Randy Newman – „Sail Away“

Hier ist nicht der Ort für aktuelle Erörterungen, hier soll der Magie des Augenblicks nachgespürt werden. Anders gesagt: der Momente für die Ewigkeit. Aber nichts anderes war natürlich der Academy Award für Randy Newman, der vorgeblich dem Song "If I Didn’t Have You" aus "Monsters, Inc." galt, in Wahrheit aber natürlich ein Ehren- und Trostpreis ist nach 16 Nominierungen für Songs und Scores. Die Filmmusik verlor diesmal gegen den Bombast von "Herr der Ringe".

Aber es war weniger diese seit 20 Jahren überfällige Auszeichnung und auch nicht der wunderbare Auftritt im Duett mit John Goodman, den wir auf Videoband für immer bewahren werden. Die beglückende Sensation war Newmans knappe, schalkhafte und perfekte Ansprache, die mit „I don’t want your pity!“ begann und mit „I don’t get to heaven, but this is as close to heaven as it gets“ endete — dafür, dass er angeblich „nichts hatte“, weil er mit der Ehrung für den für seine Verhältnisse läppischen Song nicht rechnete, eine verdammt lässige und würdige Dankesrede. Okay, von Randy Newman erwartet man andere Gefühlsausbrüche als von Halle Berry.

Gefühlsausbrüche wie auf „Sail Away“, seiner möglicherweise besten Platte und jedenfalls seiner komplettesten: zwölf Songs, die meisten etwa zwei Minuten lang und Wunderwerke an Ökonomie, Wortwitz und Schrecken. Sogar Greil Marcus — und später der Brüllfrosch Joe Cocker — haben die Schönheit und Perfidie von „Sail Away“ nicht kaputt gekriegt: „In America you’ll get food to eat/ Won’t have to run through the jungle/ And scuff up your feet/ You’ll just sing about Jesus and drink wine all day/ Climb aboard little wok — sail away with me.“ Die Melodie verheißungsvoll, die Streicher verführerisch. „Lonely At the Top“ hätte auch ins Kodak Theatre gepasst: „All the applause/ All the parades/ And all the money that I’ve made/ Oh it’s lonely at the top.“ Müder Nachtclub-Glitter, letztes Aufbäumen der prahlenden Bläser.

Die Verachtung, die Newman der Religion an sich entgegenbringt, ätzt in zwei Songs, die zu den tröstlichen seiner vielen Lieder gehören (so brutal sie natürlich sind): „He Gives Us All His Love“ und „God’s Song (That’s Why I Love Mankind)“. Im ersten Song höhnt der Erzähler: „If you need someone to talk to/ You can always talk to him.“ Er gibt uns all seine Liebe. Etwas Bittereres, Unwahrscheinlicheres habe ich nicht gehört, seit ich die Römisch-katholische Kirche verlassen habe. In „God’s Song“ spricht der Schöpfer zu seinen Schäfchen, vielleicht auch bloß zu Petrus. Und diesmal ist Gott, der alte Gauner, zum Beichten aufgelegt: „Man means nothing/ He means less to me/ Than the lowliest cactus flower/ Or the humblest yucca tree/ You all must be crazy to put your faith in me/ You really need me/ That‘s why I love mankind.“ Auch ER will gebraucht werden. Das korrespondiert mit „Old Man“, einem der grausamsten von vielen Liedern Newmans über das Altern und den Tod und die Konsequenz seines Atheismus: „Won’t be no God to comfort you/ You taught me not to believe that lie/ You don’t need anybody/ Nobody needs you/ Don’t cry old man, don’t cry/ Everybody dies.“ Das Piano verröchelt, die Streicher sülzen den falschen Trost der Kirchenmusik, den Kitsch der Ergriffenheit.

„Political Science“ ist 30 Jahre später so treffend und komisch wie ehedem, ja unheimlicher noch: „We give them money — but are they grateful?/ No they’re spiteful and they’re hateful/ They don’t respect us — so let’s surprise them/ We’ll drop the big one and pulverize them.“

Mein Lieblingslied auf dieser monströsen Platte ist „Dayton, Ohio – 1903“, in dem Newman nostalgisch der alten Zeiten gedenkt, an die er sich gar nicht erinnern kann. Es ist ein vollkommenes amerikanisches Idyll: „When things were green and movin’ slow/ And people’d stop to say hello/ Or they’d say Hi to you/ It’s a real nice way/ To spend the day in Dayton, Ohia/ On a lazy Sunday afternoon in 1903.“ Newman schrieb das Stück 1967, und es ist eine der ganz seltenen ungebrochenen Utopien in seinem Werk — eine rückwärts gewandte Utopie freilich, ähnlich den späteren Liedern „Dixie Flyer“ und „New Orleans Won The War“ auf „Land Of Dreams“.

Der letzte Abschnitt sei dem unfassbaren „You Can Leave Your Hat On“ gewidmet, dem Cocker und der Film „9 1/2 Wochen“ nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügten. „You give me reason to live“, keucht der Kerl immer wieder: „They say my love is wrong/ They don’t know what love is/ They don’t know what love is.“ Und das ist der großartige Humanismus in den Songs des großartigen Zynikers Randy Newman: Soll doch jeder in seinen Irrtümern glücklich werden. „Lord, if you won’t take care of us/ Won’t you please please let us be?“

Warner Bros., 1972

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