Requiem für Seine Majestät

Wolfgang Doebeling mag Jacksons Wiederbelebung wenig abgewinnen

An diesen dubiosen Titel klammerte sich Michael Jackson wie ein Ertrinkender, als ihm das Wasser bis zum Hals stand: King of Pop. So und niemals anders wollte er bei öffentlichen Auftritten vorgestellt werden. Der Familien-Clan und die Höflinge des selbsternannten Königs hielten sich eisern an die verordnete Sprachregelung. Schwester LaToya, selbst völlig talentfrei, durfte ihren Neidkomplex mit einer skurrilen Autobiografie therapieren, auch die Abschätzigkeiten des von den Genen unbegünstigten Bruders Jermaine wurden toleriert, so lange sie nur beide bei Larry King die Hofetikette wahrten: „My brother Michael, the king of pop.“

Ein abstruser Ausdruck von Hybris, eine Marotte wie der Mundschutz? Gleichviel, Michaels mütterliche Freundinnen Oprah und Liz taten ihm gern den Gefallen, der gefallsüchtige Thomas Gottschalk auch. „Tommy“, habe der Show-Star auf die Frage des Moderators geantwortet, wie er ihn denn ansagen solle, „just say: Michael Jackson, the king of pop“. Für die Marketing-Abteilung von Sony erwies sich Jackos Thronanspruch in den Zeiten nachlassender Nachfrage indes als zweischneidiges Schwert. Zwar ließ sich so der Glorienschein vergangener Triumphe leidlich konservieren, andererseits macht ein König ohne Königreich eine eher traurige Figur.

Eine so unkomische gar, dass sich Jarvis Cocker seinerzeit zu einem Affront bemüßigt fühlte. Michaels royale Anwandlungen waren zwar nicht Anlass des Eklats, doch bot der feudale Pomp seiner Selbstinszenierung vor dem Hintergrund fehlender Erfolge nicht zu verfehlende Angriffsflächen für Spott. Und dabei wusste damals noch niemand, dass sich König Jacko in Öl hatte verewigen lassen, im edlen Wams, mit Krone, und diesem Gemälde einen Ehrenplatz einräumte auf seinem „Neverland“-Schloss. Das sei doch ein untrügliches Zeichen für Michaels ausgeprägten Sinn für Humor, wähnen seine Fans. Die freilich auch felsenfest davon überzeugt sind, dass es mit ihres Idols Selbstverständnis als King of Pop schon seine Richtigkeit habe. Skeptikern begegnet man mit der Frage: Wer denn sonst? Irgendjemand müsse doch über den anderen stehen.

Eine unwiderlegbare Logik, die auch Chubby Checker bemühte, als er in zwei ganzseitigen Anzeigen im Branchenblatt „Billboard“ inständig darum bat, doch fürderhin als King of Dance in den Annalen der Musikhistorie geführt zu werden. Immerhin habe niemand mehr Tanzplatten verkauft als er. Wer die so teure wie peinliche Eigenverklärung finanziert hatte, blieb im Dunkeln. Checker selbst, eine notorisch verkrachte Existenz, war verschuldet, weshalb gemunkelt wurde, Jacko hätte die Kosten für den offenen Bettelbrief übernommen. Immerhin wurde darin eine Dreifaltigkeit der Majestäten beschworen, in der sich Jackson gewürdigt und ausgesprochen wohl fühlte. Elvis sei der King of Rock, war da zu lesen, Michael der King of Pop, und Chubby nun eben der King of Dance. Blödsinn hoch drei, besonders in Bezug auf Elvis, der seinen Lebtag nichts mit Rock zu tun hatte. Dass dessen Töchterchen, das Fräulein Presley, Michael Jacksons Frau wurde, wirkt dann im Lichte solcher Ambitionen nur noch halb so bizarr: alles Teil eines Plans.

Der erst aufging, weil Michael Jackson starb. Die unselige Gefühlsverwirrung aus Mitleid und Abscheu, die in den letzten 20 Jahren sein Bild in der Öffentlichkeit geprägt hatte, löste sich zum süßen Klang klingelnder Kassen in reuevolle Sympathie auf. Der Familienpatriarch indes bleibt ungerührt. „Mein Sohn Michael ist tot mehr wert als lebend“, weiß Vater Joe Jackson und hat Klage um Unterhalt eingereicht, nachdem er im Testament unberücksichtigt blieb. Er brauche zur Deckung seiner Unkosten monatlich nur 20000 Dollar, ein winziger Bruchteil dessen, was momentan generiert werde. Und Randy Phillips, Präsident der Produktionsfirma AEG, frohlockt trauernd: „Michael was our partner in life and now he’s our partner in death.“

Ein wahrhaft stiller Partner, dessen Image sich nach dem plötzlichen Ableben radikal wandelte. Gestern noch Freak aus Ersatzteilen, der Kinderschändung verdächtig und musikalisch abgemeldet, über Nacht geläutert zum unsterblichen Künstler, treusorgenden Vater und tapferen Kranken, dem nur übel mitgespielt wurde.

Millionen strömten in die Läden und kauften dieselben Jackson-Platten, die Stunden davor noch Ladenhüter waren. Erklärbar ist das nur, unterstellt man dem Käuferkollektiv ein extrem kurzes Gedächtnis, dazu ein von Pietät und Scham geplagtes Gewissen sowie Medienhörigleit. Die Requiems auf den unverstandenen Moonwalker wurden in seltener Einmütigkeit angestimmt und so massiert, dass das Sommerloch keines mehr war. Konzertierte Hysterie, gefüttert mit eilig gefertigten Platten, Filmen und Biografien, mit alten Interviews, dem Breittreten von Spekulationen, gezielten Indiskretionen, Familienfehden und Nachlass-Prozessen.

Dies sei „one of the world’s greatest ever marketing opportunities“, so der „Guardian“. Genutzt wird sie in noch nie dagewesener Konsequenz, ohne den Unsicherheitsfaktor einer wandelnden Kalamität namens Michael Jackson.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates