Current 93 – The Inmost Light :: Bizarr: Industnal, Aleister Crowley, Märchen und Folk

David Tibet und seine Band Current 93 sind ein mit philosophisch literarischen Referenzen reich beladenes Parallel-Universum, in dem man sich mit Leichtigkeit verirren kann, ja soll. Ein Werk, das nie stillsteht, sondern sich permanent verändert, formal wie inhaltlich: Von den frühen Industrial-Collagen zu avantgardistisch-orchestralem Folk; von Aleister Crowley zur „Blessed Virgin Mary And Lord Jesus Christ GOD Her Son“. Unter den popkulturellen Einflüssen, die Tibet auf seiner Website listet, finden sich, neben Led Zeppelin und den Psych-Folk-Pionieren Comus, auch der Science-Fiction-Autor Thomas Ligotti und die Blondine Reese Whiterspoon: Ironie ist ein gern gesehener Gast in diesem Theater – auch wenn man das nicht sofort merkt.

Die 1995 und 1996 einzeln veröffentlichte „The Inmost Light“-Trilogie zählt zum Besten, was Current 93 jemals aufgenommen haben: Die recht experimentellen, aber nie strapaziösen EPs „Where The Long Shadows Falls“ und „The Stars Are Marching Sadly Home“ enthalten jeweils nur ein überlanges Stück und sind dabei Prolog und Epilog des zentralen Albums „All The Pretty Little Horses“. Letzteres ist ein Songzyklus, der sich um das titelgebende Kinderlied rankt und bittersüße Kindheitserinnerungen mit apokalyptischen Prophezeiungen verbindet. Das Louis-Wain-Cover ist grandioser Kitsch, steht aber für die Sehnsucht nach reiner Unschuld, die natürlich ebenso sehr ein Konstrukt bleiben muss wie die apokalyptischen Phantasien aus den „Pensees“ des Mathematikers und Philosophen Blaise Pascal, die Nick Cave gewohnt düster in „Patripassian“ vorträgt:, Jesus will be in agony until the end of the world. There must be no resting in the meantime…“ Demgegenüber steht der – einmal von Tibet und einmal von Cave intonierte – Titelsong:

„Hushbaby, don’t you cry / Go to sleep, little baby / When you wake / You shall have / All the pretty little horses.“ Gitarrenläufe, so zart perlend wie tropfender Tau, und dennoch spürt man die langen, dunklen Schatten, die schon bald ins Kinderzimmer fallen könnten.

Neben Cave und Tibet singen auch der inzwischen verstorbene John Balance von Coll und die britische Folk-Ikone Shirley Collins. Manchmal ertönen Blockflöten, wie in „Calling For Vanished Faces“, doch schon im nächsten Stück bekommt die märchenhafte Idylle wieder atonale Risse und „the entire sky is filled with weeping angels“. Gewidmet ist das Album der 1995 verstorbenen Dolly Collins – die ihre singende Schwester jahrzehntelang instrumental begleitet hat – und zwei 1995 und 1998 geborenen Kindern aus dem Umfeld der Band. Geburt und Tod bilden also die Klammern einer ebenso berührenden wie verwirrend schönen Trilogie über das Leben … und die Zeit danach.

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