R.E.M.

Alles war streng geheim – und alle wußten Bescheid. Just zur Veröffentlichung des neuen Albums „Up“ beschlossen R.E.M. im Verbund mit ihrer Plattenfirma eine Rückkehr zu den Wurzeln – ein bei Unternehmungen ihrer Größenordnung geradezu naturgemäßes Vorhaben. Zu diesem Zweck lud man treue, im Club organisierte Fans und die üblichen Medienvertreter mittels eines undurchschaubaren Verfahrens nach Hamburg-St Pauli – einen Stein wurf von dem Ort entfernt, an dem die Beatles bekanntlich mal Schau machten. Der „Rockpalast“ war auch da, und mit ihm unser lieber Freund Alan Bangs, der brühwarm über die gute Laune in der Garderobe berichtete.

Gerade waren die letzten Glücklichen in den Laden gelangt, da hob eine vertraute Melodie an: „That’s me in the corner™“ Das Stück, das sie nie wieder spielen wollten, erwies sich an diesem Abend als ihr wirkungsvollstes. Unterstützt von drei Musikern, waten R.E.M. sofort in full flight. Der Saal tobte, und Sankt Michael, charismatisch wie eh und je, fand das mit dem kleinen Club „a great thing“. So weit sind sie also gekommen: Alles muß kleiner werden. Gerade mal 600 Menschen wurden so Zeuge der Schrumpfkur, die vielleicht ja auch R.E.M. an ihr legendäres Konzert im Jahre 1984 in einem winzigen Hamburger Club erinnerte.

Das Publikum, forderte Stipe so launig wie kryptisch, solle sich so sexy wie möglich gebärden. Er selbst öffnete später das Hemd, und seine rechte Hand schien von einem Wundmal gezeichnet Maria Magdalena vor der Bühne wollte ihm ein Tuch reichen und berührte ihn verzückt – eine Geste, wie man sie aus Dokumentationen vom späten Elvis kennt.

Der Sex des erlauchteren Publikums beschränkte sich aufs Über-dem-Geländer-Hängen auf der Galerie, die für Inhaber von V.I.P.-Pässen reserviert war. Auf zwei Bildschirmen sah man den doppelten Stipe (und manchmal auch andere quietschvergnügte Beteiligte), wenn man den realen mal aus den Augen verlor.

Die späten R.E.M. sind intakt, brachten „Electrolite“ und „Walk Unafraid“ – einen der muntereren Songs von „Up“ -, auch „Diminished“ und den leider konfusen „Sad Professor“. Nein, opportunistisch war das Programm nicht zu nennen – erst „Man On The Moon“ gab den Leuten zum Schluß der 80 Minuten, was sie unbedingt wollten.

Stipe, von dem alle Erdenschwere abgefallen zu sein scheint und der nicht nur physisch wie ein Außerirdischer anmutet, verströmte Gelassenheit und Schalk wie ein Erleuchteter, doch seine Aura bleibt unheimlich. Lydia Lunchs Song „Spooky“ überraschte hier so wenig wie Stipes sehnlicher Wunsch, beim zeitgleich stattfindenden Konzert von Debbie Harry dabeizusein, die er selbstverständlich verehrt. Dann wurde von den Fans ein Textblatt als Reliquie vom Notenständer entwendet und in der Menge zweigeteilt. „Ich kenne den Text nicht! Wer hat den anderen Teil versteckt?“, fragte Stipe vergnügt und nur zum Schein verzweifelt. Der Fetzen wurde ausgehändigt. Mike Mills lächelte wissend mit Seitenblick auf den Chef. Man hatte Spaß.

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