Blumfeld :: Ein Lied mehr – The Anthology Archives Vol. 1

Fünf CDs. darunter die drei ersten Alben und ein Konzert, im Schuber.

Mit „Ghettowelt“ begann damals alles, und „Ghettowelt“ beschließt jetzt auch das Werk von Blumfeld: einerseits mit dem Titel der Sammlung, das der ersten Zeile des Songs entlehnt ist („Ein Lied mehr, das dich festhält“), andererseits mit der „Acoustic Version“ auf der CD „Ein Lied mehr – Various Recordings“. „Ghettowelt“ – in einer atemlosen, bedrängenden Version- eröffnet „Ich-Maschine“, das Blumfeld-Debüt von 1992, eine Platte, die alles umwertete, was Rockmusik mit deutschen Texten bis dahin gewesen war. Jochen Distelmeyer, Eike Bohlken und Andre Rattay veröffentlichten dieses Album wie ein Flugblatt auf dem Label ZickZack, und wenn sie zunächst auch nur Hamburg nahmen — die Nachricht tönte über die Stadt hinaus, bald waren 20 000 Exemplare verkauft, man sprach von Blumfeld.

Die etwas pompös „ThevAnthology Archives Vol. 1“ betitelte Schatulle enthält neben den ersten drei Alben – „Ich-Maschine“, „L’Etat Et Moi“, „Old Nbody“ – die Auswahl „Ein Lied mehr – Various Recordings“ mit wunderbar realisierten Versionen von „Ghettowelt“, „Immer wieder Liebeslieder“, „Ich – wie es wirklich war“, „Verstärker“, „Kommst du mit in den Alltag“,- Leonard Cohens „The Law“ und dem offenbar neuen Stück „Deutschland der Deutschen“ (sowie drei Videos, darunter natürlich Helmut Bergers Auftritt in „Tausend Tränen tief“). Die „Classic Live Versions“ von „Ein Lied mehr“ sind im Studio nachgespielt worden und übertreffen die ursprünglichen Fassungen noch – sie atmen mehr, sie haben mehr Groove und Lässigkeit, sie demonstrieren die Entwicklung der Band. „Verstärker“ ist ein Meisterstück, das am Ende übergeht in Distelmeyers Vortrag von „Electric Guitars“ von Prefab Sprout („We were quoted out of context/ It was great“) der luxuriösesten und elysischsten Variante von Popmusik, die sich denken lässt. Nach dem Fade-out hebt Distelmeyer noch einmal mit Cole Porters „Ev’ry Time We Say Goodbye“ an – das übrigens MickHucknall einst mit Simply Red aufnahm. Auch im Konzert überwältigt diese wahrhaft weltläufige Coda.

„Kommst du mit in den Alltag“ – mit akustischer Gitarre und Piano – ist Folk und Jazz der edelsten Sorte, Distelmeyer hat auch hier den Gesangsstil gegenüber der Version auf „Old Nobody“ verändert. „Ein Lied mehr“ ist also das Dokument eines Prozesses, der nun abgeschlossen ist. „Deutschland der Deutschen“ ist ein resignativer Abgesang, der auf die Wiedervereinigung 1989 ebenso passt wie auf die Fußball-Weltmeisterschaft 2006: Jubel ertönt/ Das Spiel ist vorbei/ Das Volk ist versöhnt und wiedervereint/ Und friedlich, solange sie nur spaßen.“ Der Dichter aber grübelt: „Hab alles verlor’n und weiß nicht wohin in den kommenden Jahren/Was war, ist zerstört, es macht keinen Sinn.“

„Live in Wien“ umfasst (überwiegend) Songs der letzten drei Blumfeld-Alben in vorzüglichen Versionen – und auch problematische Songs wie „Weil es Liebe ist“, „Der Apfelmann“, „Wellen der Liebe“ werden hier ins Recht gesetzt. Denn so gern Distelmeyer intellektuell provozierte, so aufdringlich verfolgte er auch das Phänomen des Kitsches – angefangen bei den Stücken von „Old Nobody“, die 1999 die Gemeinde verschreckten und den Eindruck erweckten, Distelmeyer sei verrückt geworden. Dabei gehört diese Wende zum Großartigsten, was überhaupt je in der Rockmusik als Bruch, vulgo Fortschritt gewagt wurde. Es sei erinnert an die schmerzlichen, aber auch stolzen Selbstvergewisserungen „Status: Quo Vadis“, „The Lord Of Song“, „Ein Lied von zwei Menschen“, „Pro Familia“, „So lebe ich“ und „Old Nobody“. Und auch die bombastische, verhallte, bizarre Gefühlsduselei von „Tausend Tränen tief“ wird man heute – „Alles ist irdisch/ Die Welt liegt im dunkeln/ Die Nacht gehört uns“ – besser verstehen.

Das alte Lied, das bei Blumfeld stets erklingt, ist das von der Freiheit und der Mündigkeit des Menschen. Und wo gäbe es das in Deutschland, im Pop gar: Klassiker? Bloß der Dichter hat sich jetzt davongeschlichen: kein Lied mehr.

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