David Cronenberg :: Verzehrt

David Cronenberg, Regisseur von verstörenden Filmen wie „Videodrome“, „Die Fliege“, „Crash“ und „eXistenZ“, hat seinen ersten Roman geschrieben. Cineasten könnten anhand der oben genannten Werke erahnen, um welche Themen „Verzehrt“ kreist: um Bio- und Technopolitik, Bionik und Psychoanalyse, Fleisch und Flüssigkeiten sowie um deren Verbindungen und Interaktionen mit technischen Apparaturen. Denn in der Tat sind infizierte, penetrierte, amputierte und operierte Körper hier ebenso präsent wie Laptops, Mobiltelefone, iPads, programmierte Hörgeräte, Prothesen, Laserscanner und vor allem Kameras und 3D-Drucker. Im Mittelpunkt stehen zwei Liebespaare. Die Fotojournalisten Naomi Seberg und Nathan Math reisen getrennt voneinander und doch wie kommunizierende Teilchen interagierend um die Welt. Naomi ist einer Geschichte um das französische Philosophenpaar Célestine und Aristide Arosteguy auf der Spur. Er soll sie ermordet und teilweise verspeist haben. Naomi findet ihn in Japan, zieht auf seinen Wunsch hin bei ihm ein, gibt ihren Körper hin und erhält im Austausch eine lange Beichte. Aristide erzählt, wie er mit seiner Frau in der Jury des Filmfestivals von Cannes saß und ein nordkoreanischer Propagandafilm Célestine so unter die Haut ging, dass sie überzeugt war, in ihrer linken Brust lebe eine Insektenpopulation, die unbedingt mittels Amputation durch ihren Ehemann entfernt werden müsse.

Naomis Freund Nathan dokumentiert derweil eine illegale Krebsoperation in einem Industriegebiet bei Budapest, steckt sich bei der moribunden Patientin mit einer seltenen Geschlechtskrankheit an (die er bei einem Treffen am Amsterdamer Flughafen an Naomi weitergibt), reist nach Toronto, um deren Entdecker aufzusuchen, zieht bei diesem ein und lernt seine psychotische Tochter kennen, die sich nachts in Trance Fleisch aus ihrem Körper schneidet und es verzehrt. Wie sich herausstellt, pflegt sie diese Psychose, seit sie aus Paris zurückgekehrt ist, wo sie bei Célestine und Aristide Arosteguy die Philosophie des Konsumismus, eine Lehre des kannibalisierenden Kapitalismus, studiert hatte.

Cronenberg scheint hier alle Topoi seines Werkes bündeln zu wollen. Das Netz der Motive wird immer dichter, die oft synchronen Handlungen seiner Protagonisten fügen sich zu einer großen Bewegung zusammen. Dabei hat er, ganz Regisseur, seinen Blick ausschließlich auf seine Figuren gerichtet und erzählt ohne Abschweifungen mit lakonischem Humor einen packenden philosophischen Thriller. Cronenbergs bester Film in diesem Jahr spielt im Kopfkino. (Übersetzung: Tobias Schnettler, S. Fischer, 22,99 Euro)

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