Der Wahrheit auf der Spur :: von Thomas Bernhard

Gemessen an den postumen Veröffentlichungen scheint der Suhrkamp Verlag Thomas Bernhard zu einer Art literarischer Entsprechung von Johnny Cash aufzubauen. Nach dem Briefwechsel mit Siegfried Unseld, den Filmen von Krista Fleischmann und Ferry Radax und jüngst dem fast jenseitigen Band mit späten Erzählungen, „Goethe schtirbt“, versammelt „Der Wahrheit auf der Spur“ nun allerlei Zeitungsartikel, (Leser-)Briefe, Reden, Beschimpfungen, Schelmereien und Interviews, die teilweise bisher nur schwer oder gar nicht zugänglich waren.

Besonders bemerkenswert sind hier die Texte, die vor Bernhards ersten längeren Prosaveröffentlichungen entstanden. Schon in einem Vortrag zum 100. Geburtstag von Arthur Rimbaud aus dem Jahr 1954 läuft die Bernhardsche Empörungs- und Übertreibungsmaschine auf Hochtouren – wenn auch noch nicht ganz so geschliffen und musikalisch wie in den folgenden Jahren. Wenig später legt Bernhard sich erstmals mit dem österreichischen Literaturbetrieb an und beginnt, sein am Großvater geschultes, zutiefst romantisches Künstlerbild gegenüber „Gedicht-Verwaltern“, den „unbedeutendsten Zeitungsblätter(n) der Welt“ und „Literaten, … die … in den Kaffeehäusern an lebendigem Leib vermodern“ zu verteidigen. Am Ende dieser oft hochkomischen Sammlung steht natürlich – auch hier ist Bernhard ganz Romantiker – der Appell zur Rettung der Gmundener Straßenbahn. (Suhrkamp, 19,90 Euro) Maik Brüggemeyer

Vorstellung meiner Hände +¿

von Rolf Dieter Brinkmann

Ein echter Fund sind Brinkmanns frühe lyrische Versuche vom Anfang der Sechziger leider nur für die Germanisten und Spezis des Dichters, die nun etwas genauer nachvollziehen können, welche Umwege dessen schriftstellerische Genese zum späteren Pop-Avantgardisten genommen hat. Das ist noch weit entfernt von einem Dichtungsprogramm, das die Einfac++eit von Songs als Ideal postuliert und die hübsche Produktionsmaxime aufstellt, man müsse zunächst mal vergessen, dass es so etwas wie Kunst überhaupt gibt. Hier wirft Brinkmann sich noch bei jedem Vers in die junge Dichterbrust, hier sieht man noch die glühendroten Ohren, weil er so stolz darauf ist, Kunst zu produzieren. Wer das artifiziell Hingerotzte des späteren Popliteraten, die furiose Fundamentalopposition gegenüber dem gängigen bildungsbügerlichen Poesieverständnis zu schätzen weiß, ist fast schon verstört von dieser Anbiederung an die Konvention und nicht zuletzt auch penetranten Bildungshuberei. Er versuche „bewußt, den im Augenblick wohl modischen Beatnik-Ton in meinen Textversuchen zu vermeiden“, schreibt er an den „Akzente“-Redakteur Hans Bender. Wie wahr. So alt, wie er hier bisweilen klingt, wurde er gar nicht erst. Man muss Dieter Wellershoff, dem damaligen Lektor von Kiepenheuer & Witsch, der diese Gedichte auf dem Schreibtisch hatte, wohl dankbar sein, dass er sie vernichtend kommentiert hat. Nicht auszudenken, was aus Brinkmann geworden wäre, wenn man ihn damit hätte durchkommen lassen. (Rowohlt, 14 Euro) Frank Schäfer

von Edward Abbey

Ein kulturpessimistischer Chirurg, eine jüdische Bronx-Amazone, ein naturschwärmerischer Mormone und ein ausgemusterter, weil 1/4-verrückter Green Beret mit ehemaligem Einsatzgebiet Vietnam – das ist die Monkey Wrench Gang, die sich eher zufällig zusammenfindet, um den Südwesten der USA mit spektakulären Sabotage-Akten in den einstigen Naturzustand zurückzusprengen. Die vier haben kein wirkliches Konzept, sie sind gute amerikanische Pragmatiker und fangen einfach an, denn einer muss es tun. „Lasst unsere Praxis unsere Grundsätze formen“, schlägt der Doc vor, und dann kommen sie als personifizierte rächende Naturgewalt über all die, die versuchen, die Canyons von Utah und Arizona industriell auszubeuten. Aber immer anständig selbstredend, ohne Menschenleben zu gefährden. Bei den knalligen Schauwerten, den vielen spannenden Verfolgungsjagden, die das Lektüretempo nach einer etwas länglichen Exposition enorm in Schwung bringen, und den grandiosen Dialogen, die aus dem Zusammenprall dieser vier grundsympathischen Charakterköpfe immer wieder komische Funken schlagen, fragt man sich schon, warum dieses Buch nicht längst verfilmt wurde. Egal. Wer liest, kommt in den zusätzlichen Genuss von Abbeys stupendem Illuminationsvermögen, der die karge Idylle der Wüstenei genauso euphorisch besingen kann wie die eher artifizielle Schönheit einer Brückensprengung. (Walde + Graf, 24,95 Euro) Frank Schäfer

Der letzte Sommer auf Long Island +++¿

von Colson Whitehead

Der 15-jährige Benji Cooper und sein jüngerer Bruder Reggie gehören zur afroamerikanischen Mittelschicht. Wenn sie durch die Straßen Manhattans gehen, werden sie in ihren schnieken Brooks-Brothers-Klamotten nicht selten für Diplomatensöhne oder kleine Prinzen gehalten. Sie gehen auf eine Privatschule, ihre Mitschüler sind großenteils weiß, und mit black culture kommen sie höchstens über die „Cosby Show“ in Berührung. Doch als sie den Sommer 1985 – wie jedes Jahr – auf Long Island im Schwarzenviertel Sag Habor verbringen, ändert sich alles. Die meiste Zeit getrennt von den Eltern und den weißen Einschließungsmilieus enthoben, entdecken sie durch Ferienfreunde langsam ihre schwarzen Wurzeln, sie lernen neue Wendungen, Gesten und Rituale kennen, ihre Frisuren verändern sich und die musikalischen Vorlieben. Vor allem Smiths- und George-Romero-Fan Benji probiert in diesem unbeschwerten Sommer immer neue Identitäten aus.

Als Coleson Whiteheads vierter Roman 2009 in den USA erschien, wurde er als eine der ersten Veröffentlichungen der post-black period gefeiert – mit Barack Obama war der erste afro-amerikanische Präsident gewählt worden und damit schien sich auch die afroamerikanische Identität zu verändern. Die starren Grenzen zwischen schwarzer und weißer Kultur schienen nun endgültig von beiden Seiten aufgehoben. Es wäre nur der halbe Spaß, „Der letzte Sommer auf Long Island“ ohne solche kulturellen Rahmungen zu lesen. Ähnlich wie Zadie Smith in „Zähne zeigen“ oder auch Jonathan Lethem in „Die Festung der Einsamkeit“ erzählt Whitehead seinen Roman entlang der kleinen Differenzen, die nicht zuletzt in der Popkultur den großen Unterschied machen. (Hanser, 21,90 Euro) Maik Brüggemeyer

Special Edition

von Aleister Crowley

Die Geistlichen der Universität Oxford müssen außer sich gewesen sein, als sie Anfang 1930 die Ankündigung eines Vortrags des Satanisten und Scharlatans Aleister Crowley vor der Poetry Society lasen. Das Thema war nicht minder heikel: der Magier, Alchemist, Kindermörder und Jeanne-d’Arc-Gefährte Gilles de Rais. Sie wussten den Vortrag schließlich zu verhindern, und der Ausgeladene publizierte ihn stattdessen bei einem Londoner Verlag. Wer die sogenannte „banned lecture“ in dieser zweisprachigen Ausgabe noch einmal nachliest, wird erstaunt sein, denn Crowley berichtet hier kaum über Gilles de Rais, und besonders blasphemisch geht es auch nicht zu. Vielmehr deckt er auf, wie die katholische Kirche ein Monopol auf die Geschichtsschreibung ausübte und jeden, der seinerseits nach historischem Wissen strebte, als Ketzer verfolgte. Eigentlich spricht er also über sich selbst – und das mit Witz und rhetorischem Geschick.

Der schmale Band enthält zudem ein Interview mit Crowley, ein erhellendes Nachwort von Herausgeber Hans Schmid und eine CD mit dem großartigen WDR-Hörspiel „17 Songs für Aleister Crowley“, in dem der Kenner Michael Farin, unterlegt mit der Musik von Zeitblom, eine Collage aus Originaltexten und biografischen Fakten vorträgt. (Belleville, 29,80 Euro) Maik Brüggemeyer

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