Pop im Urlaub oder: Hat irgendjemand mein Brian-Jonestown-Massacre-T-Shirt gesehen?

Urlaub hat mit Pop in etwa soviel zu tun wie Green Day mit Punk. Solche Sätze schreibt man, wenn es einen grillös umzirpt. Unser Autor denkt während seiner Italienreise vor sich hin. Und landet auch bei Gianna Nannini.


Eric Pfeils Pop-Tagebuch, Folge 13

Ich will meinen hochgeschätzten Leserinnen nicht verhehlen, dass diese Zeilen im Urlaub entstehen. Und so sitze ich also mild angebrutzelt, von Grillen umzirpt und Uhus umuhut an einem Plastiktisch vor einem Haus mit ulkigen sanitären Einrichtungen und frage mich, wie um alles in der Welt sich diese Aufzeichnungen hier ins halbwegs Pop-relevante zwingen lassen. Die grotesken Experimentalfrisuren irgendwelcher Musikanten sind derzeit eben nur halb so interessant wie die grotesken Experimentalfrisuren irgendwelcher Strandheinis und statt des neuen Haim-Albums höre ich doch wieder nur „Desire“. Machen wir uns nichts vor: Urlaub hat mit Pop in etwa soviel zu tun wie Green Day mit Punk. Sehen Sie: Solche Sätze schreibt man, wenn es einen grillös umzirpt!

Ich will es dennoch versuchen: Gestern trat ich in die Küche des Urlaubsapartments und sprach den Satz: „Hat irgendjemand mein Brian-Jonestown-Massacre-T-Shirt gesehen?“ Ich weiß gar nicht warum, aber als Band-T-Shirt-Verächter verfüge ich nur über zwei Fetzen, auf denen die Logos von Rockgruppen prangen. Neben besagtem Brian-Jonestown-Massacre-T-Shirt besitze ich noch eines von Blumfeld. Nein, Halt, stimmt nicht: Ich nenne auch noch ein seltenes Flaming-Lips-T-Shirt mein eigen. Das Textil ist im Grunde ziemlich super, huldigt es doch der Achtziger-Jahre-Frisur des Flaming-Lips-Bassisten Michael Ivins. Auf dem T-Shirt sieht man ein Bild des sonnenbebrillten Ivins mit einem recht eindrücklichen Semi-Afro, darunter steht in grellen Lettern: „The Church of Michael Ivins Hair“. Wie gesagt: ziemlich super. Leider nur ist das Kleidungsstück in einem Braun gehalten, das dringend auf die Liste der um jeden Preis zu vermeidenden Brauntöne gehört. Selbst Versuche, es als Nachtleibchen einzusetzen, sorgten für heftige Diskussionen. Wahrscheinlich war der Flaming-Lips-T-Shirt-Gestalter in Ulk-Laune. Oder auf LSD. Oder beides. Meine anderen beiden Band-T-Shirts hingegen sind blau. Ich gebiete auch noch über ein Kleidungsstück, auf dem der Kölner Dom zu sehen ist. Aber der Kölner Dom ist, glaube ich, noch weniger Pop als Green Day Punk.

Wenn ich nicht das „Desire“-Album höre, läuft das Autoradio. Das Ohr wird im Urlaub gütig, und bald ist man geneigt sich selbst die plattesten lokalen Sommerpopsongs kaufen zu wollen. Besonders ein Liedchen, in dem die Sängerin immer wieder den Wunsch formuliert, eine „girasole“, eine Sonnenblume, sein zu wollen, wusste mich zu fesseln. Vor ein paar Tagen lief im Autoradio Gianna Nannini. Die Nannini ist eine beachtliche Person: Sie nahm mit Jaki Liebezeit im Rücken bei Conny Plank auf, sang – als lesbische Frau – die offizielle Hymne zur letzten Fußball-WM in Italien und schenkte mit über 50 einem gesunden Kind das Leben. Über ihre Musik kann man streiten, aber als der Song durchs Auto röhrt, notiere ich im Kopf: „Rod Stewart – Schottlands Antwort auf Gianna Nannini“.

Das war jetzt albern, deswegen rasch zum nächsten Punkt, der für Leser dieser Kolumne von gelindem Interesse sein könnte: Gestern erstand ich die Zeitschrift „Nuovo“, ein grelles Klatschmagazin, das fast ausschließlich unscharf fotografierte Italo-Prominenz am Strand zeigt. In einem mit viel Wohlwollen als Artikel zu bezeichnenden Geschreibsel über den Schauspieler Marco Bocci (den Freunde der Serie „Romanzo Criminale“ als Darsteller des aufrechten Schnauzbart-Kommissars kennen könnten) findet sich eine Reihe von Fotos, die Bocci in inniger Umarmung mit einem weißhaarigen Dottore zeigen, den das Blättchen als seinen künftigen Schwiegervater ausweist. In der Betextung dieser Bildstrecke steht etwas ausgesprochen Hübsches: Besagter Vater wird da in Ermangelung einer anderen Berufsbezeichnung als „chitarrista dilettante“ bezeichnet, der seiner Tochter (offenbar eine Sängerin) die Liebe zur Musik vererbt habe. Chitarrista dilettante! Toll!! Wenn ich mir noch eins im Leben wünsche, dann, dass ich eines Tages mal auf einem unscharfen Bild in einem schäbigen People-Magazin auftauche und mit der Bildunterschrift „dilettantischer Gitarrist“ versehen werde.

Sollte das nichts geben, werde ich eben Deutschlands Antwort auf Michael Ivins Afro. Oder eine Sonnenblume. Mir doch egal, ich bin im Urlaub.

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