Abserviert :: von James M. McCain

„Ein gut aussehendes Mädchen an einem schrecklichen Ort“ war für James M. Cain „die sicherste Formel für eine Geschichte“. Mit ihr braute er schon in den 30er-Jahren seine millionenfach verkauften Noir-Krimi-Klassiker wie „The Postman Always Rings Twice“ oder „Double Indemnity“ zusammen. Dazu goss er dann noch Ehebruch und Verkommenheit mit hinein -und eine große Portion Ekel. Und fast immer ist da eine Femme fatale, die einfältigen Männern den Kopf verdreht. Sein erst 35 Jahre nach seinem Tod entdeckter Roman „Abserviert“ hält sich strikt an dieses Rezept. Und so befinden wir uns auch schon in der Bar und bekommen aus der Sicht einer attraktiven Witwe, die gerade ihren versoffenen Mann verloren hat, eine klassische Hardboiled-Geschichte gereicht. Die Tresenbekanntschaften mit einem gerissenen Herumtreiber und einem gesundheitlich angeschlagenen Gönner lassen die junge Mutter und Kellnerin unversehens in eine fatale Ménageà-trois taumeln. Nur, dürfen wir ihr wirklich alles glauben? Auch in diesem Verwirrspiel liegt Cains Meisterschaft. Er war eben, so der ausgewiesene Krimi-Experte und Gossenpoet Jörg Fauser, „ein Mann des Metiers, der an sein Handwerk mit dem erotischen Drive des wahren Künstlers heranging“. (Metrolit, 22,99 Euro) PHILIPP HAIBACH

von Jochen Schmidt

Der 14-jährige Ich-Erzähler Jens verbringt seine Sommer fer ien wie jedes Jahr im sächsischen Ferienlager Schneckenmühle, aber auf einmal ist alles anders, er tanzt zum ersten Mal mit einem Mädchen, und mit ihm bewegen sich auch die politischen Verhältnisse in der DDR. Man ahnt, es ist ihr letzter Sommer. Ein alter Trick des poetischen Realismus, die Entwicklung eines Protagonisten mit den großen historischen Transformationsprozessen übereinanderzublenden. Das kann leicht konstruiert und durchsichtig wirken. Aber Jochen Schmidt handhabt das souverän, deutet so sachte die Weltläufte an, in den Dialogen, Sprüchen, Songs und der nuancierten Beschreibung der Alltagswelt, dass sie gerade so als atmosphärisches Hintergrundrauschen wahrnehmbar sind und der Klappentext schon fast ein bisschen spielverderberisch mit der Sprache herauskommen muss.

Schmidt ist Proust-Aficionado, und so ist dieser Roman ebenfalls eine Suche nach der verlorenen Zeit, weshalb er auch nicht von einem straffen Plot vorangetrieben wird, sondern von diversen, mitunter durchaus komischen Assoziationen, sehr genauen Beobachtungen und nicht zuletzt einer flexiblen Kunstsprache, die den Bewusstseinsstand eines Adoleszenten mit all seiner emotionalen und intellektuellen Unerfahrenheit abbildet, ohne sich in infantilem Gequatsche zu verlieren. (C.H. Beck, 17,95 Euro) FRANK SCHÄFER

Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus …

von Ned Beauman

Der Bühnenbildner Egon Loeser leidet im Berlin der 30er-Jahre an Entzugserscheinungen sexueller Natur. Warum musste er sich auch ausgerechnet seine ehemalige Schülerin Adele Hitler (weder verwandt noch verschwägert) zum Objekt der Begierde wählen? Sie lässt zwar so ziemlich jeden ran, Loesers Avancen aber lassen sie kalt. Als die nymphomane Landpomeranze mir nichts, dir nichts verschwindet, ist es endgültig um ihn geschehen. Er reist ihr nach, über Paris nach Los Angeles, wobei er Bekanntschaft mit allerhand Nassauern, Schwerenötern und exzentrischen Knallköpfen schließt. Außerdem spielen Brecht und H. P. Lovecraft, Affendrüsen und eine Teleportationsvorrichtung aus dem 17. Jahrhundert eine nicht ganz unwesentliche Rolle in diesem tolldreisten Roman. Dem jungen britischen Schriftsteller Ned Beauman ist es damit gelungen, sein Debüt „Flieg, Hitler, flieg!“ in Sachen Spannung und Wahnwitz deutlich zu übertreffen. Virtuos jongliert er mit den bizarrsten Motiven und verliert angesichts des tempo-und pointenreichen Geschehens nie die Übersicht.

(Dumont, 19,99 Euro)

Die Nöte des wahren Polizisten

von Roberto Bolaño

Vor zehn Jahren starb Roberto Bolaño. Angesichts der in den letzten Jahren unter seinem Namen erschienenen Romane könnte man allerdings denken, der chilenische Autor befinde sich zurzeit in einer besonders produktiven Phase. „Die Nöte des wahren Polizisten“ ist ein weiteres Werk aus dem Nachlass. Seit den frühen 80er-Jahren soll er daran geschrieben haben, und so finden sich in diesem Text Spuren vieler seiner seit damals entstandenen Romane. Manches liest sich wie eine Variation bekannter Themen und Motive; Figuren und Orte, die man als erfahrener Leser zu kennen glaubt, tauchen wieder auf. Doch das ist nicht ungewöhnlich in Bolaños Werk. Seine Romane überlappen und überschreiben sich aufs Schönste, jede neue Veröffentlichung öffnet und verändert das bereits erschienene Werk. Vor allem das unvollendete Opus magnum „2666“ ist in die „Die Nöte des wahren Polizisten“ überaus präsent. So begegnen wir etwa erneut dem Literaturwissenschaftler Amalfitano; zur Zeit des Falls der Berliner Mauer verschwindet auch in seiner Intimsphäre eine Grenze: Er entdeckt seine homosexuelle Neigung. Die Universität von Barcelona legt ihm nahe, seine Stelle aufzugeben, nachdem eine Affäre mit einem Studenten bekannt wird. Mit seiner Tochter Rosa zieht er in die mexikanische Wüstenstadt Santa Teresa. Letztendlich ist die -nicht abgeschlossene -Handlung aber nebensächlich. Es sind die Fabulierkunst und die Orginalität, die poetologischen Abschweifungen und der von Übersetzer Christian Hansen so wunderbar nachgebildete leichtfüßige Rhythmus dieser Prosa, die einen geradezu süchtig machen. (Hanser, 21,90 Euro)

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