Angels‘ Share- Ein Schluck für die Engel :: Regie: Ken Loach

Die Gegenwart bietet immer noch genug Stoff für die Sozialdramen des Filmemachers Ken Loach („Raining Stones“, „It’s A Free World“). Vermutlich sogar mehr denn je. Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer, seit dem Börsencrash von 2008 haben die Anleger ihre Verluste nicht nur ausgeglichen, sondern saftige Gewinne gemacht, und sogar Konservative stellen mittlerweile nicht nur hinter vorgehaltener Hand die Systemfrage. Ken Loach stellt keine Fragen, seine Filme zeigen im Kleinen, was am großen Ganzen schiefläuft. Seit gut einem halben Jahrhundert erzählt er mit tief menschlichem und auch tragikomischem Realismus von den Verlierern im kühlen und willkürlichen Kapitalismus. Dabei versteigt der Brite, der 2007 im französischen Wahlkampf die trotzkistische Partei LCR unterstützte, sich niemals in politischem Theoretisieren und Aufstellen von Lehrsätzen, sondern bleibt immer nah am Leben. Er hält sich mit seinem langjährigen Drehbuchautor, dem Linksanwalt Paul Laverty, weiter an die working class heroes, in deren alltäglichen Schicksalen sich die großen Zusammenhänge spiegeln. So auch in „Angel’s Share“, einem seiner muntersten und unterhaltsamsten Filme überhaupt.

In Glasgow steht der hitzköpfige junge Robbie (Paul Brannigan) wiederholt wegen schwerer Körperverletzung vor Gericht. Weil seine Freundin Leonie (Siobhan Reilly) jedoch von ihm ein Kind bekommt, wird er nur zu gemeinnütziger Arbeit verdonnert. Robbie will seine wohl letzte Chance nutzen. Doch er findet keinen Job, ständig lauern ihm Schläger auf, die sich an ihm rächen wollen, auch Leonies Brüder verprügeln ihn. Ihr neureicher Vater hält ihn für einen Versager und bietet ihm sogar Geld, damit er für immer aus der Stadt verschwindet.

Der gemütliche, verständnisvolle Sozialarbeiter Harry (John Hen­shaw), ein Loach-Held par excellence, lädt ihn schließlich zu einem Ausflug in eine Whisky-Brennerei ein. Mit dabei sind der ziemlich debile Säufer Albert (Gary Maitland), die verstockte Kleptomanin Mo (Jasmin Riggins) und der Kleinkriminelle Rhino (William Ruane). Die Clique wirkt durchaus etwas bizarr und konstruiert, doch die Laiendarsteller geben dem Ganzen einen famosen authentischen Witz. Bei der Führung erfahren sie, dass rund zwei Prozent des Alkohols in den Holzfässern verdunstet. Der chemische Prozess nennt sich poetisch „The Angel’s Share“ – der Anteil der Engel.

Robbie allerdings denkt das ganz praktisch weiter: Bevor ein Fass mit einem äußerst seltenen Single Malt für mindestens eine Million Pfund versteigert werden soll, will er sich mit einem tollkühnen Coup ein paar Tropfen von dem flüssigen Gold abzapfen. In Schottenröcken, die sie für eine glaubhafte Tarnung halten, mischen er und seine drei Freunde sich als Vorstand eines Whisky-Fanclubs in einer abgelegenen Brennerei unter die betuchte Gesellschaft.

Ein Revolutionär steckt nicht in Robbie, doch eine gewisse Robin-Hood-Mentalität zeigt er mit seiner Gaunerei schon. So gelingt Loach reibungslos der Wechsel vom Sozialdrama zu einer Ganovenkomödie. Denn – das haben die beiden Genres gemein: Die Helden sind immer die Underdogs, die kleinen Leute, die über die oberen Zehntausend triumphieren.

Der Anteil der Engel wird zu einer Metapher im Kampf für die soziale Gerechtigkeit – angesichts der höchsten Arbeitslosenrate in der britischen Geschichte symbolisieren diese zwei Prozent eine klare Botschaft: Den Reichen täte es nicht weh, würden sie mehr an die Armen abtreten. So wie der Milliardär, der schließlich das Fass mit dem raren Whisky ersteigert hat, beim Verkosten nicht bemerkt, dass Robbie es mit einem billigen Fusel aufgefüllt hat. Haben Robbie und seine Komplizen einen Diebstahl begangen – oder haben sie sich nur zurückgeholt, was ihnen zusteht?

Kein Kommentar von Ken Loach – wo seine Sympathien liegen, ist aber in jedem Moment klar. Doch ein Sozialromantiker ist er deshalb noch lange nicht. So deutet das glückliche Ende auch eine gewisse Tragik an: Viele seiner Helden werden das Startkapital für ein besseres Leben wie gewohnt nutzen: Sie werden ihren Anteil versaufen.

Hier gibt’s den Trailer zum Film:

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