Papas spätes Glück

Nick Lowe genießt seine zweite Karriere als ironisch-gemütlicher Nostalgiker – und hat sogar ein neues Publikum gewonnen.

Nick Lowe, 64 Jahre alt, trägt weinrote Socken, die fein zum ebenso changierenden Trenchcoat passen, und beschäftigt seit mehr als 20 Jahren dieselbe „Perle“. Jackie macht auch an diesem windigen Frühherbsttag im Juli den Hausputz. Doch dieses wundervolle 60er-Jahre-Mercedes-Coupé, das der Brite noch auf dem Cover seiner „Brentford Trilogy“ stolz durch die Nachbarschaft gesteuert hatte, ist „leider, leider“ Geschichte. „Eine große Schande“, empört sich Lowe ganz Selbstironie, „ein Mann wie ich, reduziert auf dieses graue Auto.“

Der Saab-Kombi, der jetzt vor dem schmucklos-schmalen Reihenhauswohnbüro im Sackgassenzipfel einer Seitenstraße parkt, ist tatsächlich grau und firmiert hier, so Lowe, als „stealth car“ – ein dem US-Tarnkappenbomber entlehnter Kosename für garantiert unauffällige Familienkutschen. Der Anlass für den Umstieg lebt nur „30 Sekunden“ die Straße runter. Dort hat Lowe ein zweites Domizil fürs Familienleben erworben. Seine Frau Peta war, wie schon bei „At My Age“, fürs Design des neuen Albums „The Old Magic“ zuständig und engagierte eine Natasha aus ihrem Jive-Tanzkurs im 100 Club als peppiges Cover-Model. Zudem organisiert sie den Technologie-Transfer des Gatten, immer noch ohne Laptop und Handy. Sohn Roy ist mit sechs Jahren schon als Junior-Manager aktiv. „You Don’t Know Me At All“, ein Song von Big Sandy & The Fly Rite Boy, lief auf sein Drängen so oft im Saab, bis er auch dem Papa gefiel. Obwohl seine Version mit Ska-Bläsern und Cash-Gitarre wenig mit dem Western-Swing-Original teilt.

An zwei, drei Abenden in der Woche, um zu schreiben oder eine DVD zu gucken, zieht es den Mann, dessen Leben früher ganz ihm gehörte -, ,mit zwei, drei Freundinnen, die voneinander wussten“ -, jetzt noch in sein Loner-Refugium, das er einst Jake Riviera abgekauft hatte. Der ist, 35 Jahre nach der Gründung von Stiff Records, immer noch Lowes Manager, hatte früher sein Büro nebenan und hier seine alternden Eltern untergebracht. „Bis sein Vater da hinten tot umfiel.“ Lowe deutend lachend in die kleine Küche. Die späte eigene Vaterschaft sei, bekennt er, „ein Schock“ gewesen: „Ich sah ein Desaster kommen.“ Aber heute will er „nichts mehr ändern, auch wenn’s harte Arbeit ist. Wenn Freunde von den zwei Häusern hören, sagen sie nur: Brillant! Aber im Alltag ist es schwieriger, als man denkt. Denn wenn ich herkomme und es vorher Streit gab, muss ich immer sehen, irgendwie im Guten zu gehen. Denn sonst sieht es so aus, als ob ich fortlaufen würde.“

Brentford, direkt an der Themse gelegen, hat eine weit zurückreichende Hafen-Historie, die freilich schnell Geschichte wurde, als nebenan die Schnellstraßen den Fluss als Wirtschaftsweg in die City zunehmend überflüssig machten. Doch war es gerade der Charme dieses Verfalls, der Nick Lowe Mitte der 80er-Jahre in den Südwesten von London zog. „Damals wollte hier wirklich keiner leben“, erinnert sich Lowe. „Ich habe Brentford quasi adoptiert, während alle nur entsetzt fragten, was zum Himmel ich denn dort wolle.“ So entsprang die Wahl wohl demselben Geist, der Lowe 1976 mit knapp 30 noch zum Punk-Sympathisanten machen konnte: nämlich gerade dann seinem Instinkt zu vertrauen, wenn alle anderen es bescheuert finden.

Doch dahinter stand sicher auch die Sehnsucht eines Wurzellosen, der als Sohn eines Militärs auf Zypern und in Jordanien aufgewachsen und dann „aus dem Nirgendwo“ nach London gekommen war. Wo er im „Heart Of The City“ (Single-B-Seite 1976) lange vergeblich nach einer Heimstatt fahndete. „Hier lebten noch Familien seit Generationen, was damals in London immer seltener wurde, weil überall Leute wie ich auftauchten und die Eingesessenen vertrieben“, lacht Lowe. Als „begeisterter Pub-Geher“ kam er in Brentford auch nicht zu kurz und ließ sich abends immer beim gemeinsamen Bier „vom Klempner oder Postboten erzählen, was hier gerade so abging“.

Lowes Begeisterung stieg noch, als auch wieder ein alter Bekannter neben ihm an der Theke stand, den es zwischenzeitlich der Liebe wegen nach Texas verschlagen hatte. Bobby Irwin, sein Schlagzeuger aus frühen 80er-Tagen, kehrte nach seiner Scheidung als Robert Treherne (Mädchenname der Mutter) zurück und wurde zum wichtigsten Bindeglied zwischen Lowes zweiter Karriere und seiner ersten, die gerade mit „Party Of One“ (1990) und dem folgenden Rauswurf bei Warner auf dem Weg nach unten war. „Wir blieben in Kontakt und ich erzählte ihm oft, dass ich diesen leisen, aber sehr intensiven Sound für mich hörte. Country, Soul, Gospel, Pop – definitiv Pop! – sollten drin sein, damit niemand genau sagen kann, was es eigentlich ist. Mit einer coolen Band leise, aber hart rocken. Bobby war lange der Einzige, der mich verstand, während alle anderen nur mit den Schultern zuckten und meinten: Hey, du hattest deine Zeit – und jetzt dreht sich das Rad ohne dich weiter. Also quetsch deine Hits aus, solange es noch geht – und alles ist gut.“

Zu quetschen war da mit nur einem echten Top-40-Kracher, „Cruel To Be Kind“ (1979), ohnehin nicht so viel. Und einmal – just zum richtigen Zeitpunkt – gab es eine große Überweisung auf sein Konto: als Curtis Stigers 1992 den frühen Lowe-Klassiker „What’s So Funny (About Peace, Love & Understanding)“ im Soundtrack der Kevin-Costner-Whitney-Houston-Romanze „Bodyguard“ in Millionen Haushalte sang. „Es war fantastisch! Ich konnte meine Musiker gut bezahlen, mit, The Impossible Bird‘ eine vernünftige US-Tour durchziehen, und für die nächsten Platten hat das Geld auch noch gereicht.“ Als die sogenannte Brentford-Trilogie mit „Dig My Mood“ (1998) und „The Convincer“ 2001 komplett war, hatten sich daraus längst „neue Einnahmequellen ergeben“ – Rod Stewart sang etwa, ,Shelley My Love“.

Nicht zuletzt war spätestens 2007 mit „At My Age“ auch ein neues Publikum langsam, aber sicher auf dem Weg zu ihm. „Oh, ohne Zweifel – viel mehr Frauen!“, lacht Lowe los. Die immer noch erschaudern (oder wütend werden), wenn Lowe den brutalen Charme eines „I Trained Her To Love Me“ kredenzt (und nein, er schreibe „niemals autobiografisch“). Auch viele junge Leute kommen nun wieder: „Vielleicht muss man nur lange genug dabei bleiben, um wieder etwas für sie zu haben.“ Das späte Publikum seines Ex-Schwiegervaters Johnny Cash, der seine letzte Karriere 1994 mit Lowes „The Beast In Me“ startete, hatte Lowe immer vor Augen: drei Generationen vor der Bühne – „und doch hatte keine dabei zu leiden. Wenn die Eltern mit zu Justin Bieber gehen, dann wollen sie nicht wirklich dort sein, oder?“

Nick Lowe wusste, dass der Weg zur Runderneuerung seiner Karriere lang sein würde. Und Verführung ist dabei sein Lieblingswort, das immer wieder fällt. „Man muss die Leute langsam verführen, sodass sie das Gefühl bekommen, etwas selbst entdeckt zu haben. Dann hat man wirklich Fans gewonnen.“ Natürlich habe er dabei auch alte verloren, „die denken, es sei kein Rock’n’Roll mehr, weil es nicht laut ist. Was natürlich Unsinn ist. Schade, dass sie fort sind, aber was soll’s.“ Besonders viele davon scheinen in Birmingham oder Manchester zu leben. Denn während Lowe in London mal eben die Royal Festival Hall ausverkaufen kann, sei er andernorts nicht sehr populär im Land. Er lacht. „Die Midlands? Vergiss es.“

Also tourt er doch lieber, wie gerade wieder, in Japan, wo er immer recht beliebt war. Oder demnächst in den USA, wo etwa mit dem Ryman Auditorium in Nashville auch schöne Konzertstätten auf ihn warten, dort als Solo-Vorprogramm für Wilco, die gerade sein Stück „I Love My Label“ gecovert haben. Lowe hat von Wilco noch keinen Ton gehört, will dies aber bis zum Tour-Start nachholen. „Ich bin wirklich schlecht, was aktuelle Musik angeht“, sagt Lowe, denn er höre „fast nur Musik von Toten“. Sein Label Proper Records hat ihn bereits zum besten Songschreiber Großbritanniens ernannt, obwohl Paul McCartney, Elvis Costello und Paul Weller noch leben. Für Costello hat er einige Platten produziert, darunter das krachige Meisterwerk, ,Blood & Chocolate“. Lowe singt jetzt seine Ballade, ,The Poisoned Rose“.

Auf dem neuen Album „The Old Magic“ kokettiert er in „Checkout Time“ schwer mit der eigenen Vergänglichkeit. Er habe nicht gedacht, überhaupt 30 zu werden? Pah. Natürlich habe er damals die vielleicht beste Zeit seines Lebens gehabt, räumt Lowe lachend ein. Doch über ganz dunkle Stunden hat er auch damals schon geschrieben – und das kaum in der nihilistischen Pose jener Zeit. Da war die letzte Zigarette, die er 1977 in „Endless Sleep“ anzündete, oder die moderne Mörder-Ballade von der unglückseligen „Marie Provost“, erst ein „winner“, dann nur noch „doggie’s dinner“.

Wo der Witz anfängt und wo er aufhört, fragte man sich bei diesem Nick Lowe ja schon immer. Und heute vielleicht mehr denn je, nachdem er erkannt hat, dass ein Witz um des Witzes willen eher selten wirklich Humor ergibt. Er habe früher ein paar Songs „schon ziemlich ruiniert, weil ich sie unbedingt noch irgendwie witzig machen wollte. Weil ich dachte, ich komme sonst nicht durch damit, so jung, wie ich war – das werden die Leute nicht schlucken.“ Eigentlich, blickt Lowe zurück, habe er schon damals „darauf gewartet, älter zu werden, um etwas mehr Schwerkraft zu bekommen. Damit die Leute wirklich hören, was ich zu sagen habe. Ja, meine Karriere hat sich schon ziemlich merkwürdig entwickelt, aber diese Position jetzt gefällt mir gut.“

So gut, dass er selbst dem Geist von 1971 noch mal begegnen wollte, der neulich in Glastonbury auf eine eigens eingerichtete Bühne kroch, zur Erinnerung an die Festival-Premiere vor 40 Jahren. Damals hatte Lowe dort mit Brinsley Schwarz aufgespielt, nun bat man ihn als einzigen noch aktiven und greifbaren Vertreter um vier Songs seiner alten Band. „Leute wie Hawkwind, Terry Reid und Mick Farren hopsten da rum“, amüsiert sich Lowe, „es war wie im Altersheim.“ Die alten Texte hatte er sich zum Teil auf die Unterarme geschrieben, „weil ich mir all diesen unglaublichen Unfug von golden ladies und aquarian women einfach nicht merken konnte. Na ja, ich hab die vier Songs irgendwie rausgehauen und ein paar Witze dazu gerissen. Aber es hörte kaum jemand zu. Vielleicht 60 Leute? Nein, keine gute Idee.“

Da war das Kompliment schon schöner, das ihm Leon Russell letztens am Rande einer gemeinsamen TV-Songwriter-Runde bei der BBC machte. Er sehe ja aus „wie ein Banker“, sagte der Veteran aus Oklahoma da trocken zu Nick Lowe. Immerhin: „Aber du klingst gar nicht wie ein Banker, wenn du zu singen anfängst.“ Jörg Feyer

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