Fiona Apple – When The Pawn…

In der Akte Apple ist Auffallen um jeden Preis mitnichten ein Novum. In Erinnerung geblieben ist da zwar auch ein viel versprechendes und bestens verkauftes Debütalbum („Tidal“, inzwischen dreimal Platin) samt Video-Hits („Criminal“, „Shadowboxer“, „Sleep To Dream“), vor allem doch aber eine saftige kleine Rede bei den MTV Awards, mit der die damals 19jährige Wahlkalifornierin aus Manhattan sogleich Ansprüche auf den hart umkämpftenThron der Königin larmoyanter Selbstgefälligkeit anmeldete. Und nun das: Ein Albumtitel, der erst nach geschätzt 90 Wörtern ein Ende findet. Konfusion, Kalkül, Karriere-Riemen? Ironie gar, die doch angeblich im neuen Jahrtausend over sein soll (nicht nur, weil Pulp das schon 1998 gesagt haben)?

Legen wir das dreh- und wend-, aber definitiv undeutbare Reim-Monster also schnell beiseite und wenden uns dem Wesentlichen zu. Denn mit ihrem zweiten Album, das wir der Einfachheit halber und des Platzes wegen in guter Tradition fortan „II“ nennen wollen, stellt Fiona Apple mit spielerischem Appetit nach mehr klar, dass sie doch mehr sein kann als Tori Arnos‘ kleine, ungezogene Schwester. Auch wenn sie pikanterweise mit Matt „the human loop“ Chamberlain auf gleich acht der zehn Tracks denselben Schlagzeuger beschäftigt und zum Auftakt „On The Bound“ gleich den Groove eines Kornflocken-Mädchens hat „I’ve acquired quite a taste for a well-made mistake“, kokettiert Apple trotzig mit dem eigenen Image des Trouble-Girls, blickt aber guten Mutes in die Zukunft (,,1’m gonna fuck it tonträger

up again“), um dann ebenso schlicht wie folgerichtig zu fragen: „Why can’t I make a mistake?“ Ja, warum eigentlich nicht. Perfektion kann heute weniger denn je Maxime sein. Ohne den Mut zum Fehler würde es Alben wie Apple II gar nicht geben. Wie eine mit Schönheit und Schande geschlagene Prinzessin, die die Erbse unterm Bett wohl spürt, sich davon aber auch nicht gleich alles verderben lassen will, gebietet sie über diese zehn Songs, die ebenso eloquent wie entwaffnend der Politik von Liebe und Beziehungen hinterherspüren.

Zumal als Sängerin hat Fiona Apple einen wahren Quantensprung geschafft. Ihre erstaunlich abgebrühte Stimme trägt Schmerz und Scham, Lust und Spott, Bitterkeit und ewigen Zweifel. „Baby say that it’s all gonna be alright -I believe that it isn’t.“ Übertriebene Manierismen – wie noch auf „Tidal“ – hat sie nicht mehr nötig. Statt dessen: Klarheit, Kraft, kluges Haushalten, ja zuweilen gar kühnes Understatement. So behauptet sich Apple einerseits mit Verve gegen das turbulente Backing von „Limp“, ist aber auch – etwa im Schwanengesang „LoveRidden“ – wieder ganz bei sich.

Gitarren dürfen zwar auch mal muntere Akzente setzen („The Way Things Are“), doch schöpft Apple II seine (rhythmische) Vitalität und Vielfalt vor allem aus dem inspirierten Zusammenspiel von Apples Piano und dem swingenden, gleichermaßen Rock- wie HipHop-inspirierten Schlagzeug von Matt Chamberlain. Multi-Instrumentalist und Produzent Jon Brion (Rufus Wainwright & Aimee Mann) schüttet derweil ein Füllhorn an kleinen, großen Einfällen über diesem Duo aus: Strammes Sperrfeuer aus einem reichen Keyboard-Sound-Arsenal meets sinnig-schmeichelnde Streicher- und Bläser-Arrangements. So halten diese Tracks die Balance zwischen schattigenTexten und wenn nicht sonniger, so doch immer lebendiger Musik – besonders das kaum zufällig zentral platzierte „Paper Bag“, mit dem die Apple aus eigener Feder auf Lennon/Mc-Cartney-Spuren wandelt: Eine Spur Leichtigkeit des Seins selbst und gerade da, wo sie unerwiderte Liebe in die Tiefe zu ziehen droht. Bis sie im letzten Moment doch noch die Kurve bekommt: „Hunger hurts, but starving works, when it costs too much to love.“

Natürlich: Wir blättern auch hier wieder im Tagebuch einer jungen Frau, die den Verlust schon im Verlangen mitdenkt. Die ein „fuckin‘ go“ („Get Gone“) so effektiv platziert, dass es fast wie Effekthascherei anmutet. Fast. Aber die eifernde Selbstgerechtigkeit einer Alanis Morrisette, mit der sie oft verglichen wurde, ist Fiona Apple heute genauso fremd wie die oft kryptische Missionarsstellung einer Tori Arnos. So kann sie – erschöpft und erquickt zugleich – zu guter Letzt in „I Know“ singen: „You can use my skin to bury secrets in.“ Das ist Versprechen und Warnung zugleich. Ja, diese Musik schneidet durchaus ins Fleisch. Nur Unfehlbarkeit kennt keine Geheimnisse. 4,0

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