Album des Monats: Ben Watt :: Hendra

So klingt ein erfülltes Leben: Der Sänger von Everything But The Girl zieht ausgeruht Bilanz

Setzen Sie sich erst mal. Ihre Frau wäscht sich wahrscheinlich gerade die Haare im Dunkel des Hauses, und draußen wächst das Gras. Wir haben also Zeit. Der kurzgeschorene Mann mit der zwischen jungenhaft und lebensweise changierenden Stimme möchte Ihnen ein paar Geschichten erzählen. Von Tälern, die im Regen schimmern, vom Licht, das durch die Bäume fällt, vom vereisten Wasser, das bricht, von den Klippen und dem Licht seiner Heimat Cornwall.

Ben Watt findet für praktisch jeden Gemütszustand und jede Lebenserfahrung Naturmetaphern. Er findet einfache Worte für die Freude, die der Frühling bringt. Er skizziert mit leichter Hand Szenen eines Lebens, auf das zurückzublicken sich lohnt. „Hendra“ ist ein alter südenglischer Ausdruck für ‚Heimat‘. „O Hendra, I would walk this way again“, singt Ben Watt, „because you make me feel as right as rain.“

Hier schaut einer zurück und findet sich in der Erinnerung. Nie sentimental, sondern bilanzierend. Der Blick ist liebevoll, nicht verklärt. Wen wollen Sie eigentlich mit der Behauptung verarschen, Sie hätten nichts zu bereuen, fragt Watt und antwortet: „You can push things to the back of your mind/ But you can never forget.“ Und „Forget“ heißt das Lied denn auch, einer der Höhepunkte des unverhofften Albums.

Zuletzt hatte Ben Watt Dubstep-Tracks produziert, einen Club in London eröffnet und zwei autobiografische Romane geschrieben. Everything But The Girl, das über zwei Jahrzehnte währende Pop-Projekt mit seiner Lebensgefährtin Tracey Thorn, liegt seit Langem auf Eis.

Mehr als 30 Jahre ist es her, dass Ben Watt sein erstes und bis dahin letztes Soloalbum aufnahm. Mit Robert Wyatt hatte der junge Student eine Handvoll Stücke veröffentlicht, kurz darauf erschien das hübsche, fast schüchterne Album „North Marine Drive“. 30 Jahre später ist die bübische Verhuschtheit einer komplett in sich selbst ruhenden Lebensweisheit gewichen. „Hendra“  beginnt mit einem elektronischen Brummen, der Rest ist klassischer, analoger Songwriter-Pop, in dem nur ab und an mal eine Synth-Spur zischt oder ein Mellotron summt, aber umso häufiger träge Gitarrenläufe perlen und Hammondtasten den Takt vorgeben. Wäre das Album eine Tasse Kaffee, der Löffel würde senkrecht drin stehen. Ausgeruhter und abgeklärter geht es kaum. Ben Watt erreicht hier hin und wieder die Klasse großer britischer Songschreiber wie Terry Hall und Roddy Frame, manchmal glaubt man sich gar an Paul McCartney erinnert. Dass der frühere Suede-Gitarrist und Watt-Sidekick Bernard Butler mitunter wie Mark Knopfler aufspielt und Watts’ Promifreund David Gilmour ein paar Licks beisteuert,

fügt sich elegant und organisch in den entspannten Flow. Man sagt es ungern, aber natürlich ist „Hendra“ eine Altherrenplatte. Aber eine, die alle anderen überflüssig macht. Zumindest heute, an diesem ausgeruhten Tag. Also setzen Sie sich erst mal.

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