Drucksachen

Die Geschichte des Bob Marley ließe sich auch anders erzählen. Distanzierter, entlang der Fakten. „Facts an‘ facts, an‘ fings an‘ fings: dem’s all a lotta fockin‘ bullshit“, hatte der Künstler indes oft gewettert. Intellekt gehörte nicht zu Marleys bevorzugten Erkenntnis-Instanzen, Wissen war ihm suspekt, solange es nicht in sein außerordentlich abstruses Weltbild passte: „Hear me! Dere is no truth but de one truth, an‘ that is de truth of Jah Rastafari“.

Timothy White nahm das verdammt ernst, als er vor 20 Jahren seine extensiven Recherchen zur inzwischen bereits in achter Auflage publizierten Biografie begann: „CATCH A FIRE -THE LIFE OF BOB MARLEY“ (Omnibus/Bosworth Musikverlag, ca. 50 Mark). Ein Standardwerk, auch für die Rasta-Gemeinde. Was nicht einer gewissen Ironie entbehrt, denn White ist ebendas: weiß. Ein kultivierter, sich allzeit gewählt ausdrückender Amerikaner, der gerne eine Fliege trägt zum blütenweißen Hemd, die Beach Boys abgöttisch liebt (über die er ebenfalls eine sehr lesenswerte Bio schrieb) und mittlerweile zum Editor in Chief ausgerechnet jenes Blattes avancierte, das nur eine Wahrheit kennt, die der Zahlen, der Fakten, des Mammons: „Billboard“.

Für „Catch A Fire“ freilich tauchte White in eine für ihn fremde Wirklichkeit ab, nahm noch das abartigste mythologische Detail für bare Münze, spricht über die Heilslehren des Marcus Garvey und den 1930 in Äthiopien inthronisierten Haile Selassie (geborener Rastafari) so respektvoll wie Bono über Katechismus und Papst. Die Kulturgeschichte Jamaicas im Spiegel der Musik und Mystik, politische Hintergründe wie die Machenschaften von CIA und Mafia, internationale Verwicklungen des Musikgeschäfts. Reggae als Musikstil und Katalysator sozialer Entwicklung. Bob Marley als Drahtzieher und Innovator, aber auch als Spielball der eigenen Ideologie. Aktualisierte („The Next Generation“) und erweiterte Auflage. 4,0

„JONI MITCHELL UND EINIGE IHRER ZEITGE-NOSSEN“ von Dieter Paul Rudolph (Star Cluster, 50 Mark) ist die sehr persönliche Evaluation eines Fans, dem weniger an chronologischer Ordnung und penibler Exegese gelegen ist als an einer allgemeinen Einordnung der Künstlerin und ihres Werkes in den Kultur-Kanon ihrer Generation. Rudolph ärgert sich über die Kritik, die Mitchell den ihr gebührenden Respekt nicht zollt und sie unter Wert und unter Dylan einsortiert, wenn ultimative Top-100-Listen kompiliert werden. „Allerdings muss man erwähnen, dass solche Listen Frauen weitgehend ignorieren“, lamentiert der Autor. Und wirft neben der ausführlichen Würdigung von Mitchells Werk gleich noch weitere weibliche Argumente in die Waagschale: Laura Nyro, Marianne Faithfull, Emmylou Harris. Mit Musiker-Anhang und Discografie. 3,0 Paul Zollo ist selbst Sänger und Songwriter, hat aber ungleich größeren Einfluss als Journalist und Herausgeber von „Song Talk , dem Verbands-Organ der National Academy Of Songwriters. In dieser Funktion interviewte er fast alle großen Künstler-Kollegen, ausgewiesen kenntnisreich und stets fokussiert auf Songkunst, Musik und Motivation. „SONGWRITERS ON SONG-WRITING“ (Da Capo Press, ca. 45 Mark), das jetzt in einer „Expanded Edition“ vorliegt, umfasst 52 dieser meist erhellenden, nie langweiligen Gespräche mit Songliteraten aller Stilrichtungen. Bob Dylan, Leonard Cohen, Randy Newman, Paul Simon, Townes Van Zandt, Brian Wilson, Van Dyke Parks. Doch nicht nur hehren Legenden und Genies schenkt Zollo Beachtung, sondern auch erfolgreichen Gebrauchsschreibern wie Carlos Santana oder Madonna, Genre-Komponisten wie Willie Dixon oder Dave Brubeck und eher peripheren Gestalten der Liedkunst wie Yoko Ono. „It’s a magic thing, populär song“, erkennt Bob Dylan, „it’s not a puzzle“. Dieses Buch in gewisser Weise schon, die Gespräche lassen sich zusammenfügen und ergeben ein detailliertes Gesamtbild, in das sich mit Gewinn vertiefen lässt. 4,5

Ebenfalls aus Interviews besteht das von Martin Scholz und Axel Vornbäumen herausgegebene Bändchen „POP, POESIE UND POLITIK“ (Fischer, 19 Mark). Helmut Newton über Alice Schwarzer, Vaclav Havel über die Stones, Bono über Speed Metal in den Clubs von Sarajevo. „Frau Allende“, wird die chilenische Schriftstellerin gefragt, „waren sie schon einmal auf einem Männerklo?“ Sie war, zweimal sogar. „Werden Sie eigentlich immer noch als spitzohriges Sex-Symbol verehrt?“ Diese Frage, Sie ahnen es, geht an Leonard Nimoy. Die Antwort: Nein. Geplänkel, oft originell, zuweilen ein bisschen feuilletonistisch-fadenscheinig. 2,5

„SCHALLPLATTEN“ von Sky Nonhoff (dtv, 15 Mark) erscheint in der Reihe „Kleine Philosophie der Passionen“, die uns bereits Ontologisches zu Steckenpferden wie Wein, Modelleisenbahn, Schuhe und Telefonieren beschert hat. An der Plattensammlung sollt ihr sie erkennen! Falsch ist das nicht. Nonhoff forscht nach einer LP von Judy Henske, in der ödnis Amerikas. Nichts Rares, nichts horrend Teures, überhaupt nichts Besonderes. Doch der Weg ist das Ziel. Ein Road Trip zum Vinyl. „The Right Stuff“ dann als Anhang: des Autors liebste Tonträger, hauptsächlich Mittelmaß mit dem Appeal des Obskuren. Blue Mountain, Plan 9, Billy Bacon & The Forbidden Pigs und, immer und überall überbewertet,,,^ Depression“ von Uncle Tupelo. Aber auch etliches Erstklassiges von Bobby Darin, Fred Neil, Durutti Column und den Zombies. Ansprechend geschrieben sowieso. Nettolesezeit 100 Minuten. 2,5

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