provinzialität

Es herrscht milde Aufregung im Plattenfirmenbüro, denn der Hinterwäldler ist da. Ein Promoter erklärt, er habe Grandaddy-Sänger Jason Lytle, dem genierlichen Musiker, bereits ein Getränk gereicht, doch sei der persönliche Kontakt noch nicht ausreichend hergestellt worden.

Dann geht die Tür auf: Lytle hockt, wie immer bärtig, auf einem Schemel. Er trägt ein Käppi, das für irgendeine amerikanische Fluglinie wirbt, und freundlich ist er obendrein. Der Bart, das sei Faulheit, sagt er und die Freundin störe das auch nicht. Jason Lytle hat noch die Liebe, weit draußen in Modesto/Kalifornien. Während der Aufnahmen zu „Sumday“ hat er eine Menge Rotwein getrunken, aber immer nur so viel, dass er die Instrumente gerade noch bedienen konnte. „Was außer sich zu betrinken oder Langeweile zu schieben soll man auch machen in Modesto?“, beklagt sich Lytle zaghaft. „Es gibt quasi keinen Ort, wo man auftreten kann, und bis San Francisco sind es 90 Meilen. Idi kann dir auch nicht sagen, warum wir alle noch dort wohnen.“ Nun hat die Kleinstadt-Tristesse den Songschreiber Lytle noch nie an kreativen Meisterleistungen hindern können:

An die fast Beach Boys-hafte Brillanz von „The Sophtware Slutiip“, einem Album, das längst nicht mehr unter „Indie-Rock“ kategorisierbar war, erinnert man sich unter Tränen, „He’s Simple, He’s Dumb, He’s The Pilot“ war Grandaddys „Paranoid Android“, und heute ist „Saddest Vacant Lot In All The World“, ich schwör’s, ihr „At My Most Beautiful“.

Gleichförmiger, konziser sind Lytles Kompositionen dieses Mal ausgefallen, „Sumday“ ‚ist ein wunderschönes Pop-Album, wie sich der Schrat selbst freut und gleich betont, dass er überhaupt nicht wisse, was sich in der Pop-Welt von heute tut. „Ich habe gerade erst wieder damit angefangen, etwas annähernd Aktuelles zu hören. Ich habe keinen Schimmer, was im Dance- oder Techno-Bereich passiert, und ich kenne nicht mal so viele Gitarren-Bands, wie die Menschen immer denken. Früher, als ich mit meinen Jungs noch jeden Tag Skateboard gefahren bin, gab es eine Menge Bands, die Skateboarder angeblich mögen, und auch die habe ich alle nie gehört.“ Es bleibt, wie es immer war: Die Musik von Grandaddy kommt aus dem Nirgendwo.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates