Paul Weller: Der Ombudsmann des britischen Pop

Längst zur Ikone geworden, sucht der einstige Jam- und Style Council-Anführer Paul Weller noch einmal neue Inspiration - und liefert mit "Heliocentric" die beste Leistung seit Jahren

Alkohol, Drogen und ein zertrümmertes Hotelzimmer in Paris – die Trennung von Ehefrau D.C. Lee vor sechs Jahren stürzte Paul Weller in tiefste Depressionen. Die Alben „Stanley Road“, vor allem aber „Heavy Soul“ künden ausführlich von den Abgründen, die der empfindliche Songwriter in seiner Seele auslotete, und erzählen von einem oft ausschweifenden Leben auf permanenter Tournee zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt.

Doch das ist Geschichte. Der Paul Weller, der an jenem sonnigen Londoner Frühlingstag in einem lichtdurchfluteten Zimmer des gediegenen Halcyon-Hotels vor mir sitzt, ist alles andere als ein schicksalgebeugtes Drogenwrack. Drahtig, braungebrannt und entspannt lächelnd macht er es sich in seinem Stuhl bequem, bestellt ein Mineralwasser und versprüht die agile Aura eines Duracell-Häschens: Stillstand ist der Tod.

In der Tat hat sich Paul Weiler wieder bewegt Nach dem zähen Mucker-Dadrock und entsprechender Schelte in den britischen Blättern, darunter eine Klassifizierung als „musikalisches Äquivalent zum Sonntagsfahrer“, bemühte sich Weller um eine ähnliche Atmosphäre wie bei „Wild Wood“, seiner besten Solo-Platte. Das neue Album trägt den kryptischen Titel „Heliocentric“ und enthält neben anderen folkloristischen Nuancen einige Streicher-Arrangements von Robert Kirby, berühmt durch seine sensible Arbeit an Nick Drakes epochalem Werk „Five Leaves Left“. Weller ein Folkie? Sagen wir: weniger Herzblut, mehr abgeklärter Naturalismus und ein von gröbster Seelenpein bereinigtes Karma. „Ich wollte auf keinen Fall noch ein weiteres Album im ‚Heavy Soul‘-Stil machen, soviel war mir klar, als wir vor knapp zwei Jahren die letzte Tour hinter uns gebracht hatten“, sagt er und streicht sich kurz durch die ewige Modfrisur seiner graumelierten Haare. „Das Problem war: Ich wollte eine andere, positivere Grundstimmung für das nächste Album, aber ich befand mich noch immer in derselben düsteren Gemütslage wie in den Jahren zuvor. Zwingen, andere Songs zu schreiben, konnte ich mich leider auch nicht – also blieb mir nichts anderes übrig, als abzuwarten.“

Das einfache, zurückgezogene Leben auf dem Landsitz in Woking, drei Kinder und seine gegenwärtige Lebensgefährtin dürften im vergangenen Jahr eine Menge dazu beigetragen haben, die Stimmung zu verbessern. Am Ende kamen dann offenbar auch die richtigen Songs an die Oberfläche – zumindest klingt „Heliocentric“ wie ein frischer Start in eine neue, irgendwie ruhigere Schaffensphase. Nach The Jam, Style Council und erfolgreicher Solo-Karriere nun also der Einstieg ins Alterswerk? „Ich weiß nicht, Mann. Ich denke im Moment tatsächlich viel darüber nach, was nach ‚Heliocentric‘ kommen könnte, welche Stilelemente ich noch verändern könnte, was mich noch reizt Offen gestanden, fallt mir dazu nicht viel ein, und dann kommt die Überlegung: ‚War’s das jetzt?‘ natürlich ganz automatisch. Andererseits: Wer weiß, wahrscheinlich lauert die nächste Herausforderung bereits hinter der nächsten Ecke.“ Beschwören sollte er es nicht Um musikalische Revolutionen ging es dem mittlerweile 42-Jährigen nie.

Selbst in jenen seligen Tagen, als Weller noch Pete Townsbends Gitarrenriffs abkupferte, um sie in den dreiminütigen R&B-Krachern seiner Mod-Band The Jam zu verwenden, ging es ihm stets darum, „gute Songs“ zu schreiben, die „die übliche Verfallszeit von Popmusik überdauern“. Mit dieser Prämisse gelang es ihm – ob in den Achtzigern als Jazz-Interpret mit dem Style Council oder als Verfechter des britischen Soul-Rock in den Neunzigern -, zu einer Vertrauensperson zu werden, zum Ombudsmann des Britpop, einem Fels in der Brandung des Alltäglichen. Eine Brandung jedoch, die immer schwächer wird. Weller, selbst seit über drei Jahrzehnten Musik-Konsument, findet im zeitgenössischen Musikgeschehen wenig Anknüpfpunkte, geschweige denn aufregende neue Impulse. „Aber vielleicht muss das so sein“, grübelt er. „Klar, in unseren Ohren klingt alles wie schon mal gehört Aber für den 15- oder 16-Jährigen, der in einer ganz anderen Erfahrungswelt lebt, klingen Bands, die für uns nur langweiligen Kram machen, wahrscheinlich wie das größte Ding aller Zeiten. Popmusik entwickelt sich ständig weiter. Vielleicht sind ja wir es, die aufhören sollten, sie nach unseren Maßstäben zu bewerten.“ Versöhnliches vom Britpop-Paten, der nach eigenem Bekunden nicht viel von Beta Band, Gomez und Konsorten hält „Ich habe schon fast Angst, etwas dazu zu sagen“, sagt er lachend. „Wann immer ich über Musik rede, kommt am Ende dabei raus, dass nur die alten Sachen wirklich gut waren. Und dann heißt es am nächsten Tag wieder: ‚Weller ist retro.‘ Und das stimmt natürlich nicht!“ Natürlich nicht Apropos „retro“: Was er denn von „Standing On The Shoulder Of Giants“

hält, dem neuen, katastrophal aufgenommenen Album seines Kumpels Noel Gallagher? Ein Lächeln, ein Winden auf dem Stuhl, dann die ehrliche Antwort: „Es ist enttäuschend, Mann, weil es einfach nur nach Oasis klingt. Da gibt es keine neuen Sounds, kaum die neue Perspektive, die man sich von dieser Band gerade jetzt erhofft hatte. Ich denke, Noel sollte sich endlich umorientieren und seinen eigenen Kram machen.“ Solch einen gut gemeinten Rat von einem väterlichen Freund sollte Noel doch annehmen können. Aber Weller winkt ab. „Es ist schwer jemandem zu sagen, was er tun und lassen soll, wenn dieser Jemand gerade 20 Millionen Platten verkauft hat Mindestens genauso schwer ist es, einem wirklich guten Freund sagen zu müssen, dass sein neues Album Müll ist. Noel und ich halten in dieser Beziehung eine sehr gesunde Distanz.“ Die allerdings in manchem Tumult verloren ging, wobei jeder eine andere Erinnerung an trunkene Nächte bewahrt.

Noel und Liam schätzen den Kollegen natürlich, machen sich aber auch bei jeder Gelegenheit über ihn lustig. Wellers Anfalle von Größenwahn und unfreiwilliger Komik sind notorisch. Da wird schon mal eine Gitarre ins Klo geworfen oder der Teppich im Hotelzimmer herausgerissen – erstaunlich bei einem Mann, der ebenso bieder wie misstrauisch wirkt. Paul Weller ist nicht eloquent, und dem Songschreiber mangelt es an Themen wie an Ausdruck. In den Achtzigern hatte er den Sozialismus und schrieb „Walls Come Tumbling Down“ und „Internationalists“ – heute philosophiert er „There Is No Drinking, After You’re Dead“. Übrigens tatsächlich mit Komma. Dabei geht er den Weg vom etwas affigen Stilisten mit spitzen Schuhen und filterlosen Zigaretten, aber Labour-Bewusstsein und Anwalt der kleinen Shop-Besitzer zum Naturburschen nach Art von Neil Young, gereift im Eichenfass und ohne modische Attitüde. Youngs „Ohio“ bietet er im Konzert gern in einer holzfallerhaften Version dar. Das ist uncool, das wirkt bizarr, das ist lässig. Old and in the way? Eher biegt sich der Weg, wenn Weller kommt.

Es wird Zeit, dass dieser Mann geadelt wird.

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