Punk war ein Weckruf für den Pop und eine Kampfansage am Rock-Mumien, brauchte aber selbst diverse Geburtshelfer

Pop lag im Koma 1975. Die Rock-Industrie boomte. Man hatte gelernt, ungeahnte Mengen Geldes zu generieren, indem man ein arriviertes, saturiertes Publikum bediente. Erwachsene! Menschen, die ihr Kunstverständnis der kunterbunten Kirmes von „Sgt. Pepper“ verdankten. Denen Led Zeppelin und Pink Floyd beigebracht hatten, dass Musikkonsum unter Albumlänge Kinderkram sei. Gute Musik, das war Konsens in Rock City, hatte ambitioniert zu sein, kunstfertig und grandios. War im wirklichen Leben aber stets nur aufgeblasen, kunstbeflissen und pompös. Die Charts der Mittsiebziger dokumentieren den Abstand zwischen Anspruch und Realität. Das Banale hatte die Nase vorn, trug dieselbe hoch. „Tubular Beils“! Art-Rock-Tinnef von Yes und Genesis, der grotesk hochgezüchtete Quatsch von Queen. Dazwischen „Greatest Hits“ für Ruhestständler, von Elton und Engelbert. Die Kids klammerten sich derweil an die Bay City Rollers. Im UK. Anderswo war es noch weit schlimmer. Retärdo mon- do.

Eine Gegenbewegung schien nicht in Sicht, man musste sich behelfen. Und mit wenig begnügen, wollte man nicht nach Texas ausweichen oder diesem Hype aus New Jersey folgen. „Born To Run“ war gut aber sollte das die Zukunft des Rock’n’Roll sein? Der heute vielgeschmähte Pub-Rock, ein ziemlich onkelhaftes Phänomen ganz an der Peripherie des großen Geschäfts, verschaffte durchaus Linderung für die malträtierte Pop-Seele. Gestandene Männer, die in kleinen Clubs und auf Platten mit kleinen Auflagen zünftig musizierten, mit Schmackes, aber ohne Sex und Stil. Und im Übrigen auch nur Album-Acts, die wochenlang in Studios schufteten, um sich danach monatelang auf Bühnen abzurackern. Keine Bewegung. Immerhin Graham Parker & The Rumour brachten Wind und Hitze, es war wie Urlaub vom progressiven, öden Alltag. Eddie & The Hot Rods bolzten burschikos, Dr. Feelgood eröffneten ihre siffige R&B-Praxis, in seinem walisischen Klanglabor konservierte Dave Edmunds den Geist von Eddie und Buddy, auf deren Gräber derweil die ganze Welt pisste, indem sie Mike Oldfield kaufte und, massenhafter noch, „Frampton Comes Alive“. Nein, es konnte keinen richtigen Pop im falschen geben, es war hässlich.

Und es war gut so, denn ohne diesen immensen Leidensdruck, ohne diese unsägliche Flut von Doppel-Alben und Rockopern, von Wings und Rick Wakeman, von Black Purple und Deep Sabbath, von Disco und LP-Titeln wie „Fulfillingness First Finale“ oder „Tales From Topographie Oceans“, hätte der Pop todsicher und unbemerkt sein letztes bisschen Leben ausgehaucht. Dermaßen gedemütigt jedoch besann man sich beiderseits des Atlantik auf jene alten Werte, die den Rock’n’Roll einst so aufregend gemacht hatten und zum Schreckgespenst für Oligarchen in allen Winkeln der Welt. Wie war das noch mit der Rebellion, der flenitenz, der Radikalität, die doch so virulent war 1954 und 1964, als Elvis den Pelvis kreisen ließ und nur von der Hüfte aufwärts ins Fernsehen durfte, als Auftritte der Rolling Stones in Straßenschlachten mir der jeweiligen Staatsmacht mündeten, eine Spur der Verwüstung hinterlassend, im ‚Stadtbild, vor allem aber in Betonköpfen? Wie war das mit den aus der Hüfte geschossenen Statements, die Frustration und Lust, Wut und Freude in saubere Stuben und ordentliche Klassenzimmer trugen? Die verfasst, aufgenommen, gefertigt und verteilt waren binnen Wochen und diesen einen Song transportierten, diese eine magische melodische Wendung, diese zwei Zeilen, die mitten ins Herz traten, gesungen mit einem Innuendo, das Gänsehaut erzeugte und seine Langzeitwirkung im Unterleib entfaltete.

Kurzum, die Erinnerung an die subversive Kraft von Pop flackerte wieder auf, während „Brain Salad Surgery“ von Emerson, Lake & Palmer noch ungeniert den Gefühlshaushalt einer ganzen Generation irreparabel schädigte. „Die Leute waren wie gelähmt“, erzählte Joe Strummer später, Kids hörten die dieselbe Musik wie ihre Eltern, es herrschte Friedhofsruhe.“

Ironie der Pop-Geschichte: Es waren nicht die Kids, die jene kurze Lunte an das Pulverfass mit Aufschrift „Punk“ legten, sondern Künstler und Kommentatoren nit langem Gedächtnis und Heißhunger auf rohen, respektlosen, den Adrenalinspiegel in die Höhe treibenden Rock’n’Roll. Darüber, wer diese Lunte dann anzündete, gibt es seither Streit. Nicht indes über die Orte der Subversion: New York City und London. Patti Smith, an Bob Dylan und den Stones gewachsen, machte im Big Apple Musik, die dort nur von einer überschaubaren Schar von Nachteulen und Rock’n’Roll-Romantikern wahrgenomnen wurde, in London dann aber zum Politikum avancierte. Ein Gespräch, das im Mai 1976 im betulichen „Melody Maker“ abgedruckt wurde, zwischen Smith und ihrem Gitarristen Lenny Kaye auf der einen und dem Kritiker Steve Lake auf der anderen Seite, löste hitzige Debatten aus. Die Positionen standen sich unversöhnlich gegenüber. Smith und Kaye sprachen vom Primat er Leidenschaft, der Spontaneität, der Poesie, äußerten sich verächtlich über den Terror der Virtuosität, den Hang zu musikalischer Effizienz und Gigantomanie. Lake beharrte darauf, dass erst fortgeschrittene technische Fähigkeiten einen Musiker befähigten, Kunst zu schaffen.

Das learning by doing der Patti Smith Group sei musikalische Barbarei.

Ein paar Wochen später nur publizierte der „NME“ den inzwischen legendären Brandbrief von Mick Farren, „The Titanic Sails At Dawn“, in dem der Autor schonungslos abrechnete mit „the absorption of rock and roll into the turgid mainstream of traditional establishment show biz“. Am Ende ein Appell: „It is time for the 70s generation to Start producing their own ideas, and ease out he old farts“, so Farren, „the time seems to be right for aking rock back to street level and starting all over again.“ Drei Monate später spielte John Peel in seiner BBC-Show „New Rose“ von The Damned, drei weitere iMonate später stand „Anarchy In The UK“ in den Läden.

(Malcolm McLaren hatte verstanden. Punk hatte seine Headquarters in London aufgeschlagen.

Und übte einen unwiderstehlichen Sog aus auf die New Yorker Szene. Die hatte das Jahr 1976 noch im eienen Sud geköchelt, bewegte sich autistisch zwischen vei Clubs, die zusammen keine 1000 Leute fassten, BGB und Max’s Kansas City, und litt darunter, dass Punk ein Hinterland hatte. Amerika schaute angewidert weg, hörte Boston, Foreigner und Kiss, und zwang die Ramones, Television und Blondie ins Exil. In England, und nur dort, hatten sie Hits und füllten Hallen. Bloß Richard Hell nicht, der darob verbittert wurde. War er es doch, der Punk erfunden hatte. Eigentlich. Die Sicherheitsnadel als Accessoire, die „Blank Generation“ als Schlagwort, blöd, dass der weitaus gescheitere McLaren Letzteres mit dem medienwirksameren „No Future“ verdrängte und Ersteres via eigener Kollektion in eigener Boutique überaus erfolgreich in Serie schickte. Pioniere, Profiteure, Potentaten? Ein lustiger Diskurs, der seit gut 20 Jahren geführt wird.

So prekär Punk indes war, so sehr er provozierte und Staub aufwirbelte, so eindeutig standen selbst seine populärsten Protagonisten kommerziell im Schatten von „Saturday Night Fever“, Fleetwood Mac und Abba. In der Punk-Ära, wohlgemerkt. Und natürlich war nicht alles Punk, was mit diesem Etikett feilgeboten wurde. Die Grenzen waren so fließend, dass sich noch heute trefflich darüber streiten lässt, ob etwa die Stranglers dazugehörten. Punk als Attitüde und Gegenentwurf zum geldgeilen Musikgeschäft wirkte jedenfalls weit über das Verfallsdatum des Punk-Rock hinaus fort. In Bands, die dem DIY-Ethos des Punk folgten und drauflosspielten. Und in ebensovielen Labeis, die in jenen Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen waren. Schließlich und endlich auch in aktuellen Kapellen, von den Strokes bis zu den Libertines, die ihre Inspiration nicht zuletzt vom Punk beziehen, wissentlich oder nicht.

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