Projekt Popcore: Mit Gespür und Geschick streben Bands wie Hannovers Mellow Sirens zur neuen musikalischen Mitte

Deutschrock geht es in etwa wie dem deutschen Fußball. Die routinierten Korsettstangen Niedecken und Westernhagen dürfen noch mal in die National-Charts, bevor sie in den Annalen dieses Jahrtausends verschwinden werden, Grönemeyer hat sich lieber gleich ins elektronische Exil begeben. Und was macht die nächste Generation? Rammstein, daraufscheint sich jeder irgendwie geeinigt zu haben, sind nur das „Phänomen“. Wer nicht gerade rappt oder gleich zum Electro-Blubbern schweigt, ruft im Schulenglisch geschickt Hörgewohnheiten der jüngeren Popgeschichte ab. Bell, Book & Candle und Guano Apes gaben allen Muckern die Hoffnung zurück.

Direkt aus Schröders „Neuen Mitte“ und altem Randbezirk Hannover kommen die Mellow Sirens. Wie ist es denn an der Leine bei Fury In The Slaughterhouse und den Scorpions? „Genau die richtige Stadt, um mal wegzuziehen“, verlängert Sängerin Nina Grötschel den Seitenhieb zur Steilvorlage für Gitarrist Dominik Decker: „Hannover gilt als graue Maus, und da ist leider was dran. Wer da Musiker ist, blickt schnell nach draußen, was dort passiert.“

Wer da raus will, ohne gehen zu müssen, der spielt halt Melodien für Millionen. Dominiks Bruder ist Bassist bei Fury, und mit dem gleichnamigen Debütalbum der eigenen Band rüttelt er nun an den Pforten der Charts. Popcore nennt es die Plattenfirma, als „Popmusik mit Rockanteil“ bezeichnet es Nina ebenso rührig wie richtig. Sie schäme sich auch nicht für diese Definition, sagt die aufgeschlossene, aparte Rothaarige und ist natürlich „offen für alles, weil es nur um Songs geht, nicht um den Stil . Und so schwingt mit präzisem Gespür der globalisierte Geschmack durch die Songs. „Breeze“ ist in der Dramaturgie perfekt arrangiert, eine jener Stadion-Hymnen, zu denen man Feuerzeuge hochhält. „Secret World“ ist balladesker, mit elektronischen Breakbeats aufgepeppter Gitarrenpop. Punkrock wird geschmeidig eingeflochten. Und kompiliert „Useless“ nicht Depeche Mode und Eurythmics? „Wir sprechen in der Band nicht über Einflüsse, die sind einfach da“, sagt Dominik, gestattet Journalisten aber die üblichen Vergleiche mit Skunk Anansie, No Doubt, Garbage, Alanis Morissette. Nina: „Ist ja irgendwie auch ein Kompliment.“

Ihre Stimme hat manchmal das gedehnte Pathos von Cher und steht oft im Vordergrund. Gibt es da keine Eitelkeiten mit dem Gitarristen? „Ich bin wie ein offensiver Mittelfeldspieler“, antwortet Dominik. „Der Sänger aber ist der Stürmer.“ Doppelpaß mit Nina: „Ich will mich nicht immer selbst darstellen, es soll auch für den Hörer angenehm sein und die Band damit klarkommen.“ Außerdem finde sie die Melodien wichtiger als Texte. Soviel Gefälligkeit findet sofort Anklang bei Plattenfirmen. Aber auch Schröder und Sir Erich würden mit den Mellow Sirens zufrieden sein.

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