45 RPM von Wolfgang Doebeling

Momente wie dieser sind sehr rar und kostbar: die ersten Töne der ersten Single einer neuen, völlig unbekannten Band dringen aus den Boxen, schlagen sofort in Bann und fesseln den unvorbereiteten, verzückten Hörer, bevor sie ihn packen und durchschütteln und hineinziehen in einen Strudel epischen, poetischen, glorreichen Gitarrenlärms mittels einer Melodie, die so simpel ist wie sublim. TRAVIS heißt das Quartett aus Glasgow, und ihr knapp vierminütiges Wunderwerk trägt den wenig verheißungsvollen Titel „All I Want To Do Is Rock“ (Red Telephone Box), doch hinterläßt dieser höllisch schöne Radau Blasen in den Gehörgängen, und er knallt, als spielten Big Star mit The Jesus & Mary Chain einen Song von Noel Gaüagher und Keith Richards. Single des Jahres, konkurrenzlos. Und, so ist zu hoffen, the shape of things to come. Get it, get happy!! 5,0

GENE melden sich nach langer, mutiger Auszeit zurück mit „Fighting Fit“ (Polydor) im luxuriösen Foldout-Cover mit Poster, mehr The Who als The Smiths, eher „Pinball Wizard“ als „This Charming Man“, muskulös, gerade und genau auf den Punkt Die B-Seite „Drawn To The Deep End“ dagegen ist eine Bedsitter-Ballade mit Piano, Cello, Martin Rossiters Weltschmerz-Tremolo und einem Text voll spätherbstlicher Düsternis, der unausweichlich in die Zeile mündet: „Sometimes I wanna die.“ 4,0

Um GENEVA wird im UK derzeit viel Wirbel gemacht. Verständlicherweise, denn ihre Debüt-45 „No One Speaks“ (Nude) ist von wohl Morrissey-beeinflußter, aber beeindruckender Intensität samt wachsweich symphonischen Gitarren und offenherzigem, allerdings auch gewöhnungsbedürftigem Falsett-Gesang. Protnising indeed. 3,0

Etwas enttäuschend ist das Follow-Up von „Born Slippy“, obwohl UNDERWORLD auch auf „Pearl’s Girl“ (Junior Boy’s Own/Ariola) einen ziemlich unwiderstehlichen Rock ’n‘ Roll-Techno zelebrieren und weder mit beschleunigenden Basslines geizen noch mit Stop & Go-Drums oder Hi-hat-Budenzauber. Was fehlt, ist die perfekte Inszenierung des Vorgängers, die Dramaturgie, der Faktor Pop. Sound und Style allein sind nicht genug. 3,0

Das scheint zunächst auch auf „Christiansands“ (4th & Broadway/Mercury) von TRICKY zuzutreffen, doch entfaltet dieser Track nach mehrmaligem Hören ein melodisch vertracktes Eigenleben jenseits des klaustrophobischen Fegefeuer-Knisterns und anderer Tricky-Trademarks. Der Elvis-Costello-Remix auf der Flipside ist, nun ja, okay, aber durchaus zu vernachlässigen. 3,5

Dilettanten-Trio in Crossover-Shock! Oh, BIS! „Starbright Boy“, der Opener ihrer ansonsten gar nicht so üblen EP „Atom Powered Action!“ (Wiiija) beginnt anämisch und synthetisch wie ein Human League-Outtake, gerät aus allen Fugen und schämt sich schließlich nicht, Zuflucht in einer Rap-Einlage zu suchen. Billig, billig. 2,0

Eine andere Art von Abartigkeit, die aus der Garagen-Heimat, kredenzt seit Jahren Crypt Records, mit Sinn fürs Grobschlächtige und oft genug mit Fortune: BANTAM ROOSTER sind ein derangiertes Männer-Duo aus Lansing, Michigan, und ihre Debüt-45 „Miss Luxury“ ist unkeusches, brünftiges Lustgeheul zu gemarterten Gitarren, während die Rückseite „Real Live Wire“ zwar ebenso Pussy-benebelt und ebenso hormonell getrieben ist, aber ein lasziveres, gemesseneres Tempo vorlegt. Pussy Galore, im doppelten Sinne. Diese Jungs brauchen professionelle Hilfe. 3,5

Zu beziehen sind die Singles in der Regel bei: Dead & Free. Bülowstraße 5,10783 Berlin; Outer Limits, PF 440321,12003 Berlin oder Rockin‘ Rollin‘ Products, Goethestraße 22, 74889S Sinsheim.

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