Rammstein live in Berlin: Mehr Mensch, weniger Maschine

Rainer Schmidt, Torsten Groß und Daniel Koch über die ersten Berliner Konzerte der Rammstein-Tour "Made In Germany".

Die Mensch-Maschine (von Torsten Groß)

Ein wichtiger Grundpfeiler des Rammstein-Konzepts war ja stets die weitgehende Unnahbarkeit, Entmenschlichung und Maschinisierungder Protagonisten auf der Bühne. Man war deswegen einigermaßen überrascht von der für sie ungewohnten Volksnähe, die die Band bei den aktuellen Konzerten nicht nur zulässt, sondern ganz bewusst forciert.

Das bedeutet natürlich nicht, dass Rammstein nun plötzlich Akustik-Einlagen in Holzfällerhemden spielen oder das Publikum zum Mitsingen animieren. Achtete man aber auf die Details, war das Maß der Annäherung beim Berliner Konzert für diese Band beträchtlich. Da war zunächst der „Einmarsch der Gladiatoren“: Die Berliner O2-World betraten die Musiker am Samstag über einen der Zuschauerränge. Von dort aus ging es durch das Publikum auf eine kleine Bühne in der Hallenmitte, die sich Star-Wars-artig erhob und von der Rammstein schließlich mittels einer über den Köpfen der Masse hängenden monströsen Brücke den Weg auf die Hauptbühne fanden. Ein Weg, auf dem die wie gewohnt kostümierten Musiker mehrfach aus der Rolle fielen: Es wurde gewinkt, es wurde gelacht, es wurde direkter Augenkontakt mit einzelnen Besuchern aufgenommen.

Es sind natürlich nur Nuancen, aber insgesamt spürt man bei dieser Band das Bedürfnis, den starren Rahmen des Rammstein-Konzepts ein wenig aufzulockern. So gibt es zwei oder drei kurze Ansagen und in der Mitte des Konzerts die Rückkehr auf besagte Minibühne, wo Rammstein ohne große Showeinlagen einige Songs inmitten des Publikums spielen. Und am Ende verabschiedet sich Till Lindemann mit den Worten „Wir sind ein Berliner.“

Jene Zeichen von Menschlichkeit stehen den Musikern gut. Denn natürlich stehen nach wie vor die totale Inszenierung, die Flammen, die Ventilatoren, das ganz große Spektakel im Vordergrund. Man wird in diesen Tagen kaum eine besser durchchoreographierte Rockshow sehen. Letztlich waren es aber die kleinen menschlichen Gesten, die dafür sorgten, dass man dieses Mal nicht nur von den Flammenwerfern gewärmt wurde. 

Sehen und verstehen (von Rainer Schmidt)

Man kann es einfach nicht oft genug sagen: Rammstein sind eine der besten Live-Bands der Welt, mit einer Bühnenshow, die zu dem Spektakulärsten zählt, was im großen internationalen Rockzirkus geboten wird. Wobei die Show natürlich mehr an eine Mischung aus großer Oper und Kindergeburtstag à la Las Vegas erinnert, als an herkömmliche Musikdarbietungen.

Erst die Kombination aus der scheinbar oder stellenweise auch tatsächlich martialischen Musik mit der heimelig vorindustriellen Optik der Deko, der Verkleidung der Künstler und den Knalleffekten der überwältigenden Pyroshow, die gewaltiger ist, als alles, was sie bisher gezeigt haben, bringt eine Dimension des Rammsteinschen Kosmos zum Leuchten, die ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis ihres Werkes sind: Das große komödiantische Element der Truppe, das grotesk Überzeichnete, absurd Ironische, oder einfach: das Alberne, das Lustige. Wenn sie sich die Jungs an Ketten kriechend über Eisenträger führen lassen oder Till Lindemann Schaum oder Sambucca in die Menge schießt, dann lodert hier inmitten der Feuersäulen auf der Bühne der Berliner O2-World  für jedermann sichtbar eine simple Wahrheit klar in die vollbesetzten Ränge: Das ist ein großer Spaß.

In einer Halle ist die Überwältigung der Sinne noch gewaltiger, noch zwingender als bei einem Open-Air-Auftritt. Gut so. Deswegen geht man ja dahin. Und dann vernimmt man – liegt es am Standort Berlin oder an einer Laune der Band – doch erfreut eine deutlich elektronischere Spielart mancher Stücke, als man sie von den Alben her kennt, ein Geist, der einst vor allem schon das Album „Sehnsucht“ durchzog. Tanzmetall, klar, das ist hier die Losung.

Mehr Rammstein als bei diesem kompakten Auftritt mit diesem Repertoire geht nicht. Sozusagen das ideale Einsteigerpaket. Wer sich bislang nicht getraut hat oder noch mit seinen eigenen, alten Vorurteilen beschäftigt war, dem sei geraten: Hingehen. Hinschauen. Hinhören auch. Und dann: Verstehen.  

Mehr Bier, weniger Ernst (von Daniel Koch)

Ein Rammstein-Konzert ist keine bierernste Veranstaltung. Das muss man mal so aufschreiben, damit die Mehrheit es mal glaubt. Man könnte nun kalauern, dass eher die Devise „Mehr Bier, weniger Ernst“ angesagt ist, was einem schnell einfällt, wenn man während des Vorprogramms an die Theke flüchtet und an ein saufendes Grölkommando gerät – andererseits bewegt sich der Biereimer-Konsum in genau dem Rahmen, den Rockkonzerte dieser Größenordnung wohl immer vorgeben. Aber wer noch immer verspannt und verkniffen auf den Rängen sitzt und sich für das Feuilleton seines Arbeitgebers kritische, böse und verachtende Zeilen ausdenken muss, dem könnte man noch mal auf den Weg geben, dass er es auch mal mit mehr Bier und weniger Ernst versuchen sollte. Selbiges gilt für so manchen Fan: Man muss doch nicht permanent den bösen Blick zum bösen Rammstein-Shirt tragen! Die Band macht es schließlich vor: Am Ende verbeugt man sich brav, wie man es aus Oper und Theater kennt und bedankt sich in der richtigen Stimme, in der das „R“ nicht so teutonisch rollt: „Danke sehr, das war Rammstein.“

Was übersetzt heißt: Es ist alles Show. Und als solche ist sie ihr Geld wert. Sie ist mal bunt, mal grell, mal platt, mal obszön, aber sie ist von Anfang bis Ende so abwechslungsreich und beeindruckend, dass selbst der Nörgler vergisst, Rammstein als monoton und stampfend abzuwatschen – was, nun ja, so mancher Song im Ouevre ja durchaus ist.

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